Zwei Studien bestätigen Wirksamkeit der Fumarsäure gegen Multiple Sklerose – sichere Tablette in Aussicht

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Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einer Multiple-Sklerose-Tablette ohne gefährliche Nebenwirkungen für die Patienten ist erreicht. Gleich zwei große Studien mit dem Wirkstoff Fumarat (Fumarsäure) bei schubförmiger Multiple Sklerose (MS) erschienen jüngst im renommierten New England Journal of Medicine. Professor Ralf Gold, Direktor der Neurologischen Klinik, St. Josef Hospital Klinikum der Ruhr Universität Bochum, leitete eine der beiden Studien.

Besonders freut sich das Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, dass die neue Therapie ihren Ursprung in Deutschland nahm, wo der positive Effekt des Fumarats bei MS-Patienten in den 1990er Jahren erstmals festgestellt worden war. Weltweit sind 2,5 Millionen Menschen von MS betroffen und jedes Jahr kommen pro 100.000 Personen 5 bis 10 neue Fälle hinzu.

An der Studie DEFINE (Determination of the Efficacy and Safety of Oral Fumarate) hatten 1234 MS-Patienten zwischen 18 und 55 Jahren teilgenommen. Sie erhielten nach dem Losprinzip entweder täglich zwei bzw. drei Dosierungen mit 240 Milligramm des Fumarsäure-Präparats „BG-12“ oder ein Scheinmedikament. Wichtigstes Kriterium für den Erfolg der Arznei war dabei der Anteil der Patienten, die während des zweijährigen Studienzeitraumes einen Krankheitsschub erlitten. Mit dem Scheinmedikament war dies bei 46 Prozent der Patienten der Fall, wesentlich seltener (27 und 26 Prozent) jedoch bei denjenigen, die täglich zwei- oder dreimal Kapseln mit Fumarat B-12 erhalten hatten.

Die jährliche Schubrate berechneten die Wissenschaftler um Professor Gold mit 0,17 und 0,19 in den beiden BG-12-Gruppen gegenüber 0,36 unter den Placebo-Empfängern, was einer relativen Reduktion von 53 bzw. 48 Prozent entspricht. „Wir haben also die Schubrate halbiert – und das bei guter Verträglichkeit und einem exzellenten Sicherheitsprofil“, so Gold. Dies betont auch Allan H. Ropper, Neurologe vom Brigham and Women’s Hospital in Boston, in seinem Kommentar zu den beiden Studien: „Von Fumarat liegen Sicherheitsdaten über zwei Jahrzehnte vor, sodass es nur geringe Bedenken über Langzeitrisiken gibt.“

Dass diese Therapie nicht nur die Überreaktion des Immunsystems bei der MS zu dämpfen vermag, sondern offenbar auch Nervenzellen schützen kann, zeigen Aufnahmen des Gehirns, die bei 540 Patienten mithilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) angefertigt wurden. Die Zahl neuer Läsionen verringerte sich mit Fumarat B-12 gegenüber dem Scheinmedikament um 73 bis 90 Prozent. Zum Ende des zweijährigen Studienzeitraumes waren 93 Prozent der Patienten mit zweimal täglich Fumarat BG-12 frei von solchen Nervenschäden und 86 Prozent derjeniger, die das Präparat dreimal täglich erhalten hatten. Lediglich 62 Prozent der Placeboempfänger konnten diesen Erfolg aufweisen.

„Seit etwa 15 Jahren wird die Multiple Sklerose in den meisten Fällen mit Interferon oder mit Glatirameracetat behandelt. Beides sind Substanzen, die zwar die Schubrate bei der relapsierend-remittierenden Form des Leidens eindeutig reduzieren können, die aber gespritzt werden müssen“, berichtet Gold. Für den Patienten angenehmer wären Tabletten, doch diese Form der Verabreichung ist bisher nur für den im April 2011 zugelassenen Wirkstoff Fingolimod möglich, der Patienten mit schweren Verlaufsformen vorbehalten bleibt. „Wegen der sehr guten Wirkung und Sicherheit von Fumarat BG-12 hoffen wir auf eine Zulassung durch die europäischen und amerikanischen Behörden im Frühjahr des kommenden Jahres“, so Professor Gold.

Genährt wird diese Hoffnung durch eine weitere Studie, die zeitgleich mit DEFINE im New England Journal veröffentlicht wurde. Unter dem Akronym CONFIRM (Comparator and an Oral Fumarate in RRMS) wurde Fumarat BG-12 bei 1430 Patienten mit dem Immunmodulator Glatirameracetat verglichen und erzielte dabei eine ähnlich robuste Verringerung der Schubrate, wiederum ohne Einbußen bei der Sicherheit.

Erfolgreicher Selbstversuch gegen Schuppenflechte

„Mehr als 50 Jahre hat es gedauert, bis wir so weit gekommen sind“, bemerkt Professor Gold und erinnert daran, wie die Erfolgsgeschichte von Fumarat in Deutschland ihren Ausgang nahm: Hier hatten der Biochemiker Walter Schweckendieck und der Allgemeinmediziner Günther Schäfer sich zunächst mit dem in vielen Pflanzen enthaltenen Fumarat eingerieben und danach im Selbstversuch verschiedene Mischungen geschluckt, mit denen sie erfolgreich ihre Schuppenflechte (Psoriasis) bekämpften. An der Dermatologischen Klinik der Uni Bochum war dann in den späten 1990er Jahren Professor Peter Altmeyer zusammen mit seinem Neurologie-Kollegen Professor Horst Przuntek aufgefallen, dass sich unter Fumaraten bei einigen ihrer Patienten nicht nur die Psoriasis, sondern auch deren MS gebessert hatte. Dies führte zur ersten kleinen Studie mit zehn Patienten. Bald darauf wurde der Schweizer Hersteller des Fumarsäuresalzes durch die US-Firma Biogen Idec aufgekauft, deren Zulassungsstudien der Phase III mit etwa 2800 Patienten nach Vorberichten auf internationalen Kongressen nun endgültig veröffentlicht werden. „Im Rückblick besteht die Entwicklungsgeschichte der Fumarate aus einer Vielzahl glücklicher Verknüpfungen“, sagt Gold und blickt zuversichtlich in die Zukunft: „Für die betroffenen MS-Patienten sind weitere Fortschritte in Sicht.“

Quellen:

Gold, R. et al. Placebo-Controlled Phase 3 Study of Oral BG-12 for Relapsing Multiple Sclerosis. N Engl J Med 2012;367:12

Ropper, Allan H. The „Poison Chair” Treatment for Multiple Sclerosis. N Engl J Med 367, 12

Frank A. Miltner | Informationsdienst Wissenschaft

 

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