Atomkraft weltweit auf dem Rückzug – 429 Reaktoren noch am Netz

Der "World Nuclear Industry Status Report 2012" listet 429 Atomreaktoren auf, die derzeit am Netz sind. Im Rekordjahr 2002 waren es noch 444 Reaktoren. Auch bei der Stromproduktion ist die Atomkraft auf dem Rückzug: mit 11 Prozent trägt sie zur Versorgung bei, 1993 waren es noch 17 Prozent.

Die Atomenergie ist weltweit weiter auf dem Rückzug. "Die meisten Neubauprojekte sind storniert, verschoben oder annulliert worden", heißt es im  "World Nuclear Industry Status Report 2012", den der Energieexperte Mycle Schneider in Paris vorgestellt hat. Demnach wurden in den vergangenen 18 Monaten weltweit 21 Reaktoren stillgeleg,t aber nur neun neue Anlagen in Betrieb genommen. Damit sind weltweit noch 429 Atom-Reaktoren mit einer installierten Leistung von 364.000 Megawatt am Netz. Die Atomkraftnutzung habe ihren Höhepunkt deutlich überschritten, sagt Schneider. Im Rekordjahr 2002 waren 444 Reaktoren in Betrieb.

Die World Nuclear Association hatte zum Jahrestag der Fukushima-Katastrophe noch versucht, gute Stimmung zu verbreiten. Weltweit seien 60 neue Atomreaktoren im Bau, 163 weitere geplant. "Das ist kaum weniger als im Februar 2011, als 62 Reaktoren im Bau und 156 in der Planung waren", hieß es damals im Wall Street Journal. Die Zahlen würden zeigen, "dass Atomenergie durch die Kernschmelze von Fukushima allenfalls einen leichten Dämpfer erhalten hat". 52 Prozent aller Neubauten würden im Asia-Pazifik-Raum entstehen.

Schneiders Bericht kommt nun zu einem anderen Ergebnis: Anders als die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) stuft er die sechs Fukushima-Reaktoren in die Kategorie "stillgelegt" ein. Begründung: Diese Anlagen könnten "beinahe sicher" nie mehr genutzt werden. Zwar würden weltweit noch 59 Reaktoren als "im Bau" befindlich aufgeführt. Viele dieser Projekte existierten aber zum Teil seit mehr als 20 Jahren. Wie etwa das brasilianische Atomkraftwerk Angra 3, das seit 1985 als "im Bau befindlich" geführt wird. Zwar wurde damals die Technik für 750 Millionen DM gekauft und seitdem eingelagert, wofür jährlich 20 Millionen Dollar Kosten anfallen. Ob diese aber auf dem Stand der Technik ist und je ans Netz geht, darf bezweifelt werden.

Solche Beispiele gibt es viele: Kursk 5 in Russland – Baustart 1985, Khmelnitski 3 und 4 in der Ukraine – Baustart 1986 bzw. 1987, den Rekord hält Watts Bar 2 in den USA – Baustart 1972, erst kürzlich wurde die Inbetriebnahme wieder einmal verschoben.

Ausgewertet hat der "World Nuclear Industry Status Report 2012" auch die Menge des Stroms, den alle Atomreaktoren 2011 zusammen produziert haben. Diese lag um mehr als fünf Prozent unter dem historischen Rekord aus dem Jahr 2006. Damit fiel der Anteil der Stromversorgung aus der Kernspaltung seit 1993 – von damals 17 Prozent auf heute elf Prozent. In Deutschland ging die Produktion im Vergleich zum Jahr 2010 um 23 Prozent zurück.

Der Druck auf die nationalen Atom-Aufsichtsbehörden wird wachsen

Durch das Fehlen von Neubauten hat sich auch das Durchschnittsalter der am Netz befindlichen Reaktoren drastisch erhöht, heißt es im Bericht. Demnach liege das Durchschnittsalter der laufenden Reaktoren weltweit inzwischen bei 27 Jahren. Und dieser Trend wird sich fortsetzen: Belgien hatte beispielsweise erst vor Wochenfrist beschlossen, seinen Reaktor Tihange 1 insgesamt 10 Jahre länger am Netz zu halten. Ursprünglich hatte Belgien 2003 einen stufenweisen Atomausstieg bis 2025 beschlossen.

Deshalb rechnet Schneider mit wachsendem Druck auf die nationalen Aufsichtsbehörden, die beschlossenen Laufzeitverlängerungen auch tatsächlich umzusetzen. Als Beispiel führt er dafür auch Deutschland an, wo sich die Lobby vor der Reaktorkatastrophe in Japan erfolgreich durchgesetzt habe.

Nimmt man die Verortung des Atombooms im Asia-Pazifikraum durch die World Nuclear Association ernst, ergibt sich jenseits des Berichts ein trauriges Bild für die Zukunft der Atomkraft: China, das Land mit den bislang ehrgeizigsten atomaren Ausbauplänen, hat zwar nach der Atomkatastrophe von Fukushima drei neue Reaktoren in Betrieb genommen. Alle weiteren Projektplanungen wurden aber auf Eis gelegt.

In Thailand ließ die Regierung infolge von Protesten nach Fukushima ihre Atompläne fallen. Das gilt auch für die Philippinen: Die Baustelle des dortigen Atomkraftwerkes Bataan wurde nach Fukushima zu einer Touristenattraktion. Und der indische Reaktorbau im südindischen Kudankulam liegt weit hinter seinem Zeitplan zurück. Seit 2002 baut Russland hier einen 1.000 Megawatt-Druckwasserreaktor der Baureihe WWER 1000/412.

Die Zukunft der Branche beschreibt Schneider als düster. "Man wird unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten keine Atomkraftwerke mehr bauen können", ist das Fazit seines Reports. 1997 war der Deutsch-Franzose für seine fundierte Kritik an der Atomkraft mit dem Alternativen Nobelpreis geehrt worden. Als Beispiel führt er den finnischen Reaktorbau Olkiluoto an, dessen Baukosten sich von drei Milliarden auf inzwischen 6,4 Milliarden mehr als verdoppelt haben. Deutlich günstiger sind mittlerweile erneuerbare Kraftwerkskapazitäten ans Netz zu schalten.

Wind- und Sonnenenergie – die entscheidende Konkurrenz zur Atomkraft. Wer hätte das noch vor 20 Jahren gedacht?
 

(Quelle: KLIMAARETTER.INFO | Nick Reimer 2012)

 

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