Regierungserklärung: Schlagabtausch zum weiteren Kurs in der Euro-Krise

Ein knappes Jahr vor der Bundestagswahl kam es zum ersten Rededuell zwischen der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) und ihrem sozialdemokratischen Herausforderer Peer Steinbrück, Hauptstreitpunkt war der weitere Kurs in der Euro-Krise: Im Anschluss an die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin am Donnerstag, 18.Oktober 2012, zum bevorstehenden EU-Gipfel haben sich Koalition und Opposition einen heftigen Schlagabtausch zum weiteren Reformkurs in der Euro-Krise geliefert.  Während die eine Seite der Bundesregierung vorwarf, der seit drei Jahren anhaltenden Krise stets zu spät, zu zögerlich und mit den falschen Instrumenten zu begegnen, attackierte die andere Seite Steinbrück als Kanzlerkandidaten ohne klare Linie.

Weitgehend einig war man sich über die Fraktionsgrenzen hinweg jedoch in einem Punkt: Der Friedensnobelpreis, der der Europäischen Union in der vergangenen Woche zugesprochen wurde, sei Ansporn und Verpflichtung, die gemeinsamen Probleme durch eine bessere Zusammenarbeit in Europa in den Griff zu bekommen.

„Euro ist „weit mehr als eine Währung“

Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte die Vergabe „eine wunderbare Entscheidung“ des Nobelpreis-Komitees. Sie betonte, dass der Euro „weit mehr als eine Währung“ sei. „Dieser Euro steht symbolhaft für die wirtschaftliche, soziale und politische Einigung Europas“, sagte Merkel und fügte hinzu: „Ich wünsche mir, dass Griechenland im Euroraum bleibt.“  Die Lage dort sei alles andere als einfach, viele Strukturreformen würden zu langsam vorangetrieben, dennoch hätte sie bei ihrem Besuch in Athen einen „ernsten Willen zur Veränderung“ in Politik und Gesellschaft erlebt. Die Kanzlerin stellte klar, dass nach Vorliegen des Troika-Berichts der Bundestag über eine Auszahlung weiterer Tranchen zu entscheiden habe.

Rückendeckung gab die Kanzlerin ihrem Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU) mit seinen Vorschlägen für eine Aufwertung des EU-Währungskommissars. Deutschland sei dafür, der EU-Kommission bei Verstößen gegen die Haushaltsdisziplin „echte Durchgriffsrechte gegenüber den nationalen Haushalten zu gewähren“, sagte Merkel, räumte aber auch ein, dass es gegen ein solches Vorhaben Widerstände bei anderen EU-Mitgliedern gebe.

„Sagen Sie es den Menschen“

Als neues Instrument brachte die Kanzlerin einen Fonds ins Gespräch, der aus den Mitteln der Finanztransaktionssteuer gespeist werden könnte und Reformen in den Mitgliedsländern unterstützen soll: „Nicht alle Länder werden gleichzeitig ihre Haushaltskonsolidierung und die notwendigen Investitionen in Zukunftsaufgaben schaffen“, sagte Merkel. Voraussetzung sei allerdings, dass Mitgliedstaaten mit der EU Reformvereinbarungen für mehr Wettbewerbsfähigkeit schließen.

Peer Steinbrück warf der Bundeskanzlerin vor, in den letzten Jahren keine klare Linie in der Euro-Politik gefunden zuhaben. Merkel sei Getriebene, die stets so lange Nein sage, bis der Druck im Kessel so stark werde, dass sie Ja sagen müsse. So werde es, wie von seiner Fraktion vorausgesagt, weitere Hilfen für Griechenland geben, und es werde über ein womöglich drittes Hilfspaket im Bundestag abzustimmen sein: „Sagen Sie es den Menschen“, mahnte Steinbrück. Merkel habe zugelassen, dass aus ihrer Koalition heraus über Monate ein „Mobbing gegen Griechenland“ betrieben worden sei: „Sie haben laviert.“ Weder Helmut Kohl noch ein anderer Vorgänger hätten es zugelassen, einen EU-Partner für „innenpolitische Händel“ zu missbrauchen.

Kritik an den Rezepten der Koalition

Hart ins Gericht ging Steinbrück mit den Rezepten der Koalition in der Euro-Krise: „Aus einer einseitigen Krisenanalyse folgt eine einseitige Therapie: Sparen, sparen, sparen.“ Dabei strenge sich die schwarz-gelbe Koalition selbst viel zu wenig an, um das deutsche Haushaltsdefizit zu senken. „Vorsichtig formuliert: Es gibt von dieser Bundesregierung keine Vorreiterrolle beim Schuldenabbau in Europa.“

Steinbrück forderte zudem mehr Anstrengungen zur Ankurbelung des Wachstums und bei der Regulierung von Banken und Finanzinstituten. Zur geplanten Bankenunion müsse ein Fonds zur Rekapitalisierung von Instituten gehören, allerdings solle dieser nicht von den Steuerzahlern, sondern von den Banken selbst getragen werden. Steinbrück machte deutlich, dass Europa mehr als ein „Wechselbalg“ der Ratingagenturen sei. „Wir merken, dass uns diese Krise mehr als Geld kosten könnte – nämlich die Legitimation durch unsere Bürger.“

„Ein Fass ohne Boden darf es nicht geben“

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle kritisierte, Steinbrück selbst habe in der Euro-Krise laviert, die Positionen häufig gewechselt: „Steinbrück weiß es besser, aber immer erst hinterher“, sagte Brüderle und fragte: „Wo ist ihr Plan für Deutschland, für Europa?“ Die SPD wolle Steuererhöhungen in Höhe von 30 Milliarden Euro, die Grünen eine Vermögensteuer, die „Millionen, aber nicht die Millionäre“ treffe.

Solche Rezepte würden die deutsche Wirtschaft direkt in die Rezession führen, sagte Brüderle. Die schwarz-gelbe Koalition müsse die Scherben aufkehren, die Rot-Grün unter Gerhard Schröder (SPD) mit der „Beerdigung des Stabilitäts- und Wachstumspakts“ und der Aufnahme Griechenlands in den Euro-Raum hinterlassen habe. Für Griechenland gelte nach wie vor: keine Leistung ohne Gegenleistung. „Ein Fass ohne Boden darf es nicht geben“, sagte Brüderle.

„Schwere Untreue zum Nachteil der Steuerzahler“

Der Fraktionsvorsitzende der Linken, Dr. Gregor Gysi, drehte den Spieß argumentativ um: Das Land werde durch die Sparauflagen in eine so tiefe Rezession gestürzt, dass es die Kredite der europäischen Partner gar nicht zurückzahlen könne. Die Bundesregierung bezichtigte Gysi deshalb einer „schweren Untreue zum Nachteil der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler“.

An Griechenland dürfe „kein Exempel statuiert werden, wie das der weltberühmte bayerische Ökonom Markus Söder fordert“, sagte Gysi. Weiter forderte er den Kauf von Staatsanleihen der Europäischen Zentralbank (EZB), einen weiteren Schuldenschnitt der Banken und die Verhinderung von Steuerflucht.

„Die Richtung stimmt“

Der Vorsitzende der Unionsfraktion, Volker Kauder, stärkte der Bundeskanzlerin auf dem Weg zum EU-Gipfel den Rücken: „Die Richtung stimmt. Wir stehen hinter Ihrer Politik in Europa“, sagte Kauder. Angesichts der Vorschläge für mehr Durchgriffsrechte Brüssels in die nationalen Haushalte pochte Kauder jedoch auf parlamentarische Kontrolle. Ein Mehr an Europa dürfe nicht ein Mehr von Bürokratie und Zentralisierung bedeuten, sondern müsse „ein Mehr an demokratischer Legitimation bedeuten“. Einer Übertragung von Kompetenzen ohne parlamentarische Kontrolle werde seine Fraktion nicht zustimmen.

Kauder kritisierte zudem heftig Peer Steinbrück für dessen Einlassungen zum Betreuungsgeld. Die Empfehlungen der EU-Kommission an Deutschland, auf die sich Steinbrück in seiner Rede bezogen hatte, würden sich zwar auf die Ganztagsbetreuung beziehen, das Betreuungsgeld selbst sei nicht Gegenstand des Kommissionspapiers, betonte Kauder und fügte hinzu: „Auf das Wort eines Kanzlers und Kanzlerkandidaten muss Verlass sein.“

„Wilde und unabgestimmte Vorschläge“

Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Renate Künast, warf der Bundesregierung vor, in der Euro-Krise ohne Plan und Kompass zu agieren: „Sie sind wieder zu spät und fallen am Ende doch um“, sagte Künast mit Blick auf die gemeinsame Haftung über EZB-Anleihen.

Statt die Karten auf den Tisch zu legen und zum Beispiel klarzustellen, dass es ein drittes Hilfspaket an Griechenland geben werde, mache die Bundesregierung „wilde und unabgestimmte Vorschläge“ –  etwa zu einem Sperrkonto für Athen und zu einem „Supermann und Superkommissar“, der über die Haushalte souveräner Mitgliedstaaten den Daumen hebe oder senke. Das Mindeste sei, dass ein solcher Kommissar vom Europäischen Parlament gewählt und auch abberufen werden könne, sagte Künast.

(Deutscher Bundestag / ahe/2012)

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