In einem vielbeachteten Protestaufruf haben sich 172 Ökonomen gegen die Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels gewendet. Jetzt hat sich eine kleine Gruppe Fachkollegen dagegen formiert. Prof. Dr. Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft ist einer von ihnen. Der FAZ hat er ein Interview gegeben.
172 Ökonomen haben gegen die Euro-Gipfelbeschlüsse protestiert – Sie sind gemeinsam mit sechs weiteren Ökonomen gegen diesen Protest. Wollen Sie, dass Länder für die Schulden anderer haften?
Nein, überhaupt nicht. Ich rede hier ja nicht den Eurobonds das Wort. Im Gegenteil: Ich spreche mich strikt gegen eine Haftungsgemeinschaft in jeglicher Form aus.
Öffnen die Gipfelbeschlüsse nicht die Tür für eine Vergemeinschaftung von Schulden?
Das suggerieren die Ökonomen in ihrem Aufruf, ich kann es aber in dieser Form nicht erkennen. Die Gipfelbeschlüsse zeigen, dass der ESM Banken nur dann rekapitalisieren soll, wenn angemessene Auflagen eingehalten werden.
Die Gipfelbeschlüsse sind vage formuliert. Und die Auflagen werden in der Praxis immer schwächer…
Dagegen stehen die schon erheblichen Anstrengungen der Krisenländer – Anstrengungen, die es – folgt man dem Tenor des Aufrufs – gar nicht geben dürfte, weil man nur versuchte, Deutschland auszubeuten. Das geht an der Realität vorbei, auch wenn noch viel zu tun ist. Grundsätzlich ist es aber nicht die Aufgabe der Wissenschaft, die Öffentlichkeit mit emotionalen Aufrufen zu verunsichern. Man kann zu den Gipfelbeschlüssen natürlich ganz verschiedene Meinungen haben. Doch der offene Brief der Ökonomen dramatisiert die Lage bloß.
Erstmal hat er eine riesige Aufmerksamkeit geweckt. War das nicht zu diesem Zeitpunkt der Debatte einmal wichtig?
Die Aufmerksamkeit war auch vorher längst hergestellt. Es geht aber nicht, dass man sich auf seine wissenschaftliche Reputation beruft und dann Argumente liefert, die sich nah am Stammtisch bewegen.
Darin sind Sie sich einig mit Gustav Horn vom gewerkschaftsnahen Institut IMK. Kämpfen jetzt arbeitgebernahe und gewerkschaftsnahe Wissenschaftler Seit an Seit für die Ziele Angela Merkels in Europa?
Wir haben einen Dissens in vielerlei Detailfragen. Das betrifft nicht nur Gustav Horn und mich, sondern teilweise auch die anderen Kollegen, die den Gegenaufruf mitunterzeichnet haben. Uns eint aber die Einschätzung, dass es der falsche Weg ist, einfach nur Furcht zu schüren. Als Wissenschaftler sollte man konstruktiv sein und sich sachlich äußern.
Und dazu sehen Sie die 172 Ökonomen nicht in der Lage?
Das weiß ich nicht. Offenkundig aber ist es nicht so einfach, aus den Gehäusen der Modelle kommend zu politisch und gesellschaftlich relevanten Fragen gleichermaßen angemessen zu argumentieren. Insgesamt und unabhängig von diesem aktuellen Vorgang beobachte ich mit Sorge, dass Relevanz kein bedeutsames Kriterium für die nur universitär orientierte Volkswirtschaftslehre ist.
Was ist Ihre sachliche Äußerung zum Thema?
Es gibt in Europa 29 Banken, die systemrelevant sind. Den Banken in den Krisenstaaten fehlt es an Eigenkapital und sie können in Liquiditätsschwierigkeiten geraten. Diese systemrelevanten Banken kann man mit ESM-Geld stabilisieren, wenn eine europäische Aufsicht effektiv ist.
Die protestierenden Ökonomen um Hans-Werner Sinn sagen: Banken sollten scheitern können. Sonst müssten Sparer und Steuerzahler mancher Länder für die Bankschulden in anderen Ländern aufkommen.
Das Geld der deutschen Sparer ist nicht in Gefahr. Das sieht man an den Erfahrungen, die in Amerika gemacht worden sind. Ein Kapitalisierungsprogramm sollte ähnlich funktionieren, wie es die Vereinigten Staaten mit dem TARP-Programm vorgemacht haben. Dort wurde den notleidenden Banken die wichtige Hilfe gewährt und trotzdem wurden die Aktionäre und Gläubiger nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Am Ende haben die Steuerzahler profitiert.
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Den Protestaufruf der 160 Ökonomen (um Hans-Werner Sinn) finden Sie hier.
Die daraufhin von Peter Bofinger, Gustav Horn, Michael Hüther, Dalia Marin, Bert Rürup, Friedrich Schneider und Thomas Straubhaar im Handelsblatt veröffentllichte Gegenposition zum Protestaufruf finden Sie hier.
(Quelle: IW Köln)