Markt- und Kundensegmentierung bei Energieversorgern: Durchführung und Implementierung

Markt- bzw. Kundensegmentierungsstrategien haben bei Energieversorgern (EVU) aufgrund eines Paradigmenwechsel in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Viele EVU erkennen, dass es effizienter ist, ihren Marktanteil durch Intensivierung der Beziehungen zu bestehenden Kunden als durch die Gewinnung von Neukunden zu halten bzw. zu steigern. Customer Relationship Management (CRM) tritt daher immer mehr in dem Vordergrund. Kernziel und Aufgabe dieses Ansatzes ist, die Kundenloyalität zu erhöhen und die Kundenprofitabilität zu steigern. Wo aber liegen die Vor- und Nachteile beider Ansätze, und wie setzt man sie erfolgreich um?

(Autoren: Prof. Dr. Gerti Papesch, Prof. Dr. Michael Jünger und Dr. Heiko Frank)

Marktsegmentierung bedeutet die Aufteilung eines Gesamtmarktes in abgrenzbare, möglichst homogene Teilmärkte. Mit einer Marktsegmentierung lassen sich Zielgruppen besser erfassen und gezielter bearbeiten, da die Käufer des Teilmarktes in Bezug auf Wünsche, Bedürfnisse und Verhalten homogener sind als diejenigen des Gesamtmarktes. Davon zu unterscheiden ist die Kundensegmentierung, die zum Ziel hat, den eigenen Kundenbestand zu unterteilen.

Zwar werden für die Markt- und Kundensegmentierung die gleichen Ansätze eingesetzt, dennoch unterscheiden sich beide Formen hinsichtlich ihrer zugrunde liegenden Philosophie. Die Marktsegmentierung gliedert einen anonymen Markt in homogene Gruppen mit Methoden der qualitativen und quantitativen Marktforschung. Ein Segment umfasst mehrere Käufer (aggregierter Ansatz), die Marktbearbeitung erfolgt segmentweise.

Die Kundensegmentierung dagegen gruppiert bekannte Kunden zu homogenen Segmenten, wobei Kunden mit ähnlichen Kundenwerten zusammenfasst werden. Sie verfolgt den Segment-of-One-Ansatz, bei welchem jeder Kunde gedanklich ein eigenes Segment darstellt; die Marktbearbeitung ist kundenindividuell. Ebenso unterscheiden sich beide Formen in den Anwendungsbereichen. Die Marktsegmentierung wird normalerweise bei der Produktentwicklung, der Markteinführung von neuen Produkten und bei der Ansprache neuer Kunden sowie in neuen/bestehenden Märkte eingesetzt, um bevorzugt Kunden zu gewinnen. Die Kundensegmentierung dagegen wird zur Bewertung bestehender Kunden sowie zur Identifikation, Selektion und Förderung rentabler Kunden verwendet, um die Kundenbindung und -loyalität zu erhöhen.

Die klassische Marktsegmentierung

Die Verfahren zur Marktsegmentierung werden in soziodemographische, psychographische, verhaltensorientierte und geographische Ansätze eingeteilt. Jeder dieser Ansätze besitzt Vor- und Nachteile und genügt den an ihn gestellten Anforderungen in unterschiedlichem Ausmaß. So besitzen soziodemographische Ansätze mit Merkmalen wie Geschlecht und Haushaltsgröße eine geringe Kaufverhaltensrelevanz und bieten keine Erklärung für das Kaufverhalten. Die Segmente sind jedoch stabil, messbar und mit Marketing-Instrumenten gut erreichbar. Psychographische Ansätze segmentieren z. B. nach Einstellungen, wie Ökoaffinität oder Lifestyle, und verfügen über eine große Aussagefähigkeit und Kaufverhaltensrelevanz, sind aber schwer messbar und führen zu nicht trennscharfen Segmenten.

Verhaltensorientierte Ansätze beziehen das tatsächliche Kaufverhalten (z. B. Gas- und Stromverbrauch, Bonität) in die Analyse mit ein und bilden gut messbare, wirtschaftliche sowie aussagefähige Segmente, die allerdings nicht trennscharf abzugrenzen und mit Marketing-Instrumenten schwer zu bearbeiten sind. Stabilität und Zugänglichkeit kennzeichnen geographische Ansätze, allerdings ist die Kaufverhaltensrelevanz recht gering. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Verwendung eines singulären Marktsegmentierungsansatzes wenig erfolgversprechend ist.

Die klassische Kundensegmentierung

Die Ansätze der Kundensegmentierung basieren auf dem Kundenwert, der durch das Markt- und Ressourcenpotenzial eines Kunden bestimmt wird. Abb. 1 (größere Darstellung im Anhang) gibt einen Überblick über die Ansätze der Kundensegmentierung. Die einzelnen Ansätze zur Ermittlung des Kundenwertes weisen Vor- und Nachteile auf. Insbesondere differieren sie deutlich im Informationsbedarf bezüglich der Kundendaten und der Übertragbarkeit der Segmentierung auf Nicht-Kunden. Nur bei clusteranalytischen Ansätzen und beim Customer Lifetime Value ist eine Zuordnung neuer Kunden möglich. Für die qualitative Gestaltung der Marketing-Instrumente können lediglich clusteranalytische Ansätze und die Portfoliomethoden Hinweise geben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine methodenbasierte Ermittlung des Kundenwerts objektiver ist als eine subjektive, was eine größere Transparenz für den Kundenstamm zur Folge hat.

Die Wahl eines bestimmten Segmentierungsansatzes und der Erfolg einer Markt- bzw. Kundensegmentierung im EVU hängen in hohem Maße davon ab, welche Ziele mit der Segmentierung im Unternehmen verfolgt werden. Für die Markt- und Kundensegmentierung gilt, dass die Bildung und Bearbeitung von Marktsegmenten nur sinnvoll ist, wenn sich Segmente deutlich unterscheiden und das Marketing-Instrumentarium für die einzelnen Segmente unterschiedlich eingesetzt werden kann. Ebenso bilden die im Unternehmen vorhandenen Kundendaten und das spätere Anwendungsspektrum der Segmentierung die Ausgangsbasis für weitere, tiefere methodische Überlegungen.

 

Durchführung und Implementierung einer Kundensegmentierung

Generell bieten sich für ein EVU drei grundsätzliche Strategien zur Kundensegmentierung an, die ein unterschiedliches Datenspektrum und eine jeweils andere Vorgehensweise benötigen. Dabei führt jede Handlungsalternative zu weiteren Optionen.

Basierend auf internen Kundendaten

Die A-Priori-Segmentierung ordnet den Kundenbestand aufgrund eines bzw. mehrerer vom EVU ausgewählten Merkmals bzw. Merkmale (z. B. Kunde/Nicht-Kunde, Ver-brauch). Dies erfordert eine hohe Sachkenntnis über das Kundenverhalten und die Anzahl der zu bildenden Segmente. Wird eine Segmentierung auf Basis der Kundendaten des EVU durchgeführt, ergeben sich wiederum weitere Varianten, die darin bestehen, dass die Kundendaten mit unterschiedlichen externen Datenquellen angereichert werden können. Die Anreicherung kann notwendig sein, um die Qualität der Analysedaten zu verbessern sowie die Aussagekraft und Trennschärfe der Segmente zu erhöhen.

Die Ermittlung der Segmente erfolgt über Data Mining. Abb. 2 (größere Darstellung im Anhang) zeigt exemplarisch das Ergebnis einer Kundensegmentierung auf Basis interner Daten. Im Beispiel ist zu erkennen, dass das werthaltige Segment „Etablierte Umsatzbringer“ eine geringe Loyalität aufweist. Für beide Wege gilt, dass die Segmente in einem weiteren Schritt mit qualitativer und quantitativer Marktforschung untersucht werden können, um detailliertere Informationen über die Bedürfnisse und Einstellungen im Segment zu erlangen.

Basierend auf Marktforschung

Kann eine Kundensegmentierung auf Basis interner Kundendaten nicht erstellt werden, führt eine Kombination aus qualitativer und quantitativer Marktforschung zur Kundensegmentierung. Die vorab durchgeführte psychologische Marktforschung gestattet eine Hypothesenbildung über Einstellungen und Motive der Kunden. Danach folgt eine quantitative Marktforschung mit der Befragung einer Stichprobe aus dem Kundenbestand des EVU.

Damit wird eine einstellungsbasierte, bedürfnisorientierte Kundensegmentierung ermittelt. Da Daten, die innerhalb der Marktforschung erhoben werden, der absoluten Anonymität unterliegen, kann nur mit Hilfe von statistischen Prognosemodellen die Segmentierung auf den gesamten Kundenbestand hochgerechnet werden. Das so gewonnene Ergebnis kann Ausgangsbasis für weitere Analysen sein.

 

Basierend auf der Nutzung bestehender Typologien

Ist eine Segmentierung mit Hilfe interner Daten nicht möglich und die Durchführung umfangreicher Marktforschungsstudien zu zeit- und kostenintensiv, kann das EVU eine bestehende Typologie nutzen (z. B. Sinus Milieus). Die Typologie wird unter Einsatz von statistischen Prognosemodellen auf den gesamten Kundenbestand übertragen. Jeder Kunde wird entsprechend seiner Profildaten dem jeweiligen Segment zugeordnet. Das Ergebnis der Typologie ist im Voraus bekannt, die Segmentierung spiegelt eine Verteilung der einzelnen Typen im Kundenbestand wider. Die so gewonnene Segmentierung kann dabei wiederum die Ausgangsbasis für weitere Analysen sein.

Mit der analytischen Durchführung der Kundensegmentierung sind die mit ihr verbundenen Ziele noch nicht erreicht. Erst durch ihre Implementierung im Unternehmen kann sie ihren Nutzen entfalten. Dazu ist eine Reihe von weiteren Aufgaben und Maßnahmen im EVU zu erfüllen. Zunächst werden die Segmente für die tägliche Anwendung plastischer und verständlicher beschrieben. Eine neutrale und von den Analyseergebnissen unabhängige Segmentsystematik erleichtert bei den Mitarbeitern den Umgang mit der Segmentierung. Anschließend erfolgen das Erarbeiten eines Marketing- und Vertriebskonzepts sowie das Festlegen des Prozessmanagements und des Serviceangebots je Segment. Daraus leiten sich die Anwenderkreise sowie die Nutzung der Segmentierung im EVU ab. Schulungs- und Motivationsmaßnahmen sichern bei den Mitarbeitern ihre dauerhafte Anwendung.

Darauf folgt eine Integration in die IT-Systeme, so dass die Segmentierung, z. B. für Kampagnen, auch eingesetzt werden kann. Da die Kundensegmentierung Veränderungen unterworfen ist, sei es dass das EVU neue Produkte einführt oder sich Veränderungen bei Kunden ergeben (z. B. Spartenwechsel bei Umzug), wird sie regelmäßig aktualisiert und werden Wanderbewegungen beobachtet. Schließlich wird im Rahmen der internen Kommunikation dafür gesorgt, dass die Segmentierung positiv im Unternehmen aufgenommen wird.

Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen für Marketing und Vertrieb

Die segmentweise Marktbearbeitung ist eine grundlegende strategische Entscheidung, welche deutliche Konsequenzen für die operative Umsetzung in Marketing und Vertrieb sowie für die damit verbundenen Prozesse zur Folge hat. Abb. 3 (größere Darstellung im Anhang) fasst in einem Vorgehensmodell die wichtigsten Arbeitsschritte zusammen, um eine Segmentierung im EVU erfolgreich durchzuführen und zu implementieren: Das EVU muss klar formulieren, welche Ziele es vorrangig mit der Segmentierung in Marketing und Vertrieb verfolgen will: Kundenbindung oder -gewinnung. Denn diese bestimmen, ob eine Kunden- oder Marktsegmentierung durchgeführt werden soll.

Des Weiteren ist zu prüfen, welchen Umfang und welche Qualität die im EVU vorhandene Datenbasis besitzt. Denn diese beeinflusst, welche Vorgehensweisen und Methoden für die Segmentierung eingesetzt werden. Zwar bilden die eigenen Kundendaten eine wertvolle Basis, allerdings kann es aus methodischen und wirtschaftlichen Überlegungen notwendig sein, auf eine Analyse der eigenen Daten über Data Mining zu verzichten und stattdessen die Segmentierung entweder mit Hilfe von Marktforschung oder über die Nutzung einer bestehenden Typologie durchzuführen.

Das Ergebnis einer Segmentierung bildet das Verhalten oder die Einstellungen der Kunden zum Energieversorger ab. Um jedoch bspw. eine optimale Ressourcenverteilung im Vertrieb zu erreichen oder Prozessoptimierung im Service zu betreiben, sind nach der Segmentierung entsprechende strategische Aufgaben in Marketing, Vertrieb und Service zu leisten. Auch hier empfiehlt es sich strukturiert vorzugehen, um alle Bereiche, die im Unternehmen mit der Segmentierung in Berührung kommen – je nach Umfang der Implementierung – sinnvoll zu integrieren. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass die Segmentierung in den operativen Bereichen im EVU angewendet wird, und damit die Kundensegmentierung ihren Beitrag zu den Unternehmens- und Vertriebszielen effektiv leisten kann.

 

Zu den Autoren:

Prof. Dr. Gerti Papesch, Professorin für Marketing, Werbung und CRM, Mediadesign Hochschule München und Managementberaterin in der Energiewirtschaft; Prof. Dr. Michael Jünger, Professor für Business Consulting und Management, Hochschule Ingolstadt und Managementberater in der Energiewirtschaft; Dr. Heiko Frank, Vorstandsvorsitzender, Managementberatung Tefen AG Germany, Augsburg.

g.papesch@mediadesign-fh.de
michael.juenger@haw-ingolstadt.de
heiko.frank@tefen.com

 

Der Beitrag ist in der „et“ Energiewirtschaftliche Tagesfragen 62. Jahrgang Heft 5/2012, Seite 67-69, erschienen.

 

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