Narzissmus. Über menschliche Makel in Zeiten von Erdogan, Putin & Co.

… aus der wöchentlichen Kolumne „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag“ von Ulrich B Wagner. Nachdem Sie in „Lachen verboten … oder: die spinnen, die Türken!“ erfahren haben, warum wir unseren türkischen Freundinnen zur Seite stehen sollten, geht es heute um den Narzissmus beziehungsweise die menschlichen Makel in Zeiten von Erdogan, Putin & Co.

Wieder dieses knabbernde Lachen. Ich dachte: Es fällt ihm leichter, jemanden umzubringen, als sich in wirklicher Heiterkeit gehenzulassen.“

Philip Roth, Der menschliche Makel

Der Narzissmus liegt allen schweren psychischen Erkrankungen zugrunde


Der narzisstische Mensch verkörpert das, was der Durchschnittsmensch gerne wäre: Er ist selbstsicher, kennt keine Zweifel, fühlt sich jeder Situation gewachsen.“

Erich Fromm, Die Kunst der Liebe

Es ist so ein Ding mit der Pathologisierung der Lebenswelt. Doch es gibt Zeiten, in denen einem das kranke Treiben, das uns – nebenbei bemerkt – bei Leibe nicht erst seit heute bedroht, sondern bereits seit längerem all das, was wir an Humanität, Kultur und Liebe schätzten, unter ihrer krankhaften Selbstbezogenheit begraben hat, uns unverhohlen in unsere verdutzten Gesichter hineinspringt. DER SPIEGEL aus dieser Woche ist beispielsweise eine solche Büchse der Pandora. Bereits mit dem ersten Aufschlagen fällt es einem wie Schuppen von den von Naivität und Gutgläubigkeit erblindeten Augen.

Doch erlauben Sie mir an dieser Stelle zunächst noch nur kurz einen Ausflug ins alte Griechenland, welches wir im humanistischen Geiste erzogene Westeuropäer immer noch gerne als die Wiege unserer Kultur, der Demokratie und der Humanitas ansehen.

In der griechischen Mythologie wird von dem Flussgott Kephisos berichtet, der mit seinem Mäandern die verträumte Wassernymphe Leiriope umschlungen und dann geschwängert hat. Das Ergebnis dieses Exzesses war Narkissos, umgangssprachlich auch gerne Narziss genannt. Auch wenn Sie den weiteren Lauf der Geschichte wahrscheinlich kennen, hier noch einmal die drei Variationen der Tragödie.

Narzissmus damals und heute

Der holde Knabe wurde von Männlein wie Weiblein gleichermaßen verehrt und umschmeichelt. Er jedoch, von sich selbst schier grenzenlos  eingenommen und in seinem trotzigen Stolz auf seine eigene Schönheit berauscht, ließ sie allesamt ohne mit der Wimper zu zucken abblitzen und ignorierte sie völlig. Nicht nur der Bergnymphe Echo soll es so ergangen sein, sondern auch dem bis aufs letzte entschlossenen Bewerber Ameinios, dem Narkissos ein Schwert zukommen ließ. Mit eben diesem brachte sich der Verliebte zwar noch auf der Türschwelle um, nicht aber ohne zuvor die Götter anzurufen, seinen Tod zu rächen. Der gute alte Nemesis hörte die Bitte und strafte Narzissos mit unstillbarer Selbstliebe. Als dieser sich daraufhin an einer Quelle niederließ, verliebte er sich in sein eigenes Spiegelbild. Laut einer Überlieferung von Pausanias ließ sich Narkissos am See nieder, um sich seines Spiegelbildes zu erfreuen, woraufhin durch göttliche Fügung ein Blatt ins Wasser fiel und so durch die erzeugten Wellen sein Spiegelbild trübte. Schockiert von der vermeintlichen Erkenntnis, er sei hässlich, starb er. Nach seinem Tode wurde er in eine Narzisse verwandelt. Eine weitere Version berichtet, Narziss verliebt sich in sein Spiegelbild. Nicht erkennend, dass es sein eigenes ist, will er sich mit diesem Spiegelbild vereinigen und ertrinkt.

Wenn es doch nur so einfach wäre mit unseren heutigen Nachfahren dieses Selbstverliebten, diesen Nachkommen und Gespenstern, die immer und immer wieder in anderer Gestalt dem Grabe entsteigen, und deren Spuk mit einfachen Mitteln nicht nachzukommen ist. Man muss sich ihrer Strahlkraft bewusst sein, möchte man nicht die eine oder andere böse Überraschung erleben.

Stolz auf die eigene Überlegenheit

Man muss sich hierfür nur das Ergebnis einer Studie der Forscher um Brad Bushman von der Ohio State University in Columbus ansehen, die beweisen konnte, dass bei vom Narzissmus betroffenen keine langen Psychotests notwendig sind. Eine direkte Frage an diese gar trolligen Mitmenschen reicht hier vollkommen aus. Sie konnten in insgesamt elf Experimenten die entsprechende Frage ausmachen. Sie lautet: „Wie sehr stimmen Sie der Aussage zu: Ich bin ein Narzisst?“ Ergänzt wurde die Frage mit der Anmerkung, ein Narzisst sei selbstbezogen, geltungsbedürftig und eitel. Dieser einfache Trick funktioniert nach Angaben der Forscher ebenso gut wie ein ausführlicher Psychotest, weil Narzissten ihre Selbstverliebtheit nicht als Problem ansehen. Für sie ist es in keiner Weise anstößig, sich selbst toll zu finden, also schämen sie sich auch nicht, offen darüber zu sprechen. Im Gegenteil: Sie seien geradezu stolz darauf, allen anderen Menschen überlegen zu sein (nach SPIEGEL ONLINE vom 06.08.2014).

Ohne Empathie herrscht Totalität

Warum ich Ihnen das Ganze erzähle? Weil ich mittlerweile davon überzeugt bin, dass das Wissen um diese Spezies und Ihr Verhalten nicht nur für jeden Einzelnen von uns überlebenswichtig ist, sondern auch für die Gesellschaft, dem Frieden und der Demokratie, im Interesse eines soldidarischen und toleranten Miteinanders. Und das Ganze schlicht und einfach, weil diese Damen und Herren keine Empathie besitzen und ohne Empathie herrscht nun einmal Totalität.

Schauen Sie sich doch unter diesem Blickwinkel einmal die Nachrichten an, und betrachten Sie die Damen und Herren, die uns derzeitig so häufig ratlos zurücklassen und nicht nur so beiläufig jedwedes liberale und humanstische Menschenbild mit Füßen treten. Die Erdogans, Putins, Sarkozys, Berlusconis, Sarrazins oder wie sie auch alle heißen, die nicht nur die humanitäre Sensibilität, sondern auch jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren haben. Von so manchen Exemplaren aus unserem nächsten Umfeld in diesem Kontext ganz zu schweigen.

Sich frühzeitig gegen den Narzissmus zur Wehr setzen

Diese Menschen reichen sich. Und wenn wir es in unserer Abgstumpftheit zulassen, werden sie uns alle nur noch als Fußabtreter benutzen. Es gibt eine lange Tradition, von Kaiser Augustus (den Petraca gerne den Blutsäufer und Totgräber der Republik nannte und der in seinem Wahn zu Lebzeiten über 25.000 Porträts von sich anfertigen ließ) über Napoleon oder den eingebürgerten Deutschen aus Niederösterreich bis in die heutigen Tage.

Es ist an der Zeit, diese Menschen sowohl im privaten, als auch im beruflichen und gesellschaftlichen Kontext  zu erkennen, ihre (Wirk-) Schemata und ihren Egoismus zu entdecken und zu entlarven, um Maßnahmen zu entwickeln und sich in der Folge gegebenenfalls frühzeitig gegen sie wehren zu können.

Ihr Ulrich B Wagner

Über Ulrich B Wagner:

Ulrich B Wagner
(Foto: © Ulrich B. Wagner)

Ulrich B Wagner (Jahrgang 1967) ist Diplom-Soziologe, Psychologe, Schriftsteller und Kolumnist. Sein Studium der Soziologie, Psychologie & Rechtswissenschaften absolvierte er an der Johann Wolfgang von Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zusammen mit Professor Karl-Otto Hondrich arbeitete er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema  „Sozialer und kultureller Wandel“.

Ulrich B Wagner ist Dozent an der european school of design in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt  Kommunikationstheorie, Werbe- und Konsumentenpsychologie, sowie Soziologie und kultureller Wandel und arbeitet als Berater sowie systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikation und Konzeptentwicklung, Begleitung von
Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Mail ulrich@ulrichbwagner.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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