Politikberatung soll keine Politik machen – von Prof. Dr. Gert Wagner, DIW Berlin

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Prof. Dr. Gert G. Wagner ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Lehrstuhlinhaber für Empirische Wirtschaftsforschung und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin, sowie Max Planck Fellow am MPI fuer Bildungsforschung (Berlin). Er ist zudem Vorsitzender der Zensuskommission der Bundesregierung und des Rats für Sozial- und Wirtschaftsdaten, und Mitglied des Statistischen Beirats sowie Mitglied im Methodolgy and Infrastructure Committees (MIC) des britischen Economic and Social Research Councils (ESRC). Wagner ist weiterhin Mitglied der Enquete Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualitat" des Deutschen Bundestages und der Kammer für Soziale Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Er gibt die Fachzeitschrift Schmollers Jahrbuch heraus und ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der auf die Politikberatung ausgerichteten Fachzeitschrift "Wirtschaftsdienst".

Für das neue Leibniz-Magazin "Unsere Wirtschaftsweisen" 2/2012 hat er den Artikel "Politikberatung soll keine Politik machen" verfasst.

Das Eingeständnis fällt schwer, ist aber notwendig: Auch die Wirtschaftsforschung weiß keine Antwort auf die Frage, was der beste Weg sei, die wirtschaftliche Integration Europas voranzutreiben. Es ist geboten, dies offen zuzugeben – selbst auf die Gefahr hin, dass Öffentlichkeit und Steuerzahler fragen, wozu sie dann überhaupt Wirtschaftsforschungsinstitute finanzieren.

Die Volkswirte-Zunft hat die Öffentlichkeit in diesem Sommer ohnehin verwirrt: Zur europäischen Finanzkrise gab es keine einheitliche Aussage, sondern sage und schreibe drei unterschiedlich ausgerichtete öffentliche Stellungnahmen von Volkswirtschafts-Professoren. Zu den Unterzeichnern zählten auch Chefs von Wirtschaftsforschungs-Instituten in der Leibniz-Gemeinschaft; sie unterstützten nicht einen, sondern unterschiedliche Aufrufe. Leitende Mitarbeiter des DIW Berlin meldeten sich bei zwei verschiedenen Appellen zu Wort. Insgesamt beteiligten sich fast 500 Volkswirte an den Aufrufen.

Volkswirte sollten jedoch nicht versuchen, durch Aufrufe Politik zu machen. Sie sollten die Politik nur beraten – und beachten, dass der Wirtschaftsforschung bei der wissenschaftlichen Politikberatung Grenzen gesetzt sind.

Zum einen können, wie die Aufrufe zeigen, verschiedene Volkswirte bei der Beurteilung wirtschafts(politischer) Maßnahmen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das ist aber nicht etwa überraschend, sondern unvermeidbar. Auch Volkswirte legen ihren Analysen unterschiedliche Werte zugrunde (oft implizit), vertreten politische Meinungen und streben unterschiedliche Ziele an. Sie sollten diese deshalb transparent machen.

Zum zweiten sind großangelegte Experimente, mit denen wirtschaftspolitische Maßnahmen systematisch getestet werden könnten, bei der Analyse der Wirtschaft in der Regel nicht möglich – anders als etwa in der Pharmaforschung. Zwar gibt es jede Menge wirtschaftspolitische Experimente, aber nahezu immer fehlt eine „Kontrollgruppe“, mit der eine „Treatment-Gruppe“ verglichen werden könnte. Mit diesem Problem steht die Volkswirtschaftslehre nicht alleine da: Es ist auch in anderen Disziplinen – etwa der Medizin – extrem schwierig, aus bloßen Korrelationen Kausalaussagen abzuleiten. Insofern ist bei komplizierten Problemen Streit über den empirischen Befund nicht überraschend, sondern geradezu geboten. Zugespitzte Forderungen beleben die Diskussion; es wäre aber schlimm, wenn sie ohne einen demokratisch legitimierten Entscheidungsprozess eins zu eins umgesetzt würden.

Schließlich wird Wirtschaftsforschung über den europäischen Einigungsprozess dadurch begrenzt, dass es so gut wie keine historischen Vorbilder gibt für die Probleme einer Währungsunion in einer zwar eng, aber nicht vollständig verflochtenen Wirtschaftsregion. Diese wird zudem von bislang unbekannten Gefahren geprägt, die vom modernen Banken- und Finanzsystem ausgehen. Deshalb sollte die Wirtschaftsforschung auch nicht behaupten, sie wisse eindeutig, was für den weiteren europäischen Einigungsprozess oder für Deutschland die beste Strategie sei.

Die öffentlich finanzierten und qualitätsgeprüften Leibniz-Wirtschaftsforschungs-Institute spielen eine spezielle Rolle. Sie bieten forschungsbasierte Politikberatung an, die zumindest über alle Institute hinweg gesehen auch paradigmatisch nicht verengt ist. Dadurch vermitteln die Institute der Öffentlichkeit wichtige Einsichten – bieten aber keine Patentrezepte an. Wer über diese Art der Politikberatung hinaus Politik machen will, der kann und soll dies als Einzelperson tun. Aus den Instituten kommen ja auch immer mal wieder Zentralbanker, Staatssekretäre oder Minister. Diese Berufungen basieren auf der fachlichen Kompetenz der Betroffenen; die politischen Tätigkeiten gehen aber über das Fachliche weit hinaus.

Die Trennung von Politikberatung und Politik ist keineswegs einfach, man denke nur an die öffentliche Wirkung von Kommentaren, die Institutsmitarbeiter für Zeitungen schreiben. Umso wichtiger ist es, dass in den Instituten Politikberatung und Politik transparent auseinandergehalten werden.

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Das vollständige Magazin auf der Website der Leibniz-Gemeinschaft

 

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