Der computergestützte Hochfrequenzhandel macht mittlerweile rund 40% der Börsengeschäfte in Deutschland aus, in den USA sogar rund 70%. Dabei nutzen spezielle Algorithmen in Sekundenbruchteilen minimalste Differenzen auf den Märkten aus und verdienen damit aufgrund des hohen Volumens in der Summe Milliarden. Rund ein Viertel der bei der Deutschen Börse registrierten Banken und Finanzdienstleister nutzen bereits den schnellen Börsenhandel.
Das Geschäftsmodell steht jedoch nicht nur aufgrund der spekulativen Ausrichtung in der Kritik, kaskadenartige Kettenreaktionen der Computer-Trader können zu erheblichen Kursverlusten führen. Beispielhaft ist der 6. Mai 2010, als eine fehlerhafte Eingabe zum größten Kurssturz der Geschichte an der New Yorker Börse innerhalb von wenigen Minuten führte („Flash Crash“).
Die Mühlen der Politik mahlen langsam
Bereits im März 2012 hatte Bundeswirtschaftsminister Rösler ein 8-Punkte-Programm für eine stärkere Kontrolle der Finanzmärkte vorgelegt. Ein Punkt betraf die stärkere Regulierung des Hochfrequenzhandels: So sollten nach dem Willen Röslers künftig an allen Börsen der EU automatische Handelsunterbrechungen bei starken Kursschwankungen möglich sein, um etwaige Abwärtsspiralen zu unterbrechen (Herdeneffekt). Zudem sollten Händler auch nicht mehr anonym auf den Finanzmärkten agieren dürfen.
Bremsklötze für den Hochfrequenzhandel
Die Bundesregierung hat nun einen Gesetzentwurf beschlossen, um den computergestützten Börsenhandel zu bremsen. Der Entwurf zum sogenannten Hochfrequenzhandelsgesetz sieht neue Regeln für Händler und Börsen vor. Das Finanzministerium nannte es „einen weiterer Baustein im neuen Ordnungsrahmen der Finanzmärkte“, um das Finanzsystem „krisenfester“ zu machen
Algorithmen sollen offengelegt werden
Die Händler in diesem Bereich müssen laut dem Regelwerk künftig eine Zulassung vorweisen. Um diese zu erhalten, müssen sie unter anderem die Algorithmen ihrer Software offenlegen und erläutern, wie sie das Programm testen und warten. Handelsanfragen auf Basis von Algorithmen sollen zudem künftig gekennzeichnet werden müssen.
Die Börsen müssen darüber hinaus Regeln erstellen, nach denen beispielsweise bei auffälligen Kursschwankungen der Handel kurzzeitig ausgesetzt werden kann. Desweiteren sollen sie Gebühren festlegen, wenn ein Händler unverhältnismäßig oft Orders storniert. Dieses Vorgehen gilt als Indiz, um den Preis eines Finanzinstruments zu manipulieren.
Grüne fordern längere Haltungsfristen
Der Opposition gehen die Vorschläge nicht weit genug: Die Grünen fordern längere Mindesthaltezeiten von beispielsweise 30 Sekunden, um die Geschwindigkeit aus dem Hochfrequenzhandel herauszunehmen. Ex-Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) plädiert dafür, nicht nur die Handelsunternehmen einem Zulassungsverfahren zu unterziehen, sondern auch die von ihnen verwendeten Algorithmen, mit denen die Computer arbeiten. Und seitens der von der Koalition auf Eis gelegten Finanztransaktionssteuer würden die minimalen Kursunterschiede nicht mehr ausreichen, um das spekulative Modell gewinnbringend zu betreiben. Der Vorschlag der EU-Kommission: Käufe und Verkäufe bei Börsengeschäften werden mit 0,02% bis 0,2% des gehandelten Papierwerts besteuert. Belastet wird also in erster Linie nur der, der auch viel handelt, respektive spekuliert, also vor allem der Hochfrequenzhandel.
Münchner Rück vs. Spekulation der Banken
Der Vorstandschef des weltgrößten Rückversicherers Münchener Rück, Nikolaus von Bomhard, hatte bereits im September 2011 gefordert: „Vor dem Hintergrund der jüngsten Erfahrungen glaube ich, dass wir um eine bessere Regulierung und intensivere Aufsicht nicht herumkommen. (…) Ich halte die Transparenz bei Finanzprodukten und -transaktionen für nicht immer ausreichend.“ Dies beinhalte unter Umständen auch eine Abkehr von bisherigen auf Kurzfristigkeit ausgerichteten Geschäftsmodellen der Branche: „Und wenn unter der Maßgabe der notwendig größeren Transparenz Geschäfte nicht mehr möglich sind, dann ist es wohl auch nicht schade darum.“ Hier nannte von Bomhard exemplarisch den computergestützten Hochfrequenzhandel. Die Münchner Rück hat wie die meisten Versicherer ein eher konservative Anlagestrategie und ist daher auch relativ gut durch die Finanzkrise gekommen. Sie investiert vornehmlich nachhaltig in festverzinsliche Wertpapiere und ist nicht auf kurzfristige und spekulative Gewinne aus. Daher hat der Rückversicherer auch immer wieder Banken für ihre spekulativen Geschäfte an der Börse kritisiert und darauf bestanden, dass Versicherer und Banken nicht in einen Topf geworfen werden dürfen.
UN-Studie belegt: Hochfrequenzhandel der Börsenspekulanten verzerrt Rohstoffmarkt und ist Preistreiber zulasten der Realwirtschaft
Laut einer Studie der Handelskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) vom März 2012 hat der computergestützte Hochfrequenzhandel zu einem „Strukturbruch“ an den Rohstoffbörsen geführt .Laut den Ökonomen der UNCTAD haben seit dem Jahr 2008 Spekulationen die Preise beispielsweise für Öl oder Mais deutlich stärker beeinflusst als die tatsächlichen wirtschaftlichen Daten. Dadurch sind die Preise von ihren Fundamentaldaten losgelöst und verhalten sich ähnlich wie andere Wertpapiere, beispielsweise Aktien. Die Spekulationsgewinne gehen dann zulasten der Unternehmer und Verbraucher der realen Wirtschaft, die die spekulative Arbeit der häufig institutionellen Anleger (Banken, Hedgefonds etc.) mit Milliarden teuer und ungewollt über die hohe Teuerungsrate bezahlen müssen. Damit werden hart erarbeitete Unternehmensgewinne und Lohnsteigerungen umverteilt und landen statt dessen in den Taschen der Händler in den Finanzzentren und Offshore-Paradiesen. Laut den UNCTAD-Ökonomen hat es vor dem Jahr 2008 statistisch keinen Zusammenhang zwischen den Rohstoff- und den Aktienmärkten gegeben. Erst seit dem Krisenjahr 2008, als Billionengelder aus Angst vor Lehmann Brothers aus den Finanzmärkten in alternative „Anlagemöglichkeiten“ wie Gold oder Rohstoffmärkte flüchteten, sei die Korrelation deutlich gestiegen, woran vor allem der Hochfrequenzhandel einen großen Anteil habe. Das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) hat dies anlässlich des letztjährigen teuersten Rohstoffjahrs aller Zeiten folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Durch die niedrigen Zinsen der Notenbanken, besonders der Fed, stand Anlegern und Hedgefonds viel Liquidität zur Verfügung, die zur Portfoliodiversifikation und Inflationsabsicherung in Rohstoffe investiert wurden.“ Der DIHK hat die Auswirkungen der Rohstoffspekulation für die deutsche Wirtschaft mit einem Preisschild versehen: Für die deutschen Unternehmen bedeuten allein die Preissprünge bei den Rohstoffen auf den deregulierten Finanzmärkten Mehrausgaben von rund 30 Milliarden Euro bezogen auf das Jahr 2010.
Eigennutz weniger geht vor das Gemeinwohl
Dr. Georg Erber, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Wettbewerb und Verbraucher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), hatte Anfang September 2012 in Bezug auf die nach wie vor ausstehende Regulation des spekulativen Hochfrequenzhandels resümiert: „Es ist weiterhin möglich, dass einzelne Marktteilnehmer mit ihrer Gier nach dem schnellen Gewinn sich selbst ruinieren und zugleich Systemrisiken heraufbeschwören. Der Versuch, den Hochfrequenzhandel durch eine Finanzmarkttransaktionssteuer unattraktiv zu machen, hat wegen der fehlenden weltweiten Unterstützung, insbesondere der USA und Großbritanniens, derzeit keine Chance, das Problem rasch und nachhaltig zu beseitigen. (…) Solange die globale elektronische Vernetzung der Finanzmärkte immer weiter voranschreitet, wachsen die Risiken und damit die Schadenssummen. Die Politik sieht dem weitgehend tatenlos zu, und die staatlichen Regulierer hoffen auf den Placeboeffekt halbherziger Maßnahmen. Die Zeche zahlen am Ende die Bürger, die direkt oder indirekt für die Schäden haften müssen, ob sie wollen oder nicht. Eigennutz Weniger geht vor Gemeinwohl. Leider.“
(mb)