Zurück zur Zukunft – oder wie Vergangenheit Zukunft gestalten kann

… aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B Wagner mit dem Titel „Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus„.

Heute: Zurück zur Zukunft – oder wie Vergangenheit Zukunft gestalten kann
Ein Versuch über das Finden und Wiederfinden

Wer die Zukunft erforschen will, muss die Vergangenheit kennen.
Chinesische Weisheit

Das Gedächtnis der Menschen ist das Vermögen, den Bedürfnissen der Gegenwart entsprechend, die Vergangenheit umzudeuten.
George de Santayana

Ist die Zukunft am Ende vielleicht doch nur eine andere Tür, durch die die Vergangenheit in neuem Gewand wieder in die Gegenwart eintritt? Wer weiß. Manchmal wäre dies bestimmt zu hoffen…

Derzeitig werden mal wieder zwei angeblich neue Schlagwörter und Heilsrezepte wie Monstranzen in der Beraterszene um die Welt getragen: Corporate Social Responsibility (CSR) und Employer Branding. Der Laie staunt, der vermeintliche Experte betet ehrfürchtig Floskel für Floskel nach, und der von Anglizismen genervte mittelständische Unternehmer mag die Welt nicht mehr verstehen. Doch anders gefragt: Welcher Managementtrend soll denn jetzt mal wieder wie die sprichwörtliche Sau durchs globale Dorf getrieben werden, um dann, wie viele vor und nach ihr, in die kollektive Vergessenheit des heutzutage vorherrschenden schnell- und kurzlebigen Hin und Her zu verschwinden?

Sei’s drum. Ich für meine Person wurde Ende der 1960er Jahre im äußersten Frankfurter Westen geboren und bin dort auch aufgewachsen. Der Stadtteil war noch eher ländlich geprägt. Es gab zahlreiche landwirtschaftliche Betriebe, bei denen man ab 18.00 Uhr noch mit dem blechernen Milchkännchen die gerade erst gemolkene Milch lauwarm kaufen konnte. Es gab zwei Fußballvereine, mehrere kleine Bier- und Apfelweinwirtschaften und in direkter Nachbarschaft die Rotfabrik, wie sie liebevoll genannt wurde. Dem einen oder anderen ist sie wohl besser bekannt als HOECHST AG, die sich im Zuge der Dormannschen ‚Umstrukturierungsmaßnahmen‘ mit dem französischen Unternehmen Rhône Poulenc zur Aventis AG mit Sitz in Straßburg zusammentat, nachdem man die klassischen Chemieaktivitäten in die Celanese AG abspaltete. Es war einmal… So fangen bekanntlich alle Märchen an. Was ich Ihnen hier erzählen möchte, hatte mit Sicherheit auch seine großen Schattenseiten: Umweltverschmutzung, mangelnde Arbeitssicherheit und vieles mehr. Und doch gab es etwas ganz Besonderes. Etwas, das die Menschen in der Gegend, die zu über 70% dort beschäftigt waren, zu treuen und über Generationen stolze Rotfabriker gemacht hat:

– eine nachhaltige Personalarbeit

– eine Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern und ihren Familien

– einen offenen und ehrlichen Dialog

– ein nachhaltiges Wirtschaften zum Wohle der Menschen und der Region

– Bildungs- und Ausbildungsprogramme

– Förderung von regionalen Freizeit- und Sportaktivitäten

Nachhaltige Personalarbeit war in den 80er und 90er Jahren des vergangen Jahrhunderts, ja sogar bis vor Kurzem nicht gerade eine Domäne der Unternehmen und ihrer Managementberater. Menschen verkamen zu Zahlen und Köpfen, die mit dem spitzen, roten Stift berechnet, abgerechnet und verschoben wurden. Der globalisierte Wanderzirkus des modernen Wirtschaftens und des Casinokapitalismus bot (und bietet nach wie vor) so oder so keinen Spielraum für soziale Verantwortung und eine langfristige Personalarbeit.

Wie auch immer…

In meiner Kindheit fuhren die Rotfabriker noch mit ihren roten Fahrrädern, die sie selbstverständlich von ihrem Arbeitgeber überlassen bekamen, zu ihren kleinen Werkshäusern mit Garten, trafen sich in ihrer Freizeit in geförderten Vereinshäusern und Gesellschafträumen oder gingen im Sommer mit ihren Kindern in das betriebliche Freibad, das auf der grünen Wiese vor den Toren des Fabrikgeländes lag. Eine betriebliche Kranken- und Rentenversicherung sicherte darüber hinaus das tägliche Leben ab, und in Krisenzeiten versuchte man gemeinschaftlich Lösungen zu finden.

Oder nehmen sie den sozialen Avantgardismus der zynisch gerne als Rüstungskonzern verschrienen Stahlschmiede Krupp in Essen. „Wobei die Arbeiterfürsorge wahrlich nicht als eine Erfindung der Essener bezeichnet werden kann. Den Unterschied zu allen anderen machten jedoch der Umfang und die Qualität des Kruppschen Systems. Es bestand zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus einer Kranken-, einer Unfall- und einer Rentenversicherung, aus dem berühmten Kruppschen Konsum und Haushaltsschulen, einem Wöchnerinnenhaus, einem Krankenhaus und einem Erholungsheim, und nicht zuletzt aus Wohnsiedlungen aller Art“ (vgl. DIE ZEIT 2011, Heinrich Theodor Grütter, Die Herren der Ringe). Krupp, dies ist außer Frage auch die Geschichte des Waffenkonzerns des Großdeutschen Reichs, aber auch die Geschichte erfolgreicher und nachhaltiger Mitarbeiterbindung, deren Nachkommen sich auch heute noch gerne als Kruppianer bezeichnen. Selbstverständlich stand über all diesen sozialen, kulturellen und regionalen Wohltaten immer auch das betriebliche Wohl, die Sicherung einer Stammbelegschaft, durch die das Wissen und Qualität gesichert wurde und von der man sich auch in Krisenzeiten nicht trennte. Sie waren es auch, die in die Genüsse der betrieblichen Fürsorge und Wohltaten kamen. Und so war es nur verständlich, dass jeder der konjunkturell Beschäftigten sein Bestes gab, um ebenfalls in die Riege der Kruppianer aufgenommen zu werden.

Vieles von dem, was ich oben ausführte, finden Sie heute wieder in den Hochglanzkonzepten über Corporate Social Responsibility oder Employer Branding, und doch hege ich so meine Zweifel.

Denn es wird am Ende des Tages nicht ausreichen, diese beiden Begriffe modern zu verpacken und mit allem Möglichen zu befüllen, wenn sich das Menschenbild dahinter nicht grundlegend verändert. Mit Menschen spielt man nicht. Sie sind keine bloßen Spielfiguren auf dem Monopolybrett des globalen Raubtierkapitalismus. Es sind Mitarbeiter, Menschen, denen mit Vertrauen und Respekt gegenübergetreten werden muss. Es reicht auch nicht aus ad hoc irgendwelche fadenscheinigen Maßnahmen aus dem Boden zu stampfen und diese beim ersten Windhauch wieder ad acta zu legen. Doch Unternehmen, Gesellschaften und Menschen brauchen dringend wieder solche sozialen Verträge und wechselseitige Engagements, wenn wir erfolgreich bleiben möchten.

Nur müssen sie fest in die Gesamtstrategie des Unternehmens eingebunden werden und von langfristigem Denken und nachhaltigem Handeln geprägt sein, um für alle Beteiligten den Nutzen und die Vorteile entwickeln zu können und nicht zu einer weiteren zynischen Farce moderner Managementheilsversprechen zu verkommen.

Denn nur so können sich Unternehmen zu echten Arbeitgebermarken entwickeln und sich so Fachkräfte, Wissen und Zukunftsfähigkeit sichern.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen Kreativität und Mut, die Vergangenheit in die Zukunft umzudeuten.

Herzlichst

Ihr Ulrich B Wagner

Zum Autor:

Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main.

Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.

Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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