Claus-Peter Schaffhauser: Traumkunde

Claus-Peter Schaffhauser
Quelle: Claus-Peter Schaffhauser

… aus der Kolumne von Claus-Peter Schaffhauser: Nach dem letzten Beitrag „Feind liest mit in #Neuland.” folgt heute: „Traumkunde.”

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Ich sehe mich als Traumkunden. Ein Verbraucher, der kritisch, aber sehr loyal ist. Alle sinnvollen Versicherungen wurden von mir abgeschlossen. Die Kinder wurden mit Bausparverträgen zugedeckt, damit sie besser schlafen und beruhigt in die Zukunft blicken können.

Ich wäge Risiken ab und entscheide mich relativ schnell. Pareto ist mein Lebenszweck und auch Motto im Alltag. Es werden also nicht 100 Angebote eingeholt, um irgendwo noch günstiger an ein Schnäppchen zu kommen. Wir sind nicht reich, deswegen können wir es uns nicht leisten „Schrott“ zu kaufen. Und da Zeit ein kostbares und teures Gut ist, wird nach dem zweiten oder dritten Angebot zugeschlagen.

Uns geht es gut, wir können nicht klagen.

Eine Rechtsschutzversicherung haben wir bewusst nicht abgeschlossen, da diese in meinen Augen zum Streiten einlädt und ich mich, als Mann des Kompromisses, dann doch lieber ohne Anwalt und Richter mit meinen Kontrahenten einige. Außerdem wissen wir ja, dass es bei Gericht nach Volkes Meinung nicht immer mit rechten Dingen zugeht. Es kommt oft auf die Einstellung und Stimmung des jeweiligen Richters an, der das Urteil fällt. Gefällte Bäume und Herr Mollath wissen, was ich meine.

Nun will es das Schicksal, dass sich Versicherungen nicht mehr nach dem Kundenwohl orientieren, sondern mehr den Shareholder Value in den Fokus genommen haben. Sie prüfen ständig, wie sie die Rendite erhöhen beziehungsweise das Risiko für das Unternehmen minimieren können. Gerne wird dann einem Kunden, der Jahrzehnte seine Beiträge leistet, in der Hoffnung auf eine lebenslange Partnerschaft, gekündigt. Das ist natürlich rechtens, aber moralisch in meinen Augen verkommen. – Aber offensichtlich muss der Sozialstaat an allen Ecken und Enden weichen. Neo-liberale Nebelschwaden senken sich wie Mehltau auf Versicherungsverträge, auf denen man noch den Reichsadler vermuten könnte, da die Original Vertragsunterlagen bereits so vergilbt sind.

Die Standardisierung von Prozessen kann ich, als Berater für zu standardisierende Prozesse, nur loben. Allerdings sollten diese Abläufe natürlich im ganzen Unternehmen bekannt und selbstverständlich einfach, logisch und kundenorientiert aufgesetzt sein.

Den persönlichen Ansprechpartner zu streichen (zu teuer!) und ihn durch einen Haufen gering ausgebildeter, aber austauschbarer (somit billiger!) Mitarbeiter, ohne jegliche Kompetenzen zu ersetzen, die in einem netten Call-Center in Südafrika ihren Dienst tun, ist nur vordergründig eine preiswerte Lösung.

Als Kunde muss ich jetzt nämlich 27 Anläufe nehmen, um keine vernünftige Auskunft zu bekommen.

Von Zusagen ganz zu schweigen. Leider bekommt das im Unternehmen niemand so richtig mit, da niemand die 26 vorherigen Anrufe und deren Inhalt protokolliert hat. Jede Versicherung verfügt zwar über ein CRM-System (Customer Relationship Management), aber damit unterstützt man lieber Werbemaßnahmen, um neue Kunden zu gewinnen, oder bestehenden Kunden weitere Produkte anzudrehen. Da Reklamationen in unfehlbaren Unternehmen nicht vorkommen, ist dieser Teilbereich komplett ausgeklammert. Existiert folglich also nicht.

Hier beginnen sich die Geister zu scheiden. Viele Versicherungen und Banken sind so sehr damit beschäftigt Geld zu sparen, das sie darüber ganz vergessen haben, wer die Gehälter der Vorstände, Bereichsleiter und Direktoren und der stetig schrumpfenden Anzahl von „Indianern“ bezahlt – nämlich ich, der Traumkunde.

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