Belastungsgrenzen des Ökosystems vielfach erreicht

„Die Belastungsgrenzen des Ökosystems unseres Planeten sind vielfach bereits erreicht oder gar schon überschritten“: So bringt Dr. Hermann Ott eine zentrale Botschaft der bisherigen Ergebnisse der von ihm geleiteten Projektgruppe 3 in der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ auf den Punkt. Das Plenum des Gremiums diskutiert am Montag, 24. September 2012, den zum Teil bereits fertiggestellten Abschlussbericht von Otts Team, das sich mit Ressourcenpolitik und besonders mit einer spürbaren Reduzierung des Rohstoffverbrauchs befasst. Nach den Worten des Grünen-Abgeordneten hat die Arbeitsgruppe eine „drastische Analyse“ über die dramatischen Folgen eines zu hohen Ressourcenkonsums erarbeitet – und dies im Konsens von Koalition und Opposition, „das hätte kaum einer für möglich gehalten“. Strittig ist indes der Forderungskatalog, der sich als Konsequenz aus der alarmierenden Bestandsaufnahme an die künftige Politik richten soll. Ott will „alles versuchen“, um auch zu diesen Handlungsempfehlungen eine Einigung zu erzielen, schließt aber nicht aus, dass es letztlich zu zwei verschiedenen Voten kommt.

„Bruttoinlandsprodukt weiterentwickeln“

Die öffentliche Sitzung, die Ott mit einem Referat einleitet, beginnt unter Vorsitz von Daniela Kolbe (SPD) um 13.15 Uhr im Saal E 700 im Paul-Löbe-Haus in Berlin. Sie wird live im Parlamentsfernsehen, im Internet auf www.bundestag.de und auf mobilen Endgeräten übertragen.

Aufgabe des Gremiums ist es, das rein ökonomisch und quantitativ ausgerichtete Bruttoinlandsprodukt als Messgröße für gesellschaftliches Wohlergehen weiterzuentwickeln und etwa um ökologische, soziale und kulturelle Kriterien zu ergänzen. Letztlich soll die Arbeit der 17 Parlamentarier und 17 Wissenschaftler in die Definition dessen münden, was als nachhaltiges Wirtschaften und qualitatives Wachstum gelten kann und wozu als wesentliches Element die Entkopplung des Rohstoffverbrauchs von der Steigerung der Wirtschaftsleistung gehört.

„Künstlich Grenzen setzen“

Laut Ott ist sein Team zu der besorgniserregenden Erkenntnis gelangt, dass sich eine Überforderung der Ökosysteme nicht erst am Horizont abzeichne, sondern in manchen Bereichen bereits eingetreten sei – was sich besonders im Klimawandel, beim Artenschwund und in der Belastung natürlicher Kreisläufe durch zu viel Stickstoff als Folge von Düngung zeige. Weltweit würden etwa täglich 75 Millionen Tonnen Kohlendioxid emittiert, 50.000 Hektar Wald zerstört oder 350.000 Tonnen Fisch gefangen. Entsprechend dem Ressourcenkonsum und der Schadstoffbelastung würden eigentlich 1,3 bis 1,5 Erden benötigt.

Die Projektgruppe fand laut Ott heraus, dass abgesehen vom Öl die Lagerstätten energetischer Rohstoffe wie etwa Kohle „noch sehr, sehr lange reichen“. Von daher werde sich die Problematik der Umweltbelastung und vor allem des Klimawandels nicht einfach im Zuge sinkender Ressourcenvorkommen zusehends von selbst entschärfen: „Deshalb müssen wir dem Rohstoffverbrauch und dem Schadstoffausstoß künstlich Grenzen setzen.“

„Ressourceneinsatz reduzieren“

Der Parlamentarier plädiert für „Preissignale“; bisher hätten „Atmosphäre und Meer keinen Preis“. Kontrovers diskutiert werde in der Arbeitsgruppe, wann der Höhepunkt bei der Förderung von Öl erreicht ist, von dem ab immer weniger Öl gewonnen werden kann.

Ott ist überzeugt, dass es nicht ausreicht, im Sinne einer Entkopplung den Rohstoffverbrauch in Zukunft weniger stark steigen zu lassen als das Wirtschaftswachstum. Nötig sei vielmehr eine Reduzierung des Ressourceneinsatzes, „aber das ist kompliziert zu verwirklichen“. Das habe auch mit dem „Rebound-Effekt“ zu tun: Dieser Fachbegriff beschreibt das Dilemma, dass Einsparungen beim Rohstoffkonsum neutralisiert werden können durch eine Ausweitung dieses Verbrauchs, was durch mehr Effizienz erst ermöglicht wird. Ein Beispiel: Sinkt bei Autos infolge besserer Motortechniken der Benzinbedarf, dann kann der Treibstoffkonsum durch mehr Fahrkilometer, mehr PS oder Extras wie Klimaanlagen wieder erhöht werden.

„Technische Lösungen reichen nicht aus“

Laut Ott ergaben die Analysen seines Teams, dass dieser „Rebound-Effekt“ viel stärker als vermutet ist und „deshalb auch schwieriger zu bekämpfen ist“. Technische Lösungen allein reichten nicht aus. Der Bericht skizziere mehrere denkbare Ansätze: die Einführung von Verbrauchsgrenzen, die politisch verfügte Verteuerung des Energie- und Rohstoffkonsums parallel zur Steigerung der Ressourceneffizienz oder die Streichung von umweltschädlichen Subventionen. Allerdings ist offen, wie diese Strategien gewichtet werden sollen – Konfliktstoff für die Debatte über die Handlungsempfehlungen der Kommission.

Die Projektgruppe hält nach Otts Worten globale Konzepte zur Eindämmung des Rohstoffverbrauchs für unabdingbar. In welchem Maße aber sind auch auf nationaler Ebene erfolgversprechende Maßnahmen machbar? Sollen einzelne Länder eine Vorreiterrolle übernehmen? Letzteres wirkt sich aus Sicht von Kritikern finanziell nachteilig aus. Ein zwischen Koalition und Opposition bislang strittiges Thema, so der Grünen-Abgeordnete.

Vorschläge für politische Konsequenzen

Nach der Debatte über die analytische Bestandsaufnahme wolle die Arbeitsgruppe, so Ott, im Blick auf die politischen Konsequenzen zunächst keine Vorschläge unterbreiten, sondern „zuerst zuhören“, welche Ideen die anderen Mitglieder des Kommission unterbreiten und dann erst eigene Stellungnahmen abgeben. Die Diskussion über den Aufgabenkatalog in der Zukunft birgt jedenfalls reichlich Zündstoff in sich, wie die vergangenen Monate gezeigt haben – etwa zur Frage, in welchem Maße man auf marktwirtschaftliche Instrumente oder auf staatlichen Dirigismus setzen soll.

Im Anschluss an die Sitzung stellen sich einige Abgeordnete aus der Kommission im Online-Chat den Fragen und Anmerkungen derjenigen, die die Übertragung der Sitzung verfolgt haben.

Kritik und Anregungen erwünscht

Die Enquete-Kommission will die Öffentlichkeit besser in ihre Arbeit einbeziehen und lädt dazu ein, sich mit Kritik, Anregungen und Fragen in die Debatten einzumischen. Das Gremium will seinem Auftrag nicht hinter verschlossenen Türen nachgehen, sondern Impulse von außen in die Suche nach einem neuen Wohlstandsbegriff integrieren.

Schon bisher konnte man sich per E-mail (enquete.wachstum@bundestag.de) zu Wort melden, eine Möglichkeit, die auch weiterhin bestehen bleibt. Inzwischen lassen sich zudem die öffentlichen Sitzungen der Kommission aktuell kommentieren, während der Direktübertragung auf www.bundestag.de oder auch später beim Anschauen von Videoaufzeichnungen, die in der Mediathek des Bundestages angeboten werden. Dort befinden sich die entsprechenden Links zur Kommentarfunktion.

Kommentare vor und nach den Sitzungen möglich

Im Vorfeld einer öffentlichen Sitzung des Gremiums wird auf www.bundestag.de ein Text veröffentlicht, der im Blick auf die anstehende Diskussion das jeweilige Thema näher erläutert. Am Ende dieser Vorschau ist der Link „Kommentarfunktion“ vermerkt, der schon vor Beginn eines Treffens aktiviert wird und die Möglichkeit verschafft, Kommentare zu schreiben und zu senden – die dann öffentlich einsehbar sind.

Nach solchen Tagungen erscheinen auf www.bundestag.de Berichte über die Diskussionen bei diesen Sitzungen, die jeweils einige Tage auf der Homepage verbleiben – womit die Debatten über die Links am Schluss der Texte auch nachträglich kommentiert werden können.

Zeit: Montag, 24. September 2012, 13.15 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 700

Interessierte Besucher können sich einige Tage vor der Anhörung unter Angabe des Vor- und Zunamens und des Geburtsdatums im Sekretariat der Enquete-Kommission anmelden (E-Mail: enquete.wachstum@bundestag.de). Zur Sitzung muss ein Personaldokument mitgebracht werden.

-> Weiterführende Informationen sowie Gutachten auf der Website der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“.

 

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