Klatsch! Ich weiß etwas, was Du nicht weißt… Versuch über die diskrete Indiskretion…

… aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B Wagner mit dem Titel „Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus„.

    Heute:  Klatsch! Ich weiß etwas, was Du nicht weißt…
Versuch über die diskrete Indiskretion…

„Was geflüstert wird, wird am leichtesten geglaubt.“
Simone de Beauvoir, franz. Schriftstellerin und Frauenrechtlerin

Drei Dinge regieren die Welt: Religion, Wissenschaft und Klatsch.
Robert Lee Frost, amerikanischer Lyriker

Laut der Deutschen Angestellten-Krankenkasse setzen 76 Prozent
auf ein Schwätzchen als Stresskiller am Arbeitsplatz.

Berliner Kurier am Sonntag

Köpfe, die tuschelnd zusammenhängen, kleine informelle Runden an der Kaffeebar, auf der Toilette, in Talkshows, sonstigen Fernsehshows und Hochglanzmagazinen oder neuerdings auch in sozialen Internetforen und Chats: Klatsch und Tratsch regieren die Welt, ob im Privaten oder auf der Arbeit.

Laut einer Untersuchung finden jedoch angeblich 15 Prozent aller Berufstätigen branchenübergreifend Klatsch und Tratsch lästig, knapp gefolgt vom klassischen Kopierstau, der ebenfalls genauso beliebt ist wie die Pest.

Nichtsdestotrotz gehört Klatsch – wie genetisch verankert – zu unserer sozialen Interaktion, und das wohl von Anbeginn der Menschheit: Von der geschwätzigen Schlange im alttestamentarischen Paradies, die mit ihrem Gezüngel nicht nur Eva mit dem Apfel becirct, sondern auch für den Auszug aus dem Paradies, dieser so wohligen Wohlfühlwelt sorgt. Sei’s drum! Klatsch gehört einfach dazu. Im alten Ägypten zum Beispiel gab es eine wahre Klatschkultur, wovon noch heute erhalten gebliebene hieroglyphische Klatschinschriften in Säulen und Schrifttafeln Zeugnis abgeben. Da in der Regel im Klatsch die eine oder andere „schmutzige Wäsche“ gewaschen wird, wird der Klatsch im Volksmund auch immer gerne mit den Waschweibern in Verbindung gebracht. Die alten Römer besaßen gar eigens eine Gottheit: Fama, die Gottheit des Ruhms als auch des Gerüchts. Beispielhaft erscheint Fama noch bei dem römischen Schriftsteller Gaius Valerius Flacchus, wo sie zum Werkzeug der Bestrafung der lemenischen Frauen durch Aphrodite wird. Das Gerücht, ihre Männer wollten sie verlassen, stachelt die Frauen zum frevelnden Mord an den Männern an. Obwohl als dämonisches Wesen wirkend, wird Fama hier durchaus ambivalent beschrieben: Sie gehöre weder zum Himmel noch zur Hölle, sondern schwebe dazwischen, wer sie zuerst höre, lache darüber, werde sie aber nicht los, bis Städte unter dem Schlag geschwätziger Zungen erzittern.

Klatsch ist bis heute mit seiner schillernd-widersprüchlichen Qualität immer irgendwo dazwischen angesiedelt, bleibt so immer ambivalent und am Ende auch ein wenig verrucht. Der deutsche Soziologe Jörg. R. Bergmann beschreibt den Klatsch in seiner Habilitationsschrift „Klatsch – Zur Sozialform der diskreten Indiskretion“ dahingehend auch wie folgt: „Klatsch wird öffentlich geächtet und zugleich lustvoll privat praktiziert; Klatsch ist präzise und detailliert und bleibt doch vage und andeutend; authentische Darstellungen verwandeln sich im Klatsch unversehens in Übertreibungen; Indezentes vermischt sich mit dezenter Zurückhaltung; Entrüstung über Fehlverhalten paart sich mit Ergötzen, Empörung mit Mitleid, Missbilligung mit Verständnis; moralisch kontaminiertes Wissen wird in unschuldiger Verpackung präsentiert; selbstzweckhafte Geselligkeit mischt sich mit berechnender Verunglimpfung; schamhaftes Sich-Zieren und Kokettieren wechseln ab mit schamloser Direktheit; Klatsch gleicht einem moralischen Balanceakt, einer Grenzüberschreitung, die im nächsten Schritt wieder annulliert wird.“

Kurzum, wir lieben es, und wir hassen es. Denn Klatsch ist ein Zeichen sozialer Interaktion und dient dem Erhalt sozialer Gruppen. Es regelt das Innen und Außen, das Verhältnis von Etablierten und Außenseitern. Über wen geklatscht wird, entscheidet daher nicht nur der soziale Status des Klatschobjekts, sondern insbesondere auch das jeweilige Gruppeninteresse. Uninteressante oder unbekannte Personen eignen sich eher weniger. Diese zeigen in der Regel dann auch eher das Krankheitsbild des sensitiven Beziehungswahns und gehören der nicht seltenen Kategorie Paranoia und Klatsch an. Oder wie Bergmann es ausdrückt: „Der Paranoiker ist gleichsam das Negativ des Klatschmauls: Während das Klatschmaul ständig über die Sünden anderer herzieht, meint der Paranoiker, die anderen würden ständig über seine Sünden reden.“ Doch davon an anderer Stelle mehr.

Klatsch kann in unschöne Spielarten des Mobbings ausarten, dies ist mit Gewissheit die böse Seite der Medaille. Klatsch schweißt aber auch zusammen, oder wissenschaftlicher ausgedrückt, Klatsch ist immer auch einer der effektivsten Vergemeinschaftungsmechanismen der Welt.
Klatsch am Arbeitsplatz kann daher auch einen wichtigen Produktivitätsfaktor darstellen. Er schweißt die Mitarbeiter zusammen und stärkt in gewissem Sinne somit auch den Team-Geist. Einige Autoren sprechen mit Hinweis auf Studien, wonach Klatsch die Zahl der Krankheitstage reduziert, sogar von einer gesundheitsförderlichen Funktion des Klatsches.

Klatsch beschreibt darüber hinaus aber auch eine Form des Informationsmanagements und sichert so in gewisser Hinsicht den internen Informationsfluss in Unternehmen. Was Arbeitnehmer über ihren Job und ihre Firma wissen, erfahren sie nämlich in der Regel zu 70 Prozent nicht über offizielle Kanäle, sondern durch den Klatsch und Tratsch mit Kollegen.

Auch der berufliche Erfolg beruht ja bekanntlich nur zu zehn Prozent auf reiner Fachkompetenz und zu 90 Prozent auf Beliebtheit und Bekanntheit, also letztlich auf Klatsch und Tratsch.

Also keine Scham und fleißig losgeklatscht! Immer vorausgesetzt, es werden gewisse Grenzen eingehalten sowie diskriminierendes Verhalten und Mobbing ausgeschlossen!

Wie wäre es zum Beispiel mit einer Klatsch-Etikette am Arbeitsplatz, oder einer gezielten Mitarbeiterschulung zum Thema: „Klatschen am Arbeitsplatz, aber richtig“? Okay, Scherz beiseite. Aber wer weiß, vielleicht gehören ja Klatsch und Tratsch zu den am meisten unterschätzten intelligenten Kommunikationsformen?

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einige aufschlussreiche Überlegungen rund um das Thema Klatsch und Tratsch.

Ihr Ulrich B Wagner

Zum Autor:

Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main.

Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.

Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

Kennen Sie schon die Leinwände von Inspiring Art?