BCG-Studie: Perspektivwechsel der Investoren und Regulierungsreformen fordern die Finanzbranche – Implikationen des „New New Normal“ betreffen alle Komponenten der Wertschaffung und machen eine Überprüfung der Geschäftsmodelle erforderlich
Auch fünf Jahre nach Beginn der Finanzkrise bleibt es für Banken schwierig, nachhaltig Wert zu schaffen: Mit -89 Milliarden Euro fiel die Wertschaffung der globalen Finanzbranche 2011 im vierten Jahr in Folge negativ aus. Hauptursache für die negative Wertschaffung sind die Risikokosten, die immer noch 75 Prozent über Vorkrisenniveau liegen – auch wenn sie sich infolge gesunkener Kapitalkosten leicht verringerten. Zusätzlich wurden die Ergebnisse der Banken durch rückläufige Erträge, wieder ansteigende Refinanzierungskosten und weiterhin zunehmende operative Kosten belastet. Der Druck auf die Wertschaffung der Finanzbranche wird auch auf absehbare Zeit hoch bleiben: Banken sehen sich vor der Aufgabe, ihre Geschäfts- und Betriebsmodelle auf den Prüfstand zu stellen und eine umfassende, zentralisierte, bankweite Transformation in Angriff zu nehmen. Zu diesen Ergebnissen kommt die Studie Risk Report 2012: An Inflection Point in Global Banking der Boston Consulting Group (BCG). Sie gibt einen Überblick über den globalen Bankensektor sowie die strukturellen Veränderungen im Markt und beschreibt den Handlungsbedarf der Banken.
Die Perspektive der Eigenkapitalinvestoren: Höhere und stärker differenzierte Eigenkapitalkosten
Während der Krise stiegen die Kapitalkosten von ihrem stabilen Vorkrisenniveau von neun Prozent auf zwölf Prozent für Geschäftsbanken bzw. 16 Prozent für Investmentbanken. Für die Zukunft werden Investoren weiterhin differenzieren zwischen Investmentbanken, die am oberen Ende, und Geschäftsbanken, die am unteren Ende liegen werden. „Die veränderte Wahrnehmung der Investoren hat eine Debatte über die zukünftige Höhe der Kapitalkosten entfacht“, erklärt Gerold Grasshoff, Senior-Partner bei BCG und Mitautor der Studie. „Im heutigen Niedrigzinsumfeld stellt sich die Frage, ob Eigenkapitalkosten und Renditeziele von über zehn Prozent realistisch sind.“
Banken sollten bei der Festlegung ihrer Ertragsziele einen segmentspezifischen Ansatz wählen, um Anreize setzen zu können, die den Interessen der Eigenkapitalinvestoren entsprechen – wie es in vielen anderen Unternehmen bereits der Fall ist.
Die Perspektive der Fremdkapitalinvestoren: Beschränkter Marktzugang und höhere Refinanzierungskosten
Auch die Sicht der Fremdkapitalinvestoren unterliegt strukturellen Veränderungen, was sich insbesondere in einem eingeschränkten Marktzugang und höheren Kreditrisikoprämien für Banken niederschlägt. Banken sind gezwungen, auf andere Refinanzierungsquellen zurückzugreifen, vor allem auf Zentralbankmittel, aber auch auf Einlagengelder und mit Sicherheiten hinterlegte Finanzierungsinstrumente. Da viele der Veränderungen offenbar längerfristig sind, wird sich die Refinanzierung an den Kapitalmärkten selektiver gestalten und dauerhaft teurer werden. „Banken müssen zukünftig die Verfügbarkeit, die Quellen und die Kosten der Refinanzierung stärker in ihre Geschäftsmodelle und Steuerungsmechanismen einbeziehen“, sagt Peter Neu, BCG-Partner und Mitautor der Studie.
Die regulatorische Perspektive: Generalüberholung bis Ende 2012
Die G-20-Reformen, wie z. B. das neue Basel-III-Abkommen – trotz Diskussionen um Verschiebungen in den USA und Europa – sowie zentrales Clearing und Margining für OTC-Derivate, bilden weltweit die neue Regulierungsbasis. Während einige Regulierungen bereits umgesetzt wurden, folgt die Einführung praktisch aller verbleibenden wichtigen Reformen bis Ende 2012 oder Anfang 2013. Zusätzlich zu den G-20-Reformen müssen sich Banken mit vielen nationalen Reformen auseinandersetzen, z. B. der Bankenabgabe und den Vorschlägen der Liikanen-Kommission in der EU, der Volcker Rule in den USA oder den auf dem Vickers-Report basierenden Änderungen in Großbritannien. Der Marktdruck beschleunigt die Umsetzung der Reformen, so dass Banken im Ergebnis den wesentlichen Neuerungen bis Ende 2012 entsprechen oder zumindest einen überzeugenden Plan zur Erfüllung der Anforderungen vorweisen müssen.
Implikationen des „New New Normal“ betreffen Wertschaffung auf Konzern-, Bereichs- und Produktebene
Wenngleich die Branche auf veränderte Marktperspektiven reagiert hat, stehen weitere Anstrengungen bevor; so fehlte Ende 2011 bei etwa 50 Prozent der Banken im BCG-Sample Eigenkapital zur Erfüllung der Mindestkapitalquoten.
„Da der Wendepunkt absehbar ist, müssen Banken sicherstellen, dass sie alle Aspekte des ‚New New Normal‘ angemessen berücksichtigen, wenn sie ihre Geschäftsmodelle anpassen“, resümiert Gerold Grasshoff. „Diese Anpassung muss sowohl für die Gesamtbank als auch auf Bereichs- und Produktebene individuell überprüft werden.“