Interview mit Heidi Kneller-Gronen, Rechtsanwältin beim Informationskreis Aufnahme Medien, zu ACTA

Im Rahmen der ACTA-Thematik konnten wir Frau Heidi Kneller-Gronen , Rechtsanwältin beim Informationskreis AufnahmeMedien und der Kanzlei IP Kneller, für ein Kurzinterview gewinnen.

 

1.) Würden Sie uns bitte kurz aus Ihrer Sicht erläutern, um was es sich bei dem ACTA-Abkommen genau handelt?

Bei ACTA handelt es sich um den Versuch, einheitliche Richtlinien im Kampf gegen Markenfälschungen und andere Verletzungen geistigen Eigentums zu finden. Durch Markenfälschungen, die auf unterschiedlichen Wegen, insbesondere aber auch im Online-Markt, schnell und kaum auffindbar vertrieben werden, entstehen der Industrie, die ihrerseits viel Geld in Innovationen und Entwicklungen gesteckt hat, große Schäden. ACTA baut hierbei auf dem TRIPS-Abkommen auf, das auch schon gewisse Mindeststandards bezüglich des Schutzes von Immaterialgüterrechten in den Vertragsländern schaffen sollte. ACTA ergänzt dieses Abkommen nun noch.

ACTA ist leider lediglich in Bezug auf Durchsetzungsmöglickeiten der Rechteinhaber recht konkret, aber ansonsten sehr vage und ungenau formuliert. Allein das Wort „angemessen“ wird 18 Mal benutzt, das Wort „zweckdienlich“ 14 Mal.

Hierzu ein Beispiel, weshalb man in Bezug auf diesbezügliche Beschwichtigungen misstrauisch sein sollte: Das deutsche Gesetz (§ 97a UrhG) sieht für „einfach gelagerte Fälle“ einer Urheberverletzung eine Deckelung der Abmahnkosten in Höhe von 100 € vor. Allerdings sieht die Realität anders aus: Hier werden gegenüber Teenagern Abmahnkosten in vierstelliger Höhe geltend gemacht – mit Streitwerten zuweilen in Millionenhöhe! So kann schlicht alles ausgehebelt werden und so klingen alle schützenden Sätze, auch in ACTA, lediglich wie Phrasen und Worte wie „angemessen“ und „zweckdienlich“ wie leere Worthülsen.

2.) Was würde sich Ihrer Ansicht nach für den normalen Internetuser und seine Surfgewohnheiten ändern? 

Ich denke, es würde sich zunächst nicht viel ändern. Der User ist sich kaum bewusst, dass er schon jetzt durch seine IP-Adresse ermittelt wird, wenn er einen Rechtsverstoß begangen hat. Gerichte ordnen schon heute die Herausgabe der persönlichen Daten des Anschlussinhabers an, wenn der Rechteinhaber den entsprechenden Verstoß benennt. Wenn durch ACTA allerdings die Schrauben immer enger gedreht werden sollen, so wird sich das insbesondere auf die sozialen Netzwerke auswirken: Zwei-/drei Mal falsch verlinkt oder Bild falsch eingebunden und schon droht vielleicht eine Netzsperre? Meines Erachtens fehlen in dem Abkommen gänzlich Artikel zum Schutz der User und die Einführung gewisser Mindeststandards für ihn. Hierzu sollte gehören, dass Netzsperren als Sanktion ausgeschlossen werden.

Traurig ist auch, dass das wirksamste Element in Bezug auf Urheberverletzungen im Internet, nämlich die Aufklärung der Nutzer, lediglich in einem Artikel des Abkommens kurz skizziert wurde.

 

3.) Mittlerweile ist das Internet auch im geschäftlichen Bereich nicht mehr wegzudenken. Wie würde sich ACTA auf in Internet agierende Unternehmen auswirken?

ACTA verkennt, dass auch schon jetzt das (deutsche) System der Verfolgung von Markenrechtsverletzungen zuweilen ausgenutzt und missbraucht wird. Im Internet agierende Unternehmen werden zunehmend gelähmt – eigentlich etwas, was ACTA ausdrücklich nicht möchte. ACTA scheint nur den eindeutigen, zweifelsfreien Rechtsverstoß zu kennen. Die meisten Rechtsverstöße sind aber wahrlich nicht eindeutig und hoch umstritten. Ob ein Produkt einem anderen oder die Marke einer anderen ähnelt, ist meist rein subjektiv. Schon jetzt können sich viele kleine und mittelständische Unternehmen wegen der hohen Kosten eines solchen gerichtlichen Prozesses und des bestehendes Risikos kaum wehren.

ACTA verschärft nun den Ton deutlich: Nicht nur die verletzenden Waren können vernichtet werden, sondern auch Geräte und Materialien, die vorwiegend zur Herstellung von verletzenden Produkten verwendet wurden. Hierfür hat das unterzeichnende Land zu „sorgen“. Das bedeutet: Hat ein Unternehmen Produkte hergestellt, bei denen eine Verletzung streitig ist, können dessen Geräte im Falle des Unterliegens ohne jegliche Entschädigung vernichtet werden. ACTA schießt auch hier deutlich über das Ziel hinaus. Für die Unternehmen bedeutet es, dass im Grunde vor jeder geschäftlichen Tätigkeit anwaltlicher Rat unabdingbar ist. Aber auch das reicht nicht: Allein schon aufgrund unterschiedlicher Auslegungen und subjektiver Beurteilungen ist es schlicht unmöglich, sich rechtssicher zu verhalten. Mittelständische Unternehmen, die nicht die finanziellen Möglichkeiten für große Streitigkeiten haben, können im Prinzip nicht am Markt agieren. Sie tragen nicht nur das Risiko einer entsprechenden Abmahnung inklusive der oft schon ruinösen Kosten, sondern nun auch noch das Risiko, dass obendrein die Maschinen und Materialien vernichtet werden.

4.) Polen, Tschechien, Slowakei und ganz aktuell Lettland haben den aktuellen nationalen Ratifizierungsprozess bzgl. des ACTA-Abkommens momentan ausgesetzt. Ist das Ihrer Meinung nach ein Resultat aus einem Umdenken der Regierungen, eine direkte Konsequenz aus durchaus heftigen Protesten oder ist diese Unterbrechung dem intransparenten Entstehungsprozess des Abkommens geschuldet? Oder gibt es eine ganz andere Begründung?

Meines Erachtens sind die Proteste hier zumindest Mitauslöser für die Zurückhaltung der Regierungen, die vielleicht tatsächlich manche Probleme gar nicht erkannt haben.

5.) Mit SOPA, PIPA, ACTA und im pazifischen Raum TPPA haben Regulierungsabkommen mittlerweile schon fast Konjunktur. Wie erklären Sie sich die momentane globale Offensive bzgl. der Regelung des digitalen Raumes?

Es gibt tatsächlich sehr viele Rechtsverletzungen im digitalen Raum. Gefälschte Produkte lassen sich recht schnell und unauffällig über das Internet vertreiben. Dieser „digitale“ Raum ist aber schwer zu greifen. Die Rechtinhaber hinken dem Fortschritt oft hinterher. Insoweit ist der weitere Vorstoß durchaus nachvollziehbar.

Leider ist es insbesondere den Verwertungsgesellschaften als Vertreter der Rechteinhaber von urheberrechtlich geschützten Werken wie Musik und Film, bislang aber auch nicht gelungen, ein verständliches und verbraucherfreundliches System anzubieten. Viele Verbraucher fühlen sich so ausgenommen. Wird zum Beispiel eine Musikdatei gekauft, so zahlt der Verbraucher nicht nur die Datei beim Kauf, sondern auch für die Speicherung dieser Datei auf dem PC, für die Sicherung auf einer CD oder dafür, dass er sie auf die neue Festplatte schiebt. Dass es da zu einer Art Kräftemessen zwischen den Nutzern und den Anbietern der Inhalte kommt, scheint logisch. Aber wie bei jedem Wettrüsten: Es würde mehr Sinn machen, wenn man ein offenes und nachvollziehbares System schafft und mehr Aufklärung betreibt anstatt mit immer schärferen Sanktionen und Kontrollen zu kommen.

6.) Das auswärtige Amt hat die Weisung zur Unterzeichnung von ACTA zurückgezogen. Was bedeutet das für den weiteren Ratifizierungsverlauf?

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, aber es ist zu erwarten und zu hoffen, dass sich die Bundesregierung sowie auch die Europäische Kommission nun noch einmal genauer mit den Kritikern befassen und nicht lediglich Lobbyisten zu Wort kommen.

 

Wir bedanken uns bei Ihnen für das aufschlussreiche Interview.

Das Interview führte Sebastian Mosig (Redaktion AGITANO).

 

Zur Person: Heidi Kneller-Gronen ist Inhaberin der Kanzlei IP Kneller in Köln und seit 2007 mit Fragen rund um Urheber-/Markenrecht und verwandten Schutzrechten befasst. Darüber hinaus ist sie Geschäftsführerin des Informationskreis AufnahmeMedien. Dieser vertritt die Hersteller von Speichermedien in Bezug auf die urheberrechtlichen Abgaben gegenüber der ZPÜ.

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