… die monatliche Genusskolumne "GENIUS LOCI: infinito marche – unendliche Marken" aus der italienischen Region Marken von Paul Nauwerk (Sommelier) und Ulrich B Wagner.
Ein nicht ganz Ernst zu nehmender Versuch über Terrassenweine, Weißweine zur Badehose oder fruchtigen Rotwein zum Bikini danach…
Sommer ist die Zeit, in der es zu heiß ist, um das zu tun, wozu es im Winter zu kalt war.
Mark Twain
Warum die Wahrheit im Kaffeesatz suchen, wenn der doch so angenehm im Wein untergebracht ist, wie André Brie es einmal auf den Punkt brachte. Das haben sich wohl auch unsere zwei Kolumnisten und Weingenießer, der eine Laie, der andere Fachmann aus Leidenschaft, an einem sonnigen Juniabend und einigen Gläsern rotem 2008er Abate Pietro aus dem Hause Le Corti dei Farfensi wohl gedacht, als sie in vorgerückter Stunde dem Klarnamen des ominösen Sommerweins alias Terrassenwein nachgingen: Was hat es denn nun auf sich mit diesem sogenannten Terrassenwein? Oder anders herum: Wer braucht diesen Terrassenwein am Ende des Tages wirklich? Denn wer eine Terrasse hat, kann sich in der Regel etwas Besseres als „Terrassenwein“ leisten. Und wessen Geldbeutel auf „Terrassenwein“ beschränkt ist, der hat in der Regel auch keine Terrasse, sondern mit etwas Glück vielleicht einen Mietsbalkon. Es wäre also korrekter, vom „Mietsbalkonwein“ oder „Hätte-gern-Terrassen-Wein“ zu reden. Aber Werdesprache ist in ihrem Wesen in der Regel gelebter sozialer Zynismus, und deshalb bleibt es beim „Terrassenwein“, dem günstigen Wein, der auf das Lebensgefühl vermeintlich reicher Leute anspielt… Der Laie staunt, der Fachmann schmunzelt. Aber nun allen Ernsts: Was trinkt der Weinfreund bloß als Sommerwein?
Leicht, frisch, spritzig sollte er wohl sein. Also doch der scheinbar nahtlose Übergang vom Spargelwein zum Sommerwein? (Siehe hierzu auch unsere Aprilkolumne.) Denn als vermeintlicher Sommerwein feiert heuer manch unaufgeschraubter Spargelwein seinen zweiten Frühling in den Supermarktregalen der Nation.
Doch was macht man, wenn der Blick aus dem Fenster das Kalenderdatum verhöhnt? Soll man bei 18 Grad im Regen (in Wuppertal beispielsweise) etwa Sommerwein trinken, nur weil theoretisch fast Juli ist? Da trinkt man doch lieber einen herzhaft herbstlichen Bordeaux oder einen gestandenen Rosso Piceno Jahrgang 2009 aus den italienischen Marken. Und glauben Sie uns: Ernsthafte Weintrinker richten sich ohnehin nicht nach der Jahreszeit, geschweige denn nach der Uhrzeit.
Die absurden Auswüchse der Weinwerbung spiegeln, in aller Unschuld wie bereits an anderer Stelle betont, schlicht und ergreifend die Überkomplexität der Weinwelt wider. Oder würden Sie wirklich auf die Idee kommen, jetzt, jahreszeitlich eingestimmt, einen Sommerkaffee zum passenden Sommerbrötchen zu verlangen? Oder den Kellner nach einem Sommerorangensaft zu fragen, der zur Sommerpizza passt? Beim Thema Wein scheint es jedoch normal zu sein, solche Blüten zu schlucken. Die Vielfalt beim Wein ist so groß, dass es weiterer Subkategorien wie Sommer- und Spargelwein bedarf, denn „Wein“ allein könnte ja (sic!) alles sein.
So gesehen ist Sommerwein erst einmal eine gutgemeinte Orientierungshilfe, die besagen soll: Der Wein ist frisch, fruchtig, jung und nicht zu teuer.
Sollten Sie nach der Lektüre dieser Kolumne jedoch in der Tat Lust auf einen Sommerwein bekommen haben, empfehlen wir, ganz ernst gemeint und mit gutem Gewissen, den frischen, sommerlich heiteren 2011er Pecorino „Regesto“ von Le Corti dei Farfensi, dessen Reintönigkeit so klar ist, wie man sich einen sommerlichen Sternenhimmel nur wünschen kann, und als eine der seriöseren Frühsommerfüllungen im Gegensatz zu so mancher überhasteten Frühjahrsfüllung bezeichnet werden darf. Und wenn Sie sich vom jahreszeitlichen Diktat befreien möchten, dann empfehlen wir den ausgezeichneten 2008er Abate Pietro des selbigen Bioweinguts, den wir auch gerade genießen: im Barrique-Fass gereift, vollmundig, lang anhaltend, kraftvoll. Eben genau das richtige für einen sommerlichen Regentag und emanzipierte Weingenießer.
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen einen vielfältigen sommerlichen Weingenuss!
Ihr Paul Nauwerk und Ulrich B Wagner
Zu den beiden Autoren:
Paul Nauwerk, Jahrgang 1971, geboren in Hamburg, studierte Philosophie, Germanistik und Anglistik in Köln. Über einen Studentenjob im Weinfachhandel kam er in die Weinbranche. In Geisenheim erwarb er das internationale WSET Honours Diploma und wurde in den Club der Weinakademiker aufgenommen. Er ist Mitglied der Deutschen Sommelierunion. Seit 2005 arbeitet er als selbständiger Weinberater, Referent und Weintester. Seit 2011 ist Paul Nauwerk zudem unabhängiger Partner von Genius Loci.
Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main. Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie. Zugleich ist er der Marketing- und Kommunikationsberater von Genius Loci.
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