Wer treue Kunden will, muss Kundentreue belohnen. Denn Menschen verstärken Verhalten, für das sie Aufmerksamkeit, Anerkennung und Belohnungen erhalten. Doch leider belohnen Unternehmen nicht selten das falsche.
Wenn uns Gutes widerfährt, wird unser cerebrales Belohnungszentrum aktiv. Es bedankt sich für positive Erfahrungen wie etwa angenehme Kauferlebnisse, unkomplizierte Vorgehensweisen, herzliche Worte, ein ehrliches Lächeln oder ein wertschätzendes Lob, indem es Glückshormone ausschüttet.
Solche körpereigenen Opiate, den Drogen chemisch sehr ähnlich, geben uns ein wohliges Gefühl. Sie machen uns – je nach Art und Dosierung – glücklich, euphorisch, ekstatisch. Und vor allem: Sie machen uns süchtig. Davon wollen wir mehr. Doch leider gilt vielfach im Kundenkontakt: Das falsche wird belohnt.
Das falsche wird belohnt
Wer nämlich als Kunde mit Liebesentzug droht und seine Verträge nicht einfach verlängert, sondern regelmäßig kündigt, kann – zum Beispiel bei Mobilfunk- und Kabel-TV-Anbietern, bei Krankenkassen und Versicherungen, bei Zeitungen und Zeitschriften – so richtig absahnen: fette Gutscheine, satte Nachlässe, Wunsch-Handys, freie Vertragslaufzeiten, kostenlose SMS. Ein paar hundert Euro kommen da schnell mal zusammen.
Aber nur, wenn man kündigt! All die lieben netten braven Kunden, deren Vertrag sich stillschweigend von Jahr zu Jahr verlängert, bekommen natürlich nichts. Nicht mal auf Nachfrage. Untreue wird belohnt. Treue wird bestraft. Schön blöd, unter solchen Umständen treu zu sein. Also: Wir kündigen jetzt überall. Denn wir haben verstanden: Treu sein bringt nichts, wer kündigt, ist Held. Darüber werden wir stolz unseren Freunden berichten. Und im Internet erklären wir der ganzen Welt, wie so was funktioniert.
Beim nutznießenden Kunden kommt sicher Freude auf – doch marketingtechnisch ist so was ein Sündenfall. Denn auf diese Weise wird uns Kunden der letzte Rest Loyalität aus dem Herzen geeist. Wir lernen: Solange wir treudoof die Melkkuh geben, passiert nichts, rein gar nichts: kein Dank, keine Wertschätzung, oft nicht mal ein Kontakt. Erst, wenn wir kündigen, werden die Firmen so richtig entgegenkommend. Da regnet es plötzlich lauter schöne Überraschungen. Das heißt: Kundenliebe wird mit Geld zurückgekauft.
Ein strategischer Sündenfall
„Habe mich grad vorgestern wieder geärgert, dass Sunrise allen möglichen Leuten Geschenke nachschmeißt, nur mir nicht, obwohl ich seit fast zehn Jahren Kunde bin“, erzählt mir eine Schweizer Journalistin. Da ist es ja nur eine Frage der Zeit, bis daraus ein Presseartikel wird.
Wer seine Kunden aufs systematische Kündigen abrichtet, statt sie zu hegen und zu pflegen, dem mag man wünschen, dass dies mit einer wahren Kündigungswelle bestraft wird. Doch leider ist der Schaden größer: Das Misstrauen gegen die Anbieter am Markt wird weiter geschürt. Und die Aggressivität der Verbraucher wird zunehmend steigen.
Beides Dinge, die wir gerade jetzt nun wirklich nicht gebrauchen können. Und schlimmer noch: Verbraucher mit solchen Kündigungserfahrungen werden das nun bei allen und jedem erwarten.
Loyalität muss attraktiver sein als Nicht-Loyalität
Viele Unternehmen belohnen die falschen, nämlich Interessenten, damit sie Neukunden werden und Abwanderungswillige, damit sie bleiben. Auf der Strecke bleiben die Loyalen. Dabei ist doch völlig klar: Für den Kunden muss es einfacher, praktischer, sinnvoller, bequemer, angenehmer – also insgesamt vorteilhafter – sein, seinem Anbieter die Treue zu halten, anstatt ständig die Fliege zu machen. Unternehmen müssen Loyalität attraktiver machen als Nicht-Loyalität. Und sie müssen Kundentreue belohnen – ohne dass man darum betteln muss.
Also: Nicht die unangenehmen Kündiger, sondern die braven Vertragsverlängerer erhalten die Goodies. Nicht die Neukunden, sondern Bestandskunden bekommen die besten Angebote, Sonderpreise, Exklusiv-Services und die ganz unbezahlbaren ‚Money can’t buy‘-Events. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Und sagen Sie dem Kunden unbedingt, dass Sie all das nur deshalb tun, weil er zum Kreis Ihrer Stammkunden zählt. Viele Unternehmen tun viel Gutes für ihre Kunden, aber sie reden nicht darüber.
Die Kunden gefragt
Wer loyale Kunden will, der sollte mit offenen Ohren den Kunden lauschen. So zeigte beispielsweise der bereits Anfang 2007 veröffentliche BMC Churn Index, dass 88 Prozent der deutschen Verbraucher ihren Anbietern gegenüber loyaler wären, wenn diese sich besser um bestehende Probleme kümmern würden. „Die Untersuchung zeigt, dass die Verbraucher ihre Anbieter aufgrund finanzieller Anreize wählen, schlechter Service (!) jedoch der eigentliche Auslöser für einen Anbieterwechsel ist“, erläutert Peter Armstrong, der Vater des BMC Churn Index.
Hier die Hauptabwanderungsgründe:
• neue Rabatte wurden nicht auf bestehende Kunden angewandt
• keine Information bei auftretenden Problemen
• keine Honorierung von Vertragsverlängerungen
• mangelnde Fähigkeiten und Kenntnisse des Call-Center-Personals
• keine Kontinuität bei der Problemlösung
Die Hälfte der in der Studie Befragten klagte übrigens darüber, dass es zwar Prämien für Neukunden, kaum aber für Kundentreue gibt. Durch spezielle Neukunden-Rabatte entstehe das Gefühl, dass sich die Firmen nur um die Neuakquise, nicht aber um bestehende Kunden kümmern.
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Das Buch zum Thema
Kunden auf der Flucht? Wie Sie loyale Kunden gewinnen und halten – von Anne M. Schüller
Orell Füssli 2010, 208 Seiten, ISBN 978-3-280-05382-9
Ausgezeichnet von Managementbuch.de als Testsieger in der Kategorie Kundenbindung
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Über die Autorin
Anne M. Schüller ist Managementberaterin und gilt als führende Expertin für Loyalitätsmarketing. Sie hat über zwanzig Jahre in leitenden Vertriebs- und Marketingpositionen verschiedener Dienstleistungsbranchen gearbeitet. Die Diplom-Betriebswirtin und neunfache Buchautorin lehrt an mehreren Hochschulen. Sie gehört zum Kreis der Excellent Speakers. Zu ihrem Kundenstamm zählt die Elite der Wirtschaft. Ihr Buch „Kundennähe in der Chefetage“ wurde mit dem Schweizer Wirtschaftsbuchpreis 2008 ausgezeichnet.
Kontakt: www.anneschueller.de