Franz Alt über regenerative Regionen und die Energiewende: Was Tokio von Dardesheim lernt

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Die Zukunft beginnt im Harz

Der Windpark von Dardesheim ist auch das Zentrum der Regenerativen Modellregion Harz. Hier erforschten Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts in Kassel mit regionalen Partnern und Eon, wie die hier lebenden 230.000 Menschen schon demnächst zu 100 Prozent erneuerbar versorgt werden können. Unterstützt wurde das Projekt von Bundeswirtschaftsministerium und Bundesumweltministerium.

Über ein Drittel der verbrauchten Elektrizität wird schon heute regenerativ gewonnen. In Spitzenzeiten der ökologischen Energieerzeugung wurden sogar mehr als 100 Prozent der regionalen Last gedeckt. Unterstützung kann dabei die Speicherung elektrischer Energie schaffen – zum Beispiel künftig in Elektroautos. In der Region Harz, so haben die Wissenschaftler errechnet, könnte etwa ein Viertel der jetzt im Landkreis Harz vorhandenen 100.000 PKW künftig als Elektroautos das Pumpspeicherkraftwerk Wendefurth komplett ersetzen.

Das Herzstück der Regenerativen Modellregion Harz ist das virtuelle Kombikraftwerk, dessen Leitwarte im Dardesheimer Rathaus zu besichtigen ist. Es verknüpft die erneuerbaren Energieerzeuger, steuerbare Verbrauchsgeräte, Netze und Energiespeicher in der Region miteinander zu einem „Smart Grid“, zu einem „intelligenten Netz“. Durch die aufeinander abgestimmte Kombination von Erzeugung, Verbrauch, Netzen und Speichern will die Harzregion zeigen, dass mit einem maximalen Anteil erneuerbarer Energieträger eine stabile, zuverlässige und verbrauchernahe Komplettversorgung mit heimischen regenerativen Energien jederzeit möglich ist. Künftig sollen nicht nur alle Einwohner im Landkreis Harz mit Ökostrom versorgt, sondern auch ein Export in benachbarte städtische Regionen möglich werden. Potenziale dafür sind vorhanden – das haben die Wissenschaftler nachgewiesen.

Das innovative Online-Netzwerk ermöglicht den beteiligten Erzeugern, Händlern, Netzbetreibern und Kunden eine ökologisch und ökonomisch optimierte Energieversorgung. Die zentrale Steuerungseinheit koordiniert das neue Energiesystem so, dass bedarfsgerecht Strom erzeugt wird. Die japanischen Gäste sind beeindruckt wie hier die 100-prozentige Energiewende heute schon möglich sein kann. „Wenn die Deutschen das können, dann können wir das auch“, übersetzt schmunzelnd der Dolmetscher.

Tausende kleine ersetzen die großen Kraftwerke

In dieser Modellregion soll es einmal variable Stromtarife geben. Durch steuerbare Lasten wird eine zunehmende Anpassung des Verbrauchs an das Angebot möglich. Bei stürmischem Wind oder strahlendem Sonnenschein wird viel Energie erzeugt – und der Strompreis sinkt. Über einen „intelligenten“ Stromzähler erhält der Kunde Informationen über den aktuellen Strompreis. Künftig kann er also selbst entscheiden, ob er Haushaltsgeräte mit hohem Verbrauch zu günstigen Zeiten laufen lässt – den automatischen Start der Geräte übernimmt das BEMI (Bidirektionales Energiemanagement Interface) – ein Minicomputer, kleiner als das Heft, das Sie gerade lesen. Das hilft, die Schwankungen in der Stromproduktion der vielen kleinen Ökoanlagen mit den Verbrauchsschwankungen auszugleichen. BEMI und das dahinter arbeitende Leitsystem fungieren als Schnittstellen zwischen Kunde, Netzbetreiber und Stromlieferant und garantieren eine ökologisch wie ökonomisch optimierte Energieversorgung. So können tausende kleiner Ökoanlagen in Zukunft die Funktion der alten Großkraftwerke übernehmen und die Grundlast der Elektrizität liefern, aber auch für Heizung, Kühlung und Mobilität sorgen.

Hier im Harz erlebe ich die Zukunft des Energie-Internet. Die künftige dezentrale Struktur unterscheidet sich gegenüber der heutigen zentralisierten in fünf wesentlichen Punkten:

  • Millionen kleine Anlagen ersetzen wenige große, erhöhen damit die Systemsicherheit und reduzieren die Energieunabhängigkeit von außen.
  • Pausenlose Kommunikation über das Energie-Internet schafft den Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage.
  • Die Stromversorgung wird demokratisch das heißt: Viele Teilnehmer sind zugleich Produzenten und Verbraucher und schaffen damit mehr Kapital in der Region.
  • Es entstehen bis zu zehnmal mehr Arbeitsplätze als in der alten zentralisierten Energiewirtschaft.
  • Und: Es gibt keine internationalen Konflikte mehr um Energierohstoffe. Keine Kriege mehr um Öl wie im Irak, sondern Frieden durch Sonne, Wind, Wasser und Bioenergie.

Damit das alles funktioniert, braucht man zum Teil andere Netze. Die Smart Grids müssen ähnlich intelligent sein wie das heutige Internet. Sie können helfen Angebot und Verbrauch von Strom in Balance zu halten. Dann zeigt sich, dass Sonne, Wind und etwas Mist eine gute Zukunft bieten.

Geräte gehen auf Diät

„Müssen meine Bürger jetzt nachts um drei Uhr aufstehen, wenn sie günstigen Strom für ihre Waschmaschine angeboten bekommen?“, wollte der Oberbürgermeister von Quedlinburg bei der öffentlichen Vorstellung des Projekts wissen. Ich konnte ihn als Moderator der Veranstaltung beruhigen. „Nein. Der Computer macht´s.“

Was Energieeffizienz in den nächsten Jahren noch alles zu leisten vermag, haben die Haushaltsgeräte in den letzten Jahren bereits bewiesen: Wasch- und Geschirrspülmaschinen, Kühlschränke und Öfen verbrauchen heute im Durchschnitt 50 bis 70 Prozent weniger Energie als noch vor 15 Jahren. Ähnlich verläuft die Kurve beim Wasserverbrauch von Waschmaschinen und Geschirrspülern. Selbst Staubsaugern und Toastern wurde der Energiehunger abgewöhnt.

Die neuen Ziele sind noch ehrgeiziger: Es gibt schon die ersten Waschmaschinen und Trockner, die erkennen können, wann der Strom am wenigsten kostet, um dann automatisch die Wäschetrommel zu starten. In Pilotprojekten ermitteln Energieversorger derzeit, wie man diese „Smart-Grid“-Anwendungen mit Staffeltarifen und Stromzählern unterstützen kann. Verbraucher delegieren also künftig das energie- und kosteneffiziente Denken an ihre Haushaltsgeräte.

Die Frage aber bleibt: Machen die Verbraucher mit? Das hat die Professorin für Umweltpsychologie an der Universität des Saarlandes, Petra Schweizer-Ries, untersucht. Sie wollte herausfinden, wie die Bevölkerung zu erneuerbaren Energien, zur Elektromobilität und zu Fragen des Lastmanagements steht. Lastmanagement bedeutet, möglichst dann Strom zu verbrauchen, wenn viel davon zur Verfügung steht, sowie den Stromverbrauch in Spitzenzeiten zu reduzieren. Dazu gehört zum Beispiel die Verschiebung von Startzeiten der Geräte, die nicht sofort genutzt werden müssen. Die Ergebnisse: 72 Prozent der Verbraucher sind bereit, die Startzeit für ihre Waschmaschine zu verschieben, 67 Prozent könnten sich das beim Wäschetrockner vorstellen und 76 Prozent bei der Spülmaschine.

In der Modellregion wurde vier Jahre lang getestet, ob und wie der komplette Umstieg auf erneuerbare Energien möglich ist. Das Ergebnis, das die 19 Projektpartner an diesem Herbstabend im romantischen Wasserschloss Westerburg vorstellen, ist eindeutig: Ja, es geht! Die Modellregion kann sogar noch viel Elektrizität exportieren, auch wenn sie zusätzlich zum Strombedarf auch noch den gesamten Wärmebedarf und die Treibstoffe regenerativ abdeckt.

Auch Elektromobilität ist hier schon weitgehend akzeptiert. 59,4 Prozent der Befragten sagen ja zum Elektromobil und nur 16 Prozent lehnen es ganz ab. Es herrscht freilich noch viel Aufklärungsbedarf. Viele der Befragten befürchten, dass die Reichweite eines E-Kfz zu gering sei für den Alltag, sind aber überrascht, wenn man ihnen erklärt, dass der durchschnittliche Arbeitsweg mit einem PKW pro Tag nur 38 Kilometer beträgt. Die Reichweite eines Elektrofahrzeugs beträgt aber bis zu 150 Kilometer.

Fortsetzung des Beitrags von Franz Alt auf Seite 3

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