Biosprit: Teller und Tank statt Spekulation und Müll

Die Diskussion um Sinn oder Schaden von Biosprit geht in eine nächste Runde. Auf der einen Seite fordern die Verbraucherorganisation Foodwatch, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und Bundesentwicklungsminister Niebel (FDP) den Stopp der Subventionen für Biosprit und ein Ende von E10, der 10% Beimischung von Biosprit (Bioethanol) zum gängigen Benzin. Grund: Biosprit fördere die Konkurrenz zwischen Teller und Tank. Der Anbau von Nutzpflanzen zur Energie- und Spritgewinnung gehe zu Lasten der Nahrungsmittelproduktion, was in der Folge die Preise auf dem Weltmarkt explodieren lasse und somit unverantwortlich gegenüber den ärmsten Ländern sei. Bereits heute hungert rund eine Milliarde Menschen, jeder siebte, mit der Folge zunehmender Hungerrevolten in den Entwicklungsländern seit 2008.

„Teller oder Müll“ statt „Teller oder Tank“

Dem hat kürzlich Dr. Franz Alt, Vorkämpfer für die Erneuerbaren Energien, eine andere Rechnung entgegengehalten: Die Fleischproduktion ist der größte Vernichter der Lebensmittel – und natürlich der Mensch selbst, der 40% der Lebensmittel einfach in den Müll wirft. So werden in den Industriestaaten 70% der Maisernte als Tierfutter verwendet, aber nur drei Prozent als direkte Nahrungsmittel für Menschen – für die Produktion von einer Kalorie Fleisch werden bis zu sieben Kalorien Getreide benötigt. Und zugleich werfen die Deutschen über 40 Prozent ihrer Lebensmittel weg und essen zudem auch mehr Fleisch als ihnen gut tut. Hier würden die eigentlichen Hungerursachen liegen und nicht in der zehnprozentigen Bio-Beimischung bei E10. Ähnlich ist die Relation auch bei Sojabohnen: 34% der Welternte werden an Tiere verfüttert, aber nur sechs Prozent dient der Bio-Ethanol-Produktion. Insgesamt dienen über drei Viertel der landwirtschaftlich genutzten Ackerfläche weltweit der Fleischproduktion. Zusammengerechnet benötigt Deutschland rund die Hälfte seiner Ackerflächen für Lebensmittel, die wir dann anschließend einfach wegwerfen – demgegenüber wird in Deutschland lediglich auf 10% der Ackerfläche Bioenergie angebaut.

Spekulation mit Nahrungsmitteln als Preistreiber

Im April 2011 hatte u.a. Weltbank-Präsident Robert Zoellick vor einer möglichen Wiederholung der Nahrungsmittelkrise des Jahres 2008 gewarnt, auch als „Hungerrevolten“ bekannt. Damals hatten Börsenspekulanten und institutionelle Anleger wie Hedgefonds und Banken panikartig und skrupellos im unmittelbaren Vorfeld der Lehmannpleite Billionen an Geldern aus den kurz vor dem kollabieren stehenden Finanzmärkten in die Rohstoffmärkte umgeleitet und ganz ohne Anstrengungen Gewinne aus der daraus resultierenden Preissteigerung eingefahren – zum Leidwesen der Ärmsten (Lebensmittelpreise) und der realen Wirtschaft (Rohstoffe). Anlass der Sorge Zoellicks: Die weiterhin strauchelnde Finanzwirtschaft hatte sich seit 2008 auf das systematische Spekulieren mit Rohstoffen und Nahrungsmitteln spezialisiert, um die im Vorfeld der Krise 2008 aufgeblasenen Gewinne auch während der Finanzkrise weiter zu halten. So waren die Lebensmittel- und Rohstoffpreise 2011 beinahe wieder auf dem Rekordniveau von 2008 angelangt – allein 2010 waren die Nahrungsmittelpreise wieder um ein Drittel gestiegen. In diesem Zusammenhang hatte sogar US-Starinvestor George Sorros ein Verbot der Spekulation auf Nahrungsmittel gefordert: „Das ist so, als ob man in einer Hungerkrise heimlich Lebensmittel hortet, um mit den steigenden Preisen Profite zu machen.“ Diese Kritik an dieser moralisch fragwürdigen Art der Bereicherung lässt sich jedoch auf sämtliche Rohstoffspekulationsgeschäfte ausdehnen, da hier keineswegs unternehmerische Werte geschaffen werden. Auch die Süddeutsche Zeitung hat in Bezug auf den Unterschied zwischen Spekulation und Investition geschrieben: „Es ist einer der größten Skandale in der Wirtschaftswelt, dass hemmungslose Spekulation mit Grundnahrungsmitteln möglich ist.

Laut dem WDR-Magazins „Monitor“  hat sich die Spekulationssumme allein im Jahr 2008 um 600% vervielfacht. Laut dem Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) war das Jahr 2011 mit 12,4% Preisanstieg bei Rohstoffen ohne Energie und mit 22,4% inklusive der energetischer Rohstoffe das teuerste Rohstoffjahr der Geschichte – unter Rohstoffe werden auch Lebensmittel subsummiert. Die Erklärung des HWWI für die Teuerung trifft den Kern der bereits geäußerten Kritik an den Finanzmärkten, dem Preistreiber Nummer Eins: „Durch die niedrigen Zinsen der Notenbanken, besonders der Fed, stand Anlegern und Hedgefonds viel Liquidität zur Verfügung, die zur Portfoliodiversifikation und Inflationsabsicherung in Rohstoffe investiert wurden.“

Mit der Aktion „Hände weg vom Acker, Mann!“ rief auch die die Verbraucherorganisation Foodwatch Ende 2011 zu einer Protestaktion gegen den Chef der Deutschen Bank auf. Darin hieß es: „Josef Ackermann ist als Präsident des Weltbankenverbandes IIF der mächtigste Lobbyist der Finanzwirtschaft und als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank Chef einer der größten Investmentbanken der Welt. Von ihm fordern wir: Die Deutsche Bank soll aus der Spekulation mit Agrar-Rohstoffen aussteigen. Und die Bankenlobby soll nicht länger eine effektive politische Regulierung der Spekulation blockieren. Die Zockerei im globalen Rohstoff-Kasino muss gestoppt werden.“

Hochfrequenzhandel ist Treiber der Rohstoffspekulation

Eine Studie der Handelskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) hat zudem die Struktur der Rohstoffspekulation untersucht und kam zu dem Ergebnis: Der computergestützte Hochfrequenzhandel habe zu einem „Strukturbruch“ an den Rohstoffbörsen geführt, mit dem Ergebnis einer Destabilisierung der Rohstoffpreise, mit plötzlichen und scharfen Korrekturen der Preise – meist nach oben. Laut der UNCTAD-Studie haben Spekulationsgeschäfte die Preise für Öl oder Mais seit dem Jahr 2008 deutlich stärker beeinflusst als die tatsächlichen wirtschaftlichen Daten. Dadurch sind die Preise von ihren Fundamentaldaten losgelöst und verhalten sich ähnlich wie andere Spekulationsobjekte, beispielsweise Aktien. Für die Gewinne der Spekulanten müssen dann die Unternehmer und Verbraucher der realen Wirtschaft aufkommen, die die virtuelle Arbeit der häufig institutionellen Spekulanten (Banken, Hedgefonds etc.) mit Milliarden teuer und ungewollt bezahlen müssen. Geld, das dadurch an anderer Stelle fehlt und über die hohe Teuerungsrate Unternehmensgewinne und Lohnsteigerungen auffrisst – und statt dessen die Taschen der Spekulanten in den Finanzzentren und Offshore-Paradiesen füllt. Laut den UNCTAD-Ökonomen hat es vor dem Jahr 2008 statistisch keinen Zusammenhang zwischen den Rohstoff- und den Aktienmärkten gegeben. Erst seit dem Krisenjahr 2008, als Billionengelder aus den destabilisierten Finanzmärkten in alternative „Anlagemöglichkeiten“ wie Gold oder Rohstoffmärkte flüchteten, sei die Korrelation deutlich gestiegen. Laut der Studie hat dabei nun vor allem der Hochfrequenzhandel innerhalb der Spekulation einen großen Anteil. Mittlerweile werden rund 70% der Börsengeschäfte in den USA und bis zu 40% der Geschäfte in der EU nur noch von Computern gesteuert.

Ausverkauf der Agrarflächen in den Entwicklungsländern

Auf ein weiteres Problem hat Le Monde diplomatique in der Ausgabe September 2011 hingewiesen: Der massive Aufkauf von agrarischen Nutzflächen in Afrika durch die reichen Staaten vor allem des Nahen und Mittleren Ostens, die damit ihre Lebensmitteleinfuhren decken wollen – auf Kosten der regionalen Versorgung vor Ort. Allein 2009 haben auf diese Weise 45 Millionen Hektar Nutzfläche ihren Besitzer gewechselt, rund 10-mal soviel wie in dem langjährigen Mittel zuvor. So sei beispielsweise die akute Hungersnot am Horn von Afrika zu großen Teilen auch auf den Verkauf der Ackerböden ans Ausland für den Nahrungsmittelexport zurückzuführen – mit entsprechenden Lücken für die eigene Versorgung. Allein Äthiopien, das derzeit mit am stärksten unter der Hungersnot leidet, hat 2008 rund 350.000 Hektar Land an ausländische Investoren verkauft. Gravierend auch, dass zuvor die Bodenverhältnisse meist nicht angemessen geregelt waren, so dass viele Kleinbauern ihr Land entschädigungslos verlieren und ihrer Existenzgrundlage beraubt werden (siehe Le Monde diplomatique September 2011).

Verbot von Biosprit führt zu höheren Importen von Tierfuttermittel und von mehr schmutzigem Erdöl

Wenn die Biokraftstoffe in Deutschland verboten werden würden, rechnet der Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB) vor, müssten bis zu 2,3 Millionen Tonnen zusätzliche Tierfuttermittel aus den USA und Südamerika nach Deutschland eingeführt werden. Denn als Kuppelprodukt fällt bei der Herstellung von Biokraftstoff in Deutschland etwa diese Menge eiweißreiches Tierfuttermittel an. „Aus offensichtlicher Unkenntnis der Marktzusammenhänge fordert Foodwatch entgegen der eigenen Position indirekt den Einsatz von mehr Tierfuttermitteln aus Übersee in deutschen Ställen. Es zeigt sich einmal mehr: die Zusammenhänge im Biokraftstoffbereich sind zu komplex, als dass sie sich für einfache Slogans nutzen lassen – auch nicht für Organisationen wie Foodwatch“, so Elmar Baumann, Geschäftsführer des VDB. In Deutschland werden etwa acht Millionen Tonnen eiweißreiches Tierfuttermittel verbraucht, von denen selbst mit der hiesigen Biokraftstoffproduktion nur knapp 40 Prozent aus Deutschland stammen. Eine weitere indirekte Folge wäre die Zunahme von Erdölimporten. Die EU gibt fast 400 Mrd. Euro für fossile Energieimporte aus – Geld, das aus den europäischen Volkswirtschaften abfließt und statt der heimischen Wirtschaft in der Regel autokratische Regime unterstützt. Zudem werden die fossilen Kraftstoffe in immer schmutzigeren und umweltschädlicheren Verfahren gewonnen (z.B. Ölsand in Kanada), weil die einfach zu erreichenden Erdölvorkommen zur Neige gehen. Fossile Kraftstoffe unterliegen auch keinerlei Nachhaltigkeitsregeln. Dagegen dürfen nach gesetzlichen Vorgaben die Rohstoffe für Biokraftstoffe nicht von ehemaligen Regenwaldflächen oder Torfmooren stammen.

Biosprit der 2. Generation: Tank und Teller vom gleichen Acker – Fortschritte in der Forschung

Während für heute bereits vermarktete Biokraftstoffe der 1. Generation nur einzelne Pflanzenteile wie die Samen von Raps und Mais oder die Knollen von Zuckerrüben eingesetzt werden, können bei Biokraftstoffen der 2. Generation alle Pflanzenteile genutzt werden, also auch verholzte und nicht essbare Teile. Damit können auch landwirtschaftliche Reststoffe wie Stroh oder Zuckerrübenblätter, von denen jedes Jahr viele Millionen Tonnen anfallen, einer Nutzung zugeführt werden, was die Konkurrenz zu den Nahrungsmitteln entschärft. Auf einem Feld kann nun nicht mehr entweder für den „Tank“ oder für den „Teller“ angebaut werden, sondern beide können vom selben Feld gefüllt werden, ohne sich gegenseitig zu beeinträchtigen. Eine entsprechende Demonstrationsanlage bei Straubing (Bayern) wurde Ende Juli 2012 in Betrieb genommen. Die Demonstrationsanlage stellt den letzten notwendigen Zwischenschritt vor der Realisierung industrieller Produktionsanlagen dar.

Bereits im Oktober 2011 hatte eine Forschungsallianz, bestehend aus elf Organisationen aus Forschung und Industrie, mit der Einweihung einer Pilotanlage für Biokraftstoffe in Pomacle-Bazancourt nahe Reims (Marne) in Frankreich, offiziell die zweite Generation der Biokraftstoffe auf den Weg gebracht. Ihr Ziel ist es, ein wirtschaftliches Industrieverfahren zu entwickeln, das jährlich 180 Millionen Liter Bioethanol der 2. Generation zu einem Preis von höchstens 50 Cent pro Liter herstellen kann.

Im Juli 2012 hatte die University of California Los Angeles (UCLA) berichtet, dass Mikroben so verändert wurden, dass sie aus Sonnenenergie und Kohlendioxid Biotreibstoff für Autos herstellen – was zugleich eine Lösung des Speicherproblems Erneuerbarer Energien wäre. Für die erfolgreiche Produktion des Biokraftstoffes sind die industriell bereits verwendeten Mikroben Ralstonia eutropha verantwortlich, die von den Forschern geringfügig verändert wurden und nun in einem Elektrobioreaktor den Kohlenstoff aus Kohlendioxid in Zucker umwandeln. In einem davon unabhängigen Vorgang wird außerdem Strom aus Sonnenenergie dazu verwendet, um einen Prozess in Gang zu setzten, der Ameisensäure erzeugt. Wird nun beides miteinander kombiniert, also die Ameisensäure den Mikroben und dem Kohlendioxid zugeführt, entsteht flüssiger Biokraftstoff: Isobutanol und 3-Methyl-1-Butanol. Das neue Verfahren funktioniere im Labor bereits einwandfrei und arbeite sogar deutlich effizienter als die natürliche Photosynthese. Im nächsten Schritt arbeitet das Team an der Entwicklung größerer Bioreaktoren, damit der Biokraftstoff in industriell relevanter Menge hergestellt werden kann.

„Teller und Tank“ statt „Spekulation und Müll“

Es ist somit billig und falsch, die Hungerbekämpfung gegen den Klimaschutz auszuspielen. So auch Dr. Franz Alt: „Wer den Hunger wirklich bekämpfen will, muss das Klima schützen, weniger Fleisch essen, Spekulationen auf Lebensmittel bekämpfen und sich dagegen aussprechen, dass die hohen Agrarsubventionen in der EU und in den USA Millionen Kleinbauern in den Dritte-Welt-Ländern in den Ruin treiben. Wenn wir es intelligenter anstellen als heute, reicht es künftig für Teller und Tank.“

(mb)

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