Wie lassen sich erneuerbare Energien ins Stromnetz einfügen? MdB Josef Göppel gibt Antworten

Viele Bürger haben die Chance der erneuerbaren Stromerzeugung erkannt und in Photovoltaik-, Windkraft- und Biogasanlagen investiert. Damit der dezentral erzeugte Strom aufgenommen werden kann, müssen die Stromnetze umgerüstet und an einzelnen Stellen verstärkt werden. Findige Ingenieure haben Lösungen entwickelt, mit denen die Verteilnetze bis zu vier mal so viel Strom aufnehmen können ohne neue Kabel verlegen zu müssen. Das spart erhebliche Kosten. Ein Bericht von Josef Göppel

MdB Josef Göppel hat zwei vielversprechende Pilotprojekte in den letzten Wochen besucht. In Larrieden bei Feuchtwangen sorgt ein regelbarer Ortsnetztransformator dafür, dass Solaranlagen, Biogasanlagen und ein Windrad ohne Gefahr für die Netzstabilität zuverlässig einspeisen können.

In Unterfranken wurde der Wechselrichter einer Freiflächenphotovoltaikanlage so ausgelegt, dass er 24 Stunden am Tag Blindstrom bereitstellen kann. Blindstrom ist das Schmiermittel für den Stromtransport. Das Netz verträgt damit deutlich mehr Einspeisung von Sonnen- und Windstrom.

Doch wie funktioniert das Ganze genau? Hier finden Sie die wichtigsten Fragen und Antworten: 2012 liefern erneuerbare Energien mehr als 20 % des deutschen Stromverbrauchs. Deshalb müssen sie auch mehr Verantwortung für die Netzstabilität übernehmen.

Also Bau neuer Stromleitungen?
Es gibt prinzipiell acht Möglichkeiten, das Stromnetz stabil zu halten:

1. Erzeugungsmanagement (Lastdrosselung)
2. Nachfragesteuerung (Lastverlagerung)
3. Bau zusätzlicher Transformatoren
4. Erweiterte Regelung im Mittelspannungsnetz
5. Leitungsbau
6. Speicherbau
7. Blindleistung aus Wechselrichtern
8. Regelbare Ortsnetztransformatoren

Alle Welt redet von Leitungs- und Speicherbau!
Ja, beides ist aber teuer und langwierig. Als schnell realisierbare Lösungen stehen zwei technische Neuentwicklungen zur Verfügung,
– Spannungsstabilisierung mit Wechselrichtern und
– Regelbare Ortsnetztransformatoren.

Schön, aber wie funktioniert das?
Begeben wir uns auf einen kleinen Ausflug in die Physik. Was geht in einer Stromleitung vor sich?

Strom – was ist das eigentlich?
Elektrischer Strom besteht aus Elektronen, die sich in eine bestimmte Richtung bewegen.

Warum bewegen sich Elektronen?
Indem jemand am Ende einer Leitung zusätzliche Elektronen einspeist und so Druck aufbaut.

Stellen Sie sich zum Vergleich einen vollen Gartenschlauch vor.
Sie drehen den Wasserhahn etwas auf und sofort fließt am anderen Ende das Wasser heraus. So ist es auch beim Strom.

Ist das alles?
Nicht ganz! Das strömende Wasser entspricht dem Elektronenfluß. Den nennt man Stromstärke. Der Druck im Wasserschlauch heißt beim Strom Spannung. Entscheidend ist, dass die Spannung immer gleich hoch bleibt, sonst fließt bald kein Strom mehr.

Klar! Und wo ist dabei das Problem?
Jeder Verbraucher, der den Strom einschaltet, senkt die Spannung ab. In Millisekunden müssen von irgendwoher wieder neue Elektronen ins Netz kommen.Je ungleichmäßiger ein Stromnetz beansprucht wird, desto höher ist der Bedarf an Regelleistung.

Wie kann man regeln?
Eine Möglichkeit ist die sogenannte Blindleistung. Sie besteht aus einem kleinen Teil der Elektronen im fließenden Strom, die sich quer zur Hauptrichtung bewegen und so die Spannungsschwankungen ständig korrigieren. Zu viel Blindstrom belastet jedoch das Netz zusätzlich, weil er mit transportiert werden muss, aber beim Verbraucher keine Wirkleistung bringt.

Woher kommt die Blindleistung?
Die bedarfsgerechte Erzeugung der Blindleistung für die Spannungssteuerung ist eine Aufgabe der Kraftwerke. Im Prinzip können das auch dezentrale Anlagen mit erneuerbaren Energien übernehmen.

Wer weiß denn, wie viele Steuerelektronen gerade benötigt werden?
Mikrochips zur ständigen Messung der Stromspannung, schön verteilt über ganz Deutschland. Sie können in jeden Wechselrichter eingebaut werden. Bei größeren Anlagen braucht der Stromnetzbetreiber allerdings einen Zugriff zur Steuerung von außen.

 

Eine Rieseninvestition?Keineswegs! Moderne Wechselrichter in Solarstromanlagen können die Optimalspannung von 230 Volt durch gezielte Impulse von Blindstromelektronen in ihrem Netzabschnitt bereit stellen. Das erspart manche zusätzliche Stromleitung im Verteilnetz, weil die vorhandenen Leitungen gezielter ausgelastet werden können.

Wirklich?Ja. Im Stromnetz der Zukunft können Einspeiser spannungsgeführt betrieben werden. Die Wechselrichter können übrigens auch nachts Blindleistung erzeugen und damit rund um die Uhr zur Spannungshaltung beitragen. 

Woher nehmen die Wechselrichter nachts den Strom?Sie ziehen einen kleinen Impulsstrom aus dem Netz oder sie holen ihn aus ihrem Batteriespeicher. 

Ein Speicher neben jeder Solaranlage?Genau! Es geht nämlich bei plötzlichen Verbrauchspitzen darum, 30 Sekunden zu überbrücken, bis gasbetriebene Blockheizkraftwerke im Schwarm anspringen.Die Solaranlagen der Zukunft arbeiten nicht nur bei Sonnenschein, sondern liefern rund um die Uhr spannungshaltende Blindleistung und Kurzzeitüberbrückungen. 

Klingt gut, aber was kostet das alles?Die Entwickler dieser Technik sagen, mit einem „System-Dienstleistungs-Bonus“ von 1,5 Ct/kWh für den Betreiber der jeweiligen Solaranlage würde sich das neue System schnell verbreiten.

Ist damit das Stromnetz fit für die erneuerbaren Energien?Nicht ganz! Das alte Stromnetz lief nur in eine Richtung, von den Großkraftwerken zu den Verbrauchern. Jetzt kommen Einspeisungen von den Enden her. Bisher lässt sich die Spannung nur in großen Umspannwerken beeinflussen. Nötig ist aber eine viel feinere Regelung in jedem Ortsnetz.

Zukunftsmusik?Nein! Eine naheliegende Lösung besteht darin, den Ortsnetztransformator regelbar zu machen. Dadurch könnte bereits das Niederspannungsnetz deutlich höhere Spannungsschwankungen als bisher aufnehmen. Das kann die Aufnahmefähigkeit des Gesamtnetzes deutlich erhöhen und ist in vielen Fällen kostengünstiger und schneller zu realisieren als der Bau zusätzlicher Stromleitungen.

Wie funktioniert das genau?Die Spannung am Transformator hängt von der Zahl der Drahtwicklungen um einen Magnetkern ab. Im schaltbaren Trafo sitzt eine Reihe unterschiedlicher Wicklungen nebeneinander. Ein Schalter springt von einer Wicklung zur anderen. Es ist wie beim Getriebe eines Autos. 

Kann man die Spannung im Netz nicht auch mit intelligenten Stromzählern im Haushalt steuern?Zähler können nicht direkt steuern, wohl aber Elektrogeräte gezielter einschalten.Die Ausstattung sämtlicher Haushalte mit intelligenten Stromzählern und steuerbaren Haushaltsgeräten braucht auch Zeit.Klüger ist es, jetzt strategische Punkte gezielt zu regeln. Das sind dann nur 600.000 Stationen, von denen jede 50 bis 250 Haushalte versorgt. Dort sitzt der Regler, der die Spannung konstant hält. Er kann 90% der spontanen Abweichungen ausgleichen!

Die deutsche Energiewende

Seit dem Beschluss für eine echte Energiewende mit Atomausstieg entstehen zahlreiche neue technische Lösungen. Deutsche Ingenieure stehen weltweit in der vordersten Reihe beim Einfügen der erneuerbaren Energien in die Stromnetze. Die Welt schaut gespannt auf das deutsche Experiment!

 

Quelle: Josef Göppel MdB 2012 / Dr. Franz Alt – Sonnenseite.com

 

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