Quo vadis Deutschland?

Die wöchentliche Business-Kolumne von Ulrich B Wagner mit dem Titel „Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus„.

Heute: Quo vadis Deutschland?
Oder besser gefragt: Wohin wollen oder können wir eigentlich noch?

“Sie müssen sich freimachen von der Vorstellung, dass die Demokratie schlechtweg etwas Ideales sei. Demokratie hat viele, viele Schattenseiten und Schwächen und Versuchungen. Und trotzdem hat Churchill recht: Die Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von denen, die wir schon vorher ausprobiert haben“.

Aber ideal in dem Sinne, dass Demokratie eigentlich unfehlbar sei, das zu glauben ist ein schwerer Irrtum.“

(Altkanzler Helmut Schmidt in einem Interview mit Sandra Maischberger im Februar 2002)

Unser gesellschaftlicher Kompass spielt verrückt. Die Kompassnadel rast vollkommen losgelöst, wie vom Dämon getrieben, im Kreis, und uns bleibt, vom Rausch der Geschwindigkeit getrieben, nur Übelkeit und Ratlosigkeit.
In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung beschied der sich eindeutig dem bürgerlichen Lager zugehörig fühlende Frank Schirrmacher: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“, um ein paar Zeilen weiter auszuführen: „Ein Jahrzehnt enthemmter Finanzmarktökonomie entpuppt sich als das erfolgreichste Resozialisierungsprogramm linker Gesellschaftskritik. So abgewirtschaftet sie schien, sie ist nicht nur wieder da, sie wird auch gebraucht. Die Krise der sogenannten bürgerlichen Politik, einer Politik, die das Wort Bürgertum so gekidnappt hat wie einst der Kommunismus den Proletarier, entwickelt sich zur Selbstbewusstseinskrise des politischen Konservatismus.“

Es sind die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, die den Bruch markieren von einer zukunftsgerichteten, positiv gestimmten und prometheischen Moderne, die der Schweizer Soziologe Aldo Haesler als soft modernity beschreibt, und einer neuen Zeitrechnung, der hard modernity, einer faustischen Moderne, die sich mit der Elektronifizierung der Geldströme entmaterialisiert. Das Geld beginnt, sich in dieser Schwellenzeit zu entfesseln. Es befreit sich nicht nur von seiner Materialität, von seiner Schwere und Umständlichkeit, sondern auch politisch, gesellschaftlich und ökonomisch von allen Zwängen und Normen, die seine Zirkulation bisher beschränkten. Parallel dazu kann man seit Jahren ein soziales Artensterben verfolgen. Die Vielfalt der Beziehungen, die Menschen in der realen Welt miteinander pflegen, verringert sich von Jahr zu Jahr diametral zu den Beziehungen in der virtuellen Welt und den sozialen Netzwerken. So hat sich beispielsweise der Intimkreis des Durchschnittsbürgers in den vergangenen 20 Jahren von 14 Personen auf unter 2,5 Personen reduziert. Mit der Beschleunigung der Geldströme und der Finanzmärkte geht so eine Vereinsamung und eine Brüchigkeit der sozialen Beziehungen einher.

Die Liberalisierung und Globalisierung der Märkte, und der damit verbundene Rückzug des Staates aus den meisten Wohlfahrts- und Bildungsbereichen, ließen so ein enthemmtes und raues Klima entstehen, das durch die sich mehrenden Krisen an den Finanzmärkten immer neu entfacht wird, und in eine Spirale der Angst, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit führt, deren Sog immer weitere Teile der Bevölkerung mit sich nach unten zieht.

Die bisherigen sozialen Bindungen, Sicherungen und Hoffnungsanker, familiärer und beruflicher Netze, aber auch und insbesondere die der sozialen Marktwirtschaft, sind schleichend, und damit für alle Beteiligten fast unmerklich vom Erdboden verschwunden. Es gab Zeichen, Wortmeldungen, Warnungen und Hinweise fast überall. Diese wurden jedoch übersehen. Negiert, in der Hoffnung auf die Rationalität der Märkte und ihrer Selbstheilungskräfte. So schafft Geld Angst, um sie dann mittels Geld wieder zu neutralisieren. Allerdings bleiben nicht nur die, die von den Geldquellen abgeschnitten und verdrängt wurden, von der vermeintlichen Beruhigung und Besänftigung ausgeschlossen, sondern auch jene, die derzeit noch die Mittel und Zugangsrechte besitzen. Diese glauben, dass sie all ihre Ängste durch Geld einschläfern können, bilden so jedoch nur eine neurotische, ja fast psychotische Struktur, in welcher die Instrumente zur Bekämpfung der Angst diese Angst nur weiter potenzieren.

„So leben wir in einer Angstgesellschaft, in der uns das Geld gegen die Angst zu immunisieren scheint, doch dadurch genau das Quantum jener dumpfen Ängste, die durch das Geld nicht immunisiert werden können, ins Maßlose steigert“, wie es Aldo Haesler kürzlich in einem Interview mit der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ betonte.

Angst lähmt, Angst raubt Zukunft und frisst ihre Kinder! Angst und Hoffnungslosigkeit schaffen keine Zukunftschancen, sondern zerstören diese letztendlich nur.

Waren weite Teile der Bevölkerung bisher noch immunisiert gegen die Zweifel am System und den bestehenden Strukturen, so greifen diese Zweifel nach den letzten Einschlägen an den internationalen Finanzmärkten auch auf das bürgerliche Lager über. Das Vertrauen in das bestehende System und die vermeintlichen Eliten schrumpft von Tag zu Tag wie der Schnee in der Frühjahrssonne.

So langsam, aber sicher wird es Zeit, sich einzugestehen, dass Demokratien freie, mündige Bürger voraussetzen, die Zugang zu Bildung und Zukunftschancen haben, die frei entscheiden und wählen können zwischen Lebensoptionen und nicht schon qua Geburt automatisch und zwangsläufig in die Reihe der zweiten und dritten Generation der Ausgeschlossenen gedrängt werden.

Auch ich kenne keine bessere Staatsform als die Demokratie. Jedoch bin ich noch in einer Zeit groß geworden, deren Wirtschaftsform der sozialen Marktwirtschaft Zugangs- und Zukunftschancen, aber auch sozialen Frieden und soziale Absicherung ermöglichte. Der Generationenvertrag liegt in Schutt und Asche. Wir übergeben der Jugend von Morgen nicht nur eine ramponierte Natur, sondern auch ein zerstörerisches soziales Umfeld, das auf einem unermesslichen Berg von Schulden aus Gier und Verantwortungslosigkeit fußt.

Vielleicht sollten wir endlich zugegeben, dass wir am Ende unseres Lateins angelangt sind, die Theorien, Ideologien und Götzen unseres Raubtierliberalismus uns in eine Sackgasse ohne Gleichen manövriert haben und ein „Weiter so!“ uns nur in den Abgrund führen kann.
Derzeit ist es noch die junge Generation, die sich wehrt und aufsteht. Wir werden die drängenden Probleme unserer Zeit jedoch nur gemeinsam lösen: In einer konzertierten Aktion jenseits aller sozialen Grenzen und über alle Generationen und politischen Lager hinweg.

Wir müssen uns bewegen, statt zu jammern und zu reden! Wir müssen endlich losgehen, statt aus Angst vor dem Neuen ständig auf der Stelle zu treten.

Denn Wege entstehen dadurch, dass man sie geht, um die altbekannten Worte von Franz Kafka zu verwenden.

In diesem Sinne wünsche ich uns den Mut und die Kraft, gemeinsam Wege zu betreten, die Demokratie, Freiheit und soziale Gerechtigkeit wieder ermöglichen.

Ihr   Ulrich B Wagner

Ulrich B Wagner

Zum Autor:

Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main. Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.

Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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