… von Ulrich B Wagner aus seinem „stundenbuch – Zeiten der Einkehr – 1. Woche – Kairos und Chronos auf der Suche nach der verlorenen Zeit„.
Nach den ersten fünf Tagen – Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag – folgt heute:
Samstag
Sich zeitigen
Die Zeit verwandelt uns nicht, sie entfaltet uns nur.
(Max Frisch)
Am Morgen
Blicke in dich. In deinem inneren ist eine Quelle, die nie versiegt, wenn du zu graben verstehst.
Wir sind heute am letzten Tag der 1. Woche angekommen. Ich hoffe, Sie hatten eine inspirierende Zeit und viele neue Denkanstöße bzw. Augenblicke des Innehaltens.
„Sich zeitigen“ ist für mich ein Gefühl des sich Tragenlassens von den Gefühlen, dem Flüstern der Seele, und den Geist in einem Gefühl des Vertrauens und Zutrauens in sich selbst zu hören und zu sehen, wie sich die einzelnen Momente entfalten und ausbreiten.
Vielleicht haben Sie das Glück in ihrer Nähe einen See, das Meer, ein Fluss oder einen Bachlauf zu haben, der Ihnen als Ausflugziel für einen Spaziergang zur Verfügung steht.
Nehmen Sie einen kleinen Kiesel und lassen Sie sich tragen von den Kreisen und Wellen, die dieser beschreibt, wenn er die Wasseroberfläche durchbricht.
Versuchen Sie, diese Wellenbewegung in ihr Innerstes zu übertragen und verweilen Sie bei den Bewegungen Ihrer Seele, dem feinen Rauschen Ihrer Gefühle und Gedanken, um zu erkennen, welche der in dieser Woche gefundenen Gedanken es wert sind, weitergetragen zu werden, um sie wachsen und gedeihen zu sehen.
Vielleicht erinnern Sie sich auch noch an F. Scott Fitzgeralds Umrundungen der Aschenbahn.
Am Mittag
Ich steige mit dem Dachdecker zur Mittagspause vom First die Latten hinab. Hätte ich nicht einmal den ganzen Tag im Haus bleiben sollen, nichts tun als wohnen? Das Glücken des Tages mit purem Wohnen? Wohnen: sitzen, lesen, aufschauen, in Nichtsnutzigkeit prangen. Was hast du heute getan? Ich habe gehört. Was hast du gehört? Oh, das Haus. Ah, unter dem Zelt des Buchs. Und warum gehst du jetzt aus dem Haus, wo du doch mit dem Buch am Platz warst? Um das Gelesene zu beherzigen, im Freien. Und siehe den Winkel im Haus der Aufbruch heißt: ein kleiner Koffer, ein Dictionnaire, die Schuhe. Das Läuten wieder im Turm der dörflichen Kirche: ihre Tonhöhe entspricht genau dem Mittag, jetzt, und in der finsteren Luke ist von ihnen nur ein Schwirren zu sehen, wie von Radspeichen. Tief in der Erdkugel ereignen sich manchmal Beben, die sogenannten „langsamen“, von denen der Planet dann, wie man sagt, noch eine Weile nachläutet; die „Glockenbewegung“, das Läuten der Erde.
(Peter Handke, Der Versuch über den geglückten Tag in Die drei Versuche, Suhrkamp, Frankfurt 2001)
Am Abend
„Heute war die Zeit schön (keine „schöne Zeit“, sondern die Zeit war etwas Schönes, ohne dass etwas extra Schönes passierte)“.
(Peter Handke, Das Gewicht der Welt, Suhrkamp 1979)
In der Nacht
Und es war, es war und es war gut so wie es war, einfach so wahr.
Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.
Zum Autor:
Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main.
Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.
Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.
Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).