Jeder Siebte, eine Milliarde Menschen, hungert

Die Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond- Gesellschaften (IFRC) hat am Donnerstag den Weltkatastrophenbericht 2011 veröffentlicht. Darin wird vor allem der enorme Preisanstieg bei Lebensmitteln und Grundnahrungsmitteln kritisiert, der besonders die Ärmsten der Welt trifft, deren karge Einkommen gerade einmal das nötigste für den täglichen Bedarf abdecken. Die großflächige Spekulation mit Nahrungsmitteln, die sich in den letzten Jahren dramatisch verstärkt hat, raubt diesen Menschen die Existenzgrundlage, mit der Folge, dass weltweit eine Milliarde Menschen – jeder Siebte – hungert. Die Organisation fordert daher, der Spekulation mit Nahrungsmitteln endlich Einhalt zu gebieten. Hinzu kommen noch spekulativer Rohstoffhandel, starkes Bevölkerungswachstum, Klimawandel und der deutliche Rückgang einheimischer Agrarproduktionen. „Die Nahrungsmittelpreise kommen den alarmierenden Höhen der Krise von 2008 wieder näher, wobei die Ärmsten der Armen am stärksten betroffen sind. (…) Es ist nicht hinnehmbar, dass ein Händler in London oder New York entscheidet, ob ein Vater in einem Land wie Indien es sich leisten kann, seine Kinder zu ernähren.“

Laut Angaben der Handelskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) hat sich die Spekulation mit Rohstoffen seit 2002 verfünffacht. Dadurch wird der Preisbildungsmechanismus aus Angebot und Nachfrage massiv verzerrt und die Spekulanten machen auf Kosten der Realwirtschaft und der Verbraucher ihre Gewinne. Für die deutsche Wirtschaft bedeutet dies rohstoffbezogene Mehrausgaben von rund 30 Milliarden Euro allein für das Jahr 2010 (DIHK). Für die Ärmsten der Welt hingegen kann das schon den Ruin bedeuten, sowie dass Lebensmittel unerschwinglich werden. Auf dem vorläufigen Höhepunkt der Rohstoffspekulation 2008 hatte der US-Starinvestor George Sorros sogar ein Verbot der Spekulation auf Nahrungsmittel gefordert: „Das ist so, als ob man in einer Hungerkrise heimlich Lebensmittel hortet, um mit den steigenden Preisen Profite zu machen.“ Diese Kritik an dieser moralisch fragwürdigen Art der Bereicherung lässt sich jedoch auf sämtliche Rohstoffspekulationsgeschäfte ausdehnen, da hier keineswegs unternehmerische Werte geschaffen werden.

Hinzu kommt noch der Trend des massiven Aufkaufs von agrarischen Nutzflächen in Afrika durch die reichen Staaten vor allem des Nahen und Mittleren Ostens, die damit ihre Lebensmitteleinfuhren decken wollen, auf Kosten der regionalen Versorgung vor Ort. Allein 2009 haben auf diese Weise 45 Millionen Hektar Nutzfläche ihren Besitzer gewechselt, rund 10-mal soviel wie in dem langjährigen Mittel zuvor. So sei laut der Le Monde diplomatique beispielsweise die akute Hungersnot am Horn von Afrika zu großen Teilen auch auf den Verkauf der Ackerböden ans Ausland für den Nahrungsmittelexport zurückzuführen – mit entsprechenden Lücken für die eigene Versorgung. Allein Äthiopien, das derzeit mit am stärksten unter der Hungersnot leidet, hat 2008 rund 350.000 Hektar Land an ausländische Investoren verkauft. Gravierend auch, dass zuvor die Bodenverhältnisse meist nicht angemessen geregelt waren, so dass viele Kleinbauern ihr Land entschädigungslos verlieren und ihrer Existenzgrundlage beraubt werden (siehe Le Monde diplomatique September 2011).

Jedes Jahr sterben drei Millionen Kinder vor ihrem fünften Geburtstag an Unterernährung. Bei 90% ist dies keine Folge von Hungersnöten, sondern noch beschämender, eine Folge chronischen Hungers. Eine weitaus größere Zahl wird ihr Leben lang von den Folgen der Mangelernährung (körperliche und geistige Entwicklungsdefizite) gezeichnet sein. Der Welt-Katastrophen-Bericht setzt sich auch kritisch mit der westlichen Entwicklungshilfe auseinander. Statt die Hungernden mit den Überschüssen der westlichen Landwirtschaft zu ernähren, sollte lieber in die Landwirtschaft der Hungerländer investiert werden.

(mb)

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