Wer bin ich als Chef?

… aus der zweiwöchentlichen Themenserie „Die ersten 100 Tage zählen! So machen Sie ihre ersten 3 Monate als Führungskraft zum Erfolg“ von Volker Schneider.

Die Entscheidung zur Besetzung der Position ist gefallen. Damit weiß ich, was ich bin, nämlich der neue Chef. Aber viel wichtiger ist die Frage „Wer bin ich als Chef?“

In der Literatur zu dem Thema „neu als Chef“ lese ich in den Inhaltsverzeichnissen Kapitel mit Fragen wie, „Wie gestalte ich die ersten Tage meiner neuen Position?, Wie erreiche ich die vorgegebenen Ziele?, Wie gehe ich mit Mitarbeitern und Kollegen um?, Wie motiviere ich meine Mitarbeiter?, usw.“

Natürlich ist die Beantwortung solcher Fragen wichtig und interessant für den neuen Chef. Aber hier wird versucht, Antworten darauf zu geben, wie die neue Führungskraft die unterschiedlichen Erwartungen in ihrem Umfeld bestmöglich erfüllen kann. Erwartungen definieren letztendlich Ziele. Bevor ich mir darüber Gedanken mache, ob und wie ich ein Ziel erreichen kann, sollte ich wissen von wo aus ich starte, also wo ich stehe.

Die Perspektive zu wissen, wie die Umgebung, also z. B. Mitarbeiter, Kollegen, eigene Vorgesetzte und Kunden „funktionieren“, greift viel zu kurz. Es bedarf auch der Selbsterkenntnis der Führungskraft über das eigene „Funktionieren“. Wie kann eine Führungskraft zur Selbsterkenntnis gelangen? Dazu aus meiner eigenen Erfahrung.

Eigene Werte erkennen und danach handeln

Nachdem ich die Entscheidung getroffen hatte, nicht mehr Vorstand in dem Unternehmen sein zu wollen, für das ich tätig war, stellte sich die Frage: was mache ich nun? Ich führte Gespräche mit Eigentümern von mittelständischen Unternehmen, die einen Geschäftsführer oder Vorstand suchten. Zum Teil wirklich interessante Gespräche mit ebenso interessanten Angeboten. Trotzdem hatte ich während und nach jedem dieser Gespräche ein ungutes Gefühl. Irgendwann wurde mir bewusst, dieses Gefühl war innerer Widerstand. Widerstand gegen die zu erwartende Fremdbestimmung. Dinge tun zu müssen, die gegen meine Überzeugung waren. Um dem auf den Grund zu gehen, habe ich mich intensiv mit mir selbst beschäftigt. Ich habe mir ganz klassisch Fragen gestellt wie, was tust du gerne und was nicht, was kannst du gut und was kannst du gar nicht. Ich habe Werteübungen, eignungsdiagnostische Tools, Gespräche mit einem Coach und mit vertrauten Personen genutzt, um meine Werte, Motive und Interessen zu identifizieren. Das nahm einige Zeit in Anspruch. Durch die intensive Auseinandersetzung mit mir selbst wurde mir bewusst, was mir wirklich wichtig ist. Und schnell wurde mir klar, Werte sind das Fundament meines Handelns. Es war ganz schön anstrengend, über sich selbst nachzudenken. Und ich weiß, dass dies auch anderen so geht. Vielleicht ist dies auch der Grund, warum so wenige Führungskräfte die Bereitschaft aufbringen, intensiv über sich nachzudenken. Aus meinen Erfahrungen im Training und Coaching schätze ich, nicht einmal ein Drittel aller Führungskräfte wäre in der Lage, spontan ihre tatsächlichen Werte zu benennen. Um keine Zweifel aufkommen zu lassen, ich rede tatsächlich von den inneren Werten und nicht von mein Haus, mein Auto, mein Pferd, usw.

Bei mir haben diese Überlegungen übrigens direkt in die Selbstständigkeit geführt.

Auch ein neuer Chef wird an den Ergebnissen seiner Handlungen bewertet und gemessen. Dabei ist auch Nichthandeln eine Form des Handels. Psychologen sagen, jedem Handeln (und damit auch jedem NichtHandeln) liegt ein Bedürfnis bzw. Motiv zu Grunde.

Unsere Werte sind die Basis unserer Motive

Das bedeutet, um ein gesamthaftes und stabiles Führungsverständnis zu entwickeln, muss die Führungskraft auch die eigenen Motive, Bedürfnisse und Werte kennen.

Wie wichtig die Perspektive auf das eigene Ich ist, zeigt sich im Alltag der Führungskräfteentwicklung. Auf unterschiedliche Art und Weise werden Führungskräften Werkzeuge zur Verfügung gestellt, um ihren Führungsalltag zu bewältigen. Zum Beispiel den klassischen Managementprozess aus den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts oder diverse Leitfäden für diverse Mitarbeitergespräche. Ob die Führungskraft, die diese Werkzeuge anwenden soll, ein entsprechendes stabiles Führungsverständnis bereits entwickelt hat, bleibt ihr überlassen. Wird ein Werkzeug dann zufälligerweise erfolgreich eingesetzt, schreibt die Führungskraft dies ihrer Führungskompetenz zu Gute. Funktioniert das Werkzeug nicht, ist entweder das Werkzeug Schuld oder derjenige, der damit traktiert wurde. Wie zum Beispiel der äußerst schwierige Mitarbeiter, der einfach die Struktur eines Kritikgespräches nicht verstehen wollte. Das ist in etwa so, wenn Sie jemand mit einem Hammer auf den Schädel schlagen und dann der Hammer bzw. das Opfer selbst daran schuld sind. Auf diese Weise kommt es definitiv nicht zu gelebter Führungsintelligenz.

Gerade für den neuen Chef schafft ein stabiles Führungsverständnis, das die Selbsterkenntnis mit einbezieht, die Voraussetzungen, um wirksam zu führen und Ergebnisse zu erreichen. Die Vorteile für die neue Führungskraft und das Unternehmen liegen auf der Hand. Betrachten Sie dazu einfach die Nachteile und Schäden, die durch ein Scheitern der Führungskraft für diese und das Unternehmen entstehen.

Ein echter Nutzen entsteht, wenn Führungskraft und Unternehmen gemeinsam sicherstellen, dass die neue Führungskraft und – falls möglich – auch der Führungskräftenachwuchs, ein stabiles Führungsverständnis entwickeln können, bevor sie neues Wissen und Werkzeuge erlernen. Dies muss für die Entwicklung durch eigene Vorgesetzte genauso gelten wie im Training und Coaching.

Das nächste Mal sehen wir uns das brisante Thema Seiteneinsteiger versus Aufsteiger im Unternehmen an.

Ihr Volker Schneider

Zum Autor:

Volker Schneider ist Dipl. Betriebswirt, Speaker, Trainer und Coach. Er gilt als maßgebender Experte für Führungsintelligenz. Seine Karriere begann er im Polizeidienst als Streifenbeamter und Zivilfahnder. Danach wechselte er in die Wirtschaft, wo er lange Jahre erfolgreich in verschiedenen Geschäftsführerpositionen und als Vorstandsvorsitzender einer mittelständischen Aktiengesellschaft tätig war.

Heute ist er Inhaber eines Beratungsunternehmens und gibt sein Wissen zum Thema „Intelligenz führt“ in seinen souveränen und humorvollen Vorträgen weiter. In seinen fundierten Seminaren vermittelt der Experte, wie Führungsintelligenz als Antwort auf die Komplexität in Unternehmen aktiv zu implementieren ist. In seinen Coachings unterstützt er auf Augenhöhe Führungskräfte dabei, ihre Führungsrollen und ihr Führungsverständnis weiter zu entwickeln und ihre Mitarbeiter zu aktiven Mitgestaltern des Unternehmens zu machen. „Erfolgreiche Unternehmen brauchen intelligente Führungskräfte – keine Vorgesetzten“ ist seine Kernbotschaft.

Volker Schneider ist Professional Member der GSA – German Speakers Association. Weitere Informationen finden Sie auf seiner Website unter www.volkerschneider.net.

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