Jürgen Richter über die Rente mit 67, Altersarmut und neue Beschäftigungsverhältnisse

Jürgen Richter, Experte für Unternehmensführung, spricht mit AGITANO über die Rente mit 67.

 

Herr Richter, das Rentenalter soll zukünftig auf 67 Jahre herausgesetzt werden. Was halten Sie davon?

Gar nichts. Nicht etwa, weil 67 zu alt wäre, um noch zu arbeiten. Sondern deshalb, weil es sich dabei lediglich um einen Versuch der Rentenkürzung handelt.

Warum sind Sie gegen diese Regelung?

Sie löst die eigentlichen Probleme unseres Rentensystems nicht. Die sind struktureller Natur und darin begründet, dass der Beitragszahler nicht die Beiträge für seine eigene Rente bezahlt, wie dies bei einem kapitalbasierten System der Fall wäre. Im Gegenteil, er bezahlt mit seinen Beiträgen die heute ausbezahlten Renten. Bei einer stetig sinkenden Zahl von Beitragszahlern, bedeutet das im bestehenden System automatisch entweder höhere Beiträge oder sinkende Renten.

Wo sehen Sie hier die kritischen Knackpunkte?

Der Generationenvertrag, der in den Zeiten hoher Geburtenzahlen und wachsender Bevölkerung in Deutschland entwickelt wurde, funktioniert nicht mehr. Damals hat statistisch jede Frau 2,6 Kinder bekommen. Heute sind es 1,3. Jetzt kommen noch 4 Personen im Erwerbsalter auf eine im Rentenalter nach derzeitiger Definition. Aber, wenn man die Zahlen weiter durchleuchtet, stellt man fest, dass schon heute weniger als vier Beitragszahler einen Rentner finanzieren. Aufgrund der demografischen Kurve verschlechtert sich dieses Verhältnis rapide. Jahr für Jahr reduziert sich in Deutschland die Zahl der Erwerbstätigen um 300.000. In genau demselben Maße müssen die verbliebenen umso mehr Rentner finanzieren. Das kann schon mittelfristig nicht mehr funktionieren. Es würde eine finanzielle Ausbeutung der jüngeren Generationen bedeuten. Sie müssen teilweise noch leistungsfähige und leistungswillige Rentner finanzieren, die durchaus noch willens und in der Lage wären zu arbeiten und einen Wertschöpfungsbeitrag zu leisten. In wie vielen Fällen ist es nicht so, dass Menschen einfach in Rente geschickt werden, die durchaus noch mitarbeiten wollen und können, wenn auch vielleicht nicht mehr im angestammten Beruf? Wir stellen sie einfach aufs Abstellgleis und rauben ihnen damit teilweise sogar noch ihr Selbstwertgefühl.

Wie sieht Ihre Ideallösung aus?

DIE Ideallösung gibt es sicher nicht. Vielmehr sind Veränderungen in einer Reihe von Punkten nötig, an die wir besser früher als später herangehen. Das Stichwort ist Flexibilisierung. Menschen werden im Laufe ihres Berufslebens künftig nicht nur den Arbeitgeber wechseln, sondern immer öfter den Beruf. Das gilt vor allem auch noch in späteren Lebensjahren. Es muss normal werden, dass jemand mit Mitte 50, vielleicht sogar noch mit Mitte 60 einen neuen Beruf erlernt. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Söhne in die beruflichen Fußstapfen ihrer Väter getreten sind, die sie erst mit der Rente wieder verlassen haben. Starre Rentenaltersgrenzen werden verschwinden müssen. Menschen werden länger arbeiten als heute, vielleicht sogar so lange sie können. Aber ihre Arbeit muss sich der Entwicklung ihrer Leistungsfähigkeit anpassen. Dadurch werden neue Berufsbilder entstehen. Arbeitszeiten und Leistungsbemessungsmethoden werden flexibler werden. Das bedeutet eine Abkehr von strengen Wochenstundenzahlen und Arbeitszeiten. In vielen Berufen und für viele Tätigkeiten sind die auch heute schon nicht erforderlich und weichen deshalb Gott sei Dank auch auf. Aber das geschieht branchenabhängig sehr unterschiedlich und noch viel zu zaghaft.

Natürlich muss man auch an das Rentensystem als solches herangehen. Auf Dauer werden wir nicht um eine allgemeine, im Durchschnitt deutlich niedrigere Grundrente herumkommen, die durch freiwillige kapitalbasierte Aufstockung verbessert wird. Aber den eigenen Beitrag wird sich auch in Zukunft nicht jeder leisten können. Wer schon kaum sich und seine Familie ernähren kann, kann noch weniger freiwillig einen zusätzlichen Beitrag für seine eigene Altersversorgung aufbringen. Daher muss die Grundrente ausreichend und sozial angemessen sein. Eine höhere Aufmerksamkeit hätte meines Erachtens auch die Diskussion um ein von der persönlichen Arbeitsleistung unabhängiges Grundeinkommen verdient. Diese wird unter anderem von einer Reihe von Leuten geführt, die durchaus ein hohes intellektuelles Niveau haben und die spätsozialistischer Träumereien garantiert unverdächtig sind. Nicht, dass ich dieses Konzept unbedingt befürworte, aber es sind ein paar bestechende Gedanken, die dafür sprechen. Das geht aber weit über die Rentendiskussion hinaus.

Wenn die Rente mit 67 kommt, was müssen die Unternehmen bereits heute machen, damit Sie auch die älteren Arbeitnehmer im Job gut eingesetzt fühlen?

Die Hauptverantwortung der Unternehmen ist, dafür zu sorgen, dass auch ältere Mitarbeiter noch leistungsfähig und leistungswillig sind. Letztlich ist dies für die Unternehmen selbst eine Überlebensfrage. Denn, je mehr das Angebot an jüngeren Arbeitskräften demografisch bedingt abnimmt, desto mehr sind sie auf die älteren angewiesen. Diese Verantwortung beginnt mit der Frage der Führungskultur und der Führungsethik. Die Wertschätzung den Menschen gegenüber, sowie eine Kultur der Ebenbürtigkeit und Selbstbestimmung, quer über alle Hierarchieebenen hinweg, sind fundamentale Elemente einer gesunden Führungskultur. Die Mitarbeiter müssen sich in ihren Unternehmen wohlfühlen können und ihre Tätigkeit als sinnhaft erleben. Das Maß, in dem man sie selbst in die Gestaltung einbindet, ist ein erheblicher Erfolgsfaktor für das Arbeitsklima. Arbeit muss zudem so gestaltet werden, dass die Menschen nicht mit 40 bereits verbraucht sind. Wenn Burnout heute mehr und mehr zur Volkskrankheit wird, dann ist dies nicht die von manchen Gestrigen als solche abgetane Modeerscheinung. Es ist ein Alarmzeichen, das zeigt, wo wir heute stehen. Freilich wissen wir, dass Burnout und andere psychische Erkrankungen viele Ursachen haben können, die im Individuum selbst begründet sind. Aber das hilft dem Unternehmen nicht weiter. Denn die betriebswirtschaftlichen Folgen eines Ausfalls hat die Firma zu tragen. Daher liegt es auch in ihrem Interesse, solche Ausfälle zu verhindern. Und dafür sind das Arbeitsumfeld sowie die Fürsorge gegenüber den Mitarbeitern entscheidende Faktoren. Deswegen muss aus einem Wirtschaftsunternehmen noch lange keine basisdemokratisch geführte Fürsorgeeinrichtung werden.

Eine weitere wichtige Aufgabe der Unternehmen liegt darin, ihre Mitarbeiter rechtzeitig in andere Tätigkeiten zu überführen, vor es zu irreversiblen Abnutzungsschäden gekommen ist. Das gilt vor allem, wenn Mitarbeiter Tätigkeiten mit hohem Stresspotenzial ausführen. Es muss auf ältere Mitarbeiter zugeschnittene Stellenangebote geben, die ihnen gerecht werden. Stellenprofile und Arbeitszeiten müssen individuell flexibel angepasst werden können. Das Aus- und Fortbildungsangebot darf nicht bei den Mitvierzigern enden, sondern muss sich auch an die älteren Mitarbeiter richten und auf sie zugeschnitten sein.

Eine Umkehr im Denken muss jedoch nicht nur bei den Unternehmen stattfinden, sondern auch bei den Arbeitnehmern. Die Bereitschaft muss steigen, auch im Alter noch umzulernen. Es ist ein Bewusstsein erforderlich, dass ein höheres Lebensalter und mehr an Erfahrung nicht automatisch höhere Einkommensansprüche nach sich ziehen. Weniger Arbeiten oder andere Tätigkeiten werden unter Umständen auch geringer entlohnt werden. Aber insgesamt wird eine solche Entwicklung einen Gewinn für unsere Gesellschaft bringen. Menschen leisten länger einen Wertschöpfungsbeitrag. Sie haben damit zugleich die Chance, länger die Wertschätzung zu erfahren, die sich mit der Ausübung eines Berufes verbindet und damit einhergehend auch eine gesteigerte Selbstwerterfahrung zu erleben. Die Generationen werden ihrer wechselseitigen Verantwortung füreinander gerechter, als dies beim heutigen System der Fall ist.

Herr Richter, vielen Dank für das interessante Gespräch.

 

Das Interview führte Oliver Foitzik (Herausgeber AGITANO / Geschäftsführer FOMACO GmbH).

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