Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus… Die wöchentliche Business-Kolumne von Ulrich B Wagner.
Heute: Der Wasserspiegel der Seele. Über stille Orte und sonstige Verwandlungen.
Seele des Menschen
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!
Johann Wolfgang von Goethe
Alle Kraft, die wir fort geben, kommt erfahren und verwandelt wieder über uns.
Rainer Maria Rilke
Der wahre Schauspieler ist von der unbändigen Lust getrieben, sich unaufhörlich in andere Menschen zu verwandeln, um in den Anderen am Ende sich selbst zu entdecken.
Max Reinhardt
Der Mensch denkt und Gott lenkt, war immer so ein Ausspruch meiner Großmutter väterlicherseits, wenn das Leben mal wieder nicht die Bahnen nahm, die erhofft, geplant oder von tiefsten Herzen gewünscht waren.
Ohne Rücksicht auf die Freiheitsgrade der Betroffenen scheint das Leben Unvorhergesehenes, Überraschungen – und wenn auch nicht immer ganz so schlimm – zumindest einen Wust von Ablenkungen, Zerstreuungen und ähnliches lebensweltliches Beiwerk zum Leidwesen des doch allzu gern autarken Regisseurs des eigenen Lebens zu produzieren.
Die kurzen Momente, in denen vielleicht dann doch von Zeit zu Zeit ein Gefühl innerer Freiheit entstehen mag, in denen Glück und Regie sich kunstvoll ergänzen und befördern, sind nicht nur rar, sondern äußerst fragil. Werden sie schon nicht durch Äußeres verhindert, droht ihnen fortlaufend Gefahr durch das Kopfkino in unserem Inneren, das uns in den Mitternächten der Seele nicht nur die Hände bindet, sondern auch durch die unendlich erscheinenden Gedankenschleifen zum unlenkbaren Objekt auf der Flugbahn unseres Lebens zu verdammen droht.
Sie merken, es ist Herbst und der Kolumnist gibt sich hoffnungslos dem Schweremut hin. Keine Angst, wir werden die morbiden Nebel, die sich drückend zwischen den Zeilen auszubreiten schienen, auch flugs wieder zu verscheuchen versuchen.
Veränderung und Verwandlung, der Wechsel zwischen den Gefühlen, ist nicht nur ein durch und durch humanistisches Ansehen, sondern bildet auch ein Kontinuum in der abendländischen Literatur und des Kulturschaffens. Es ist aber auch der tiefe Glaube an die Veränderbarkeit des eigenen Ichs, aber auch der Welt an sich zum Besseren hin, der uns letztendlich auch die Möglichkeitsräume erschließt, den Blick zu wenden, um vielleicht in einem Moment des Hinaufblickens sich der eigenen Freiheit wieder zu ermächtigen.
Peter Handkes „Versuch über den Stillen Ort“, vor kurzem bei Suhrkamp erschienen, folgt nicht nur dieser Tradition, sondern schreibt sie fort. In der ihm eigentümlich Form aus Selbstbeobachtung und Essays, untersucht und beschreibt er die kleinen Rückzugsorte vom Toben und Treiben der Menschen und der Welt.
Stille kann lähmen, erdrücken und schwermütig machen, das weiß auch Handke, daher zielt er bewusst auf etwas anderes ab: auf den Übergang, das Aufatmen, wenn die Toilettentür verriegelt ist: „Endlich allein!“ Und auf den Übergang in die andere Richtung zurück: zurück dann wieder in das „Getöse der Räume“ – nach einiger Zeit, die „er regelmäßig überzog und auszukosten versuchte.“ (siehe auch DER SPIEGEL 42/2012)
Es ist das bewusste Heraustreten aus den Zentren in die Peripherien, um von ihnen aus die Horizonte und mit ihnen die eigenen Möglichkeitsräume zu erweitern und dadurch wieder befreiter in die Zentren unserer Lebenswelt zurückkehren zu können.
Vielleicht stehen wir daher einfach zu häufig im windigen Getöse des Zentrums, wenn das Leben wieder einmal eine andere ungewollte Bahn aufnimmt, anstatt es dem Wasser gleichzutun und für kurze Zeit einen anderen Aggregatzustand einzunehmen, um erfrischt und neu zurückzukommen und die eigene Bahn wiederaufzunehmen. Es müssen ja nicht immer die Klosetts dieser Welt sein, um sich zurückziehen zu können, manchmal reicht es ja vielleicht einfach aus, einen Kommunikationssabbat einzulegen, anstatt weiter sich und andere in einem Kommunikationsorkan auf stürmischer See zu terrorisieren.
Stille Wasser sind daher nicht nur tief, sondern bieten auch erst die Oberfläche, damit sich unsere Seele darin spiegeln kann.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen mehr „Stille Orte“ und den mit ihnen verbundenen wertvollen Übergängen.
Ihr Ulrich B Wagner
Zum Autor:
Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main.
Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.
Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.
Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).