Abfälle von Großmärkten sollen künftig energetisch genutzt werden: Im Verbundprojekt EtaMax haben Fraunhofer-Forscher gemeinsam mit Partnern aus der Wirtschaft eine Demonstrationsanlage realisiert, mit der sich welkes Gemüse und matschiges Obst vergären lassen. Das entstehende Biogas wird aufgereinigt und der Methananteil erhöht. Es steht so als Kraftstoff für Autos zur Verfügung. Am 25. Oktober 2012 nahmen die Projektpartner die Anlage gemeinsam mit Minister Untersteller auf dem Gelände des EnBW-Heizkraftwerks in Stuttgart-Gaisburg in Betrieb.
Lässt der Autofahrer am Zapfhahn Erdgas in den Tank strömen statt Benzin oder Diesel, fährt er günstiger und umweltbewusster. Doch Erdgas gehört ebenso wie Erdöl zu den fossilen Brennstoffen, die Reserven sind begrenzt. Im Verbundprojekt EtaMax gewinnen Forscher des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart mit Partnern aus der Wirtschaft den Kraftstoff nicht aus den fossilen Rohstoffreserven der Erde, sondern aus Obst- und Gemüseabfällen vom Stuttgarter Großmarkt. Werden diese Bioabfälle vergoren, entsteht Biogas, ein Gemisch, das hauptsächlich aus Methan und Kohlenstoffdioxid besteht. Die Pilotanlage haben die Forscher direkt neben dem Stuttgarter Großmarkt auf dem Gelände des EnBW-Heizkraftwerks in Stuttgart-Gaisburg aufgebaut. Am Donnerstag nahmen die Projektpartner die Anlage mit rund 80 geladenen Gästen offiziell in Betrieb.
Bisher wird Biogas zumeist mittels Kraft-Wärme-Kopplung in einem Blockheizkraftwerk umgesetzt. Hierbei entsteht – neben Strom – auch Wärme, doch diese geht häufig ungenutzt verloren. »Unser Ansatz ist es, aus Abfällen die maximal mögliche Menge an Biogas zu erzeugen und anschließend als Kraftstoff für mobile Anwendungen aufzu-bereiten«, erläutert Dr.-Ing. Ursula Schließmann, Abteilungsleiterin am Fraunhofer IGB. Die Forscher setzen dabei auf wässrige Bioabfälle mit wenig verholzten Pflanzenteilen. »Diese Abfälle lassen sich optimal vergären, sodass wir einen hohen Wirkungsgrad erzielen«, sagt Dr. Schließmann. Die Stadt Stuttgart stellt hierzu Abfälle vom Stuttgarter Großmarkt bereit.
Professor Thomas Hirth, Institutsleiter des Fraunhofer IGB, ergänzt: »Die Sicherstellung der Energieversorgung ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Dabei ist die bedarfsgerechte Bereitstellung erneuerbarer Energien einer der Schlüsselfaktoren für das Gelingen der Energiewende. Das Projekt EtaMax kann hierzu einen kleinen, aber wichtigen Beitrag leisten, denn es ermöglicht die dezentrale Energiegewinnung aus Reststoffen, die derzeit noch nicht energetisch genutzt werden.«
»Der Umbau der Energieversorgung braucht Wissenschaft und Forschung. Wir müssen eine breite Palette von Technologien entwickeln, um uns verschiedene Optionen offen zu halten. Das Vorhaben EtaMax hat uns von Anfang an überzeugt. Die Umwandlung von Rest- und Abfallstoffen zu Biomethan, das als Kraftstoff nutzbar ist, ist eine Option für den Energiemix, die Schule machen kann. Darüber hinaus wird der Stoffkreislauf nahezu vollständig geschlossen, insbesondere mit Blick auf die Freisetzung von Kohlendioxid. Dies ist vorbildlich und nachhaltig. Wir haben uns daher entschieden, EtaMax für eine Dauer von 5 Jahren mit insgesamt rund 4,3 Millionen Euro innerhalb unserer Förderinitiative BioEnergie 2021 zu fördern«, sagt Ministerialdirigent Wilfried Kraus vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in seinem Grußwort.
Franz Untersteller, Minister für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft des Landes Baden-Württemberg freut sich: »Hier findet Forschung nicht nur im Labor statt, sondern gemeinsam mit der Praxis der Abfallverwertung. Ich bin mir sicher: Das ist der beste Weg, hochwertige und richtungsweisende Technologien zum Wohl der Umwelttechnik und des Standortes Baden-Württemberg zu entwickeln. Die EtaMax-Demonstrationsanlage ist zwar klein, wagt aber technologisch einen großen Schritt. Wenn das Verfahren sich bewährt, haben wir die nahezu perfekte Biogasanlage. Wir wollen Baden-Württemberg zu einer Musterregion für die innovative Bioabfallnutzung und -verwertung weiterentwickeln. Dafür brauchen wir alle Akteure aus der Abfall- und Kreislaufwirtschaft. Dafür brauchen wir aber nicht zuletzt die bestmöglichen Technologien, die den höchstmöglichen energetischen und stofflichen Ertrag aus den Bioabfällen herausholen. Ich bin mir sicher: Hier ist noch vieles möglich und ich verfolge mit Spannung die Ergebnisse dieses Projektes.«
»Die Pilotanlage an unserem EnBW-Standort Stuttgart-Gaisburg wird mit Gemüseabfällen des Großmarktes »gefüttert«. Eine nachhaltigere Verwertung bzw. Veredelung von Abfallstoffen ist kaum möglich. Damit zeigt die Anlage, wie wir mit intelligenten und innovativen Ansätzen mehr erneuerbare Energie erschließen können. Deshalb hat sich die EnBW mit an die Spitze dieses Projektes gestellt. Wir wollen die Energiewende in allen technisch möglichen und wirtschaftlichen Erzeugungsarten aktiv und federführend mitgestalten. Dazu gehört natürlich auch die Erforschung von neuen Methoden und Verfahren«, sagt Dr. Hans-Josef Zimmer, Vorstand Technik der EnBW Energie Baden-Württemberg AG.
»Mit Eröffnung dieser Biogasanlage haben wir nicht nur die Chance, den regenerativen Kraftstoff in der Praxis mit unseren Versuchs- und Entwicklungsfahrzeugen zu testen, sondern profitieren auch von der guten Emissionsbilanz durch Biogas. Die Erfahrungen, die wir aus dem EtaMax-Projekt ziehen, helfen uns bei der Entwicklung neuer gasbetriebener Fahrzeuge. Das ist ein weiterer Baustein für eine nachhaltige Mobilität der Zukunft«, so Dr. Christian Mohrdieck, Leiter des Bereichs Antriebsentwicklung Brennstoffzellensystem im Ressort Konzernforschung und Mercedes-Benz Cars Entwicklung der Daimler AG.
»Als Leiterin der städtischen Wirtschaftsförderung freue ich mich sehr, dass mit der Einweihung der neuen EtaMax-Demonstrationsanlage des Fraunhofer IGB am Wirtschaftsstandort Stuttgart ein neuer Meilenstein der Forschung realisiert wird. Technologische Entwicklungen wie dieses erfolgreiche Projekt basieren auf Kompetenz, Wissen, vorbildlichen Kooperationen und Netzwerken von Forschung und Wirtschaft, auf der Bereitschaft zur Innovation und auf dem Mut zu ständigen Veränderungen. All diese Eigenschaften treffen auf die Fraunhofer-Institute in Stuttgart, die international zu den renommiertesten Forschungseinrichtungen zählen, zu. Eine lebendige Forschungsinfrastruktur und ideale Rahmenbedingungen wie sie in Stuttgart vorzufinden sind, schaffen hierfür beste Voraussetzungen«, sagt Ines Aufrecht, die Leiterin der Wirtschaftsförderung der Landeshauptstadt Stuttgart.
Neue Multisubstrat-Vergärungsanlage
Eine Herausforderung im Projekt: Die Abfälle vom Großmarkt setzen sich jeden Tag anders zusammen, mal ist viel Salat dabei, mal viele Zitrusfrüchte. Zitrusfrüchte beispielsweise enthalten viel Säure, diese beeinflusst das Säuregleichgewicht oder den pH-Wert. Die Mikroorganismen, die die Bioabfälle zu Biogas umsetzen, benötigen jedoch jeweils konstante Umgebungsbedingungen. Damit das Säuregleichgewicht erhalten bleibt, haben die Fraunhofer-Forscher eine flexible »Multisubstratanlage« entwickelt, in der die Mikroorganismen bis zu 90 Prozent der Abfälle abbauen und in nur wenigen Tagen das gewünschte Biogas produzieren. »Wir lagern den Ausschuss vom Großmarkt in verschiedenen Vorratsbehältern. Hier werden automatisch einige Parameter des Abfalls bestimmt, etwa der pH-Wert. Ein eigens entwickeltes Managementsystem errechnet, wie viele Liter des Abfalls aus welchen Behältern gemischt und zu den Mikroorganismen gegeben werden«, erläutert Dr. Schließmann. Das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV in Freising hat zusammen mit dem Unternehmen NETZSCH Pumpen & Systeme GmbH dafür gesorgt, dass die Marktabfälle zuvor energieeffizient für diese Vergärung zerkleinert werden. Ein Prototyp dieser Zerkleinerung ist in der Pilotanlage integriert.
Alles wird verwertet
Ein weiteres Ziel im EtaMax-Projekt ist es, Stoffkreisläufe weitgehend zu schließen. »Es ist uns gelungen, alles zu verwerten – vom Biogas über das flüssige Filtrat, das bei der Vergärung entsteht, bis zum nicht weiter vergärbaren schlammartigen Rest«, freut sich Dr. Schließmann. Dabei hilft eine Algenkultur, die von der FairEnergie GmbH in Reutlingen betrieben wird. In dieser Pilotanlage mit Photobioreaktoren der Subitec GmbH, einem Spin-off des Fraunhofer IGB, wachsen lipidreiche Mikroalgen zu hohen Zelldichten heran. Diese benötigen nur Kohlenstoffdioxid, Sonnenlicht und das Filtratwasser aus der Biogasanlage als Nährmedium, welches genügend Stickstoff und Phosphor enthält. Das Kohlenstoffdioxid, das die Algen zum Wachsen brauchen, erhalten die Forscher ebenfalls aus dem Biogasreaktor in Stuttgart-Gaisburg: Denn das entstehende Biogas setzt sich zu etwa zwei Dritteln aus dem gewünschten Methan, zu etwa 30 Prozent aus Kohlenstoffdioxid zusammen. Da auch Bioabfälle endlich sind, kann die Algenbiomasse, die ebenfalls frei von dem Holzbestandteil Lignin und daher gut vergärbar ist, in der Biogasanlage mit vergoren werden.
Alles, was nun noch übrig ist von den Marktabfällen, ist der schlammartige Gärrest. Und auch dieser wird verwertet: Die Kollegen aus dem Schweizer Paul Scherrer-Institut und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) behandeln die Rückstände mit einer katalysatorgestützten hydrothermalen Vergasung bei hohem Druck und hoher Temperatur – und wandeln sie so ebenfalls in Methan um.
Membran-Aufreinigung erzeugt Biomethan
Das in der EtaMax-Anlage entstehende Biogas bereiten die Mitarbeiter der EnBW Vertrieb GmbH, mit Membranen auf. Hierbei wird Kohlenstoffdioxid entfernt und die Methankonzentration auf 80–95 Volumenprozent erhöht. Dieses aufbereitete Biogas wird anschließend unter Hochdruck verdichtet und in einer Gastankstelle gespeichert. Dieser Anlagenteil, »Gasaufbereitung und Tankstelle«, wurde von der RBS Wave, einer Tochter der EnBW Energie Baden-Württemberg AG, geplant und umgesetzt.
Die von der Daimler AG als Versuchsfahrzeug bereitgestellte 156 PS starke Mercedes-Benz B-Klasse Natural Gas Drive kann nun hier mit dem Biogas betankt werden. Der B 200 NGD fährt im Erdgasbetrieb etwa 300 Kilometer weit und das mit einem Verbrauch von lediglich 4,2 kg auf 100 km – das entspricht einer CO2-Emission von 115 g pro Kilometer. Wird das Fahrzeug mit nachhaltig erzeugtem Biogas betankt, können die Emissionswerte sogar noch um mehr als 50 Prozent gesenkt werden.
In Kooperation mit dem Fraunhofer IGB war die STULZ H+E GmbH zuständig für die technische Umsetzung sowie den Aufbau des Anlagenteils »Gaserzeugung« der Biogasanlage in Stuttgart-Gaisburg. Pro Jahr können in der Demonstrationsanlage 160 Tonnen Rohbioabfälle vergoren werden. Je nachdem, wie sich die Marktabfälle zusammensetzen, werden so pro Tag 20 bis 25 Kubikmeter Biogas erzeugt. Nach der Aufreinigung stehen daraus knapp 15 Kilogramm Biogas-Methan pro Tag zur Verfügung.
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Quelle: Fraunhofer IGB
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