Energiemarkt im Umbruch erfordert Umdenken bei Unternehmen
Der Energiemarkt befindet sich in einem rasanten Umbruch. Deshalb müssen die Energieversorgungsunternehmen ihre Strategien überdenken. Sie müssen zudem wegen des verschärften Wettbewerbs ihre Vertriebskraft stärken. Deshalb entschied die EWV Energie- und Wasser-Versorgung GmbH, eine 54-prozentige Tochter von Innogy, Anfang 2014, ein Projekt in ihrem Vertrieb zu starten; ein Projekt, das darauf abzielt, durch eine gesteigerte Vertriebsperformance und eine größere Kundennähe für die Zielkunden und Gesellschafter von EWV ein noch attraktiverer Partner zu sein – „und folglich mittelbar auch mehr Ergebnis zu erzielen“, erläutert Vertriebsleiter Axel Kahl.
Dabei war den Verantwortlichen klar, so Kahl: Um dieses Ziel zu erreichen, genügt es nicht, „die Vertriebsmitarbeiter in ein, zwei Seminare zu schicken sowie die Strukturen und Prozesse zu verändern. Vielmehr muss sich im Unternehmen ein Kulturwandel vollziehen“ – ein Kulturwandel, der unter anderem dazu führt, dass
- sich die Einstellung der Vertriebsmitarbeiter wandelt und
- außer ihnen auch die Vertriebsabteilungen und die vertriebs- und kundennahen Bereiche stärker kooperieren.
Deshalb achteten die Verantwortlichen bei der Auswahl des Beratungsunternehmens, das EWV bei dem Projekt unterstützt, stark darauf: Wie viel Erfahrung hat es mit ähnlichen Change-Projekten? Der Energieversorger entschied sich für die Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner (K&P), Bruchsal, als Unterstützer – „unter anderem, weil uns deren erste Vorschläge, wie man ein solches Projekt angehen könnte, überzeugten“, erklärt Kahl.
Mehrstufiges Projekt gestartet
Gemeinsam erarbeiteten EWV und K&P im Frühjahr 2014 ein mehrstufiges Konzept für das geplante Change-Projekt. Dieses sah vor, dass zunächst die Geschäftsprozesse im Vertrieb analysiert werden. Danach sollte in „Deep Dives“ genannten Mitarbeiterinterviews unter anderem die Zusammenarbeit und Führungskultur im Vertriebsbereich aus Mitarbeitersicht bewertet werden. Und schließlich sollten in einem Führungskräfte- und -Teamentwicklungsprojekt die Führungsleitlinien überarbeitet und die Säulen der künftigen Vertriebsstrategie definiert werden – „die dann in vielen Teilprojekten von den Mitarbeitern bearbeitet werden“, erläutert Christian Herlan, der Projektleiter bei K&P.
Im Frühsommer 2014 startete das Gesamtprojekt mit der Analyse der Geschäftsprozesse und Strukturen. Sie ergab: Im Vertrieb ruhen noch viele Potenziale, um die Performance zu steigern – unter anderem, weil
- die Prozesse und Abläufe noch nicht stringent sind und
- die (Vertriebs-)Strategie noch nicht ausreichend operationalisiert ist.
Den K&P-Beratern fiel zudem auf: Der Leistungsgedanke ist in den Führungsleitlinien nicht verankert.
Mitarbeiter werden in „Deep dives“ befragt
Nach dieser Analyse folgten in Juni/Juli 2014 die sogenannten „Deep dives“. In strukturierten Interviews wurden fast die Hälfte der 60 Mitarbeiter des Vertriebsbereichs von K&P-Beratern befragt – jeweils circa zwei Stunden, auf freiwilliger Basis. Dabei war das Vorgehen, laut Herlan, „so gewählt, dass auch die Gedanken und Emotionen der befragten Personen verständlich werden“. So wurden die Vertriebsmitarbeiter zum Beispiel zum Storytelling animiert, „um verfälschende Abstraktionen zu vermeiden“. Außerdem sollten sie eine prozentuale Einschätzung vornehmen, wie stark im Vertrieb solche Erfolgsfaktoren wie „eine klare Strategie“, „Vertriebsspirit“, „Zusammenarbeit“ und „Führung“ bereits ausgeprägt sind. Gegen Ende der Interviews wurden die Mitarbeiter zudem gebeten, sich dazu zu äußern,
- wie sie persönlich ihren Arbeitgeber EWV und seine Entwicklung bewerten,
- welchen Changebedarf sie bei ihm sehen und
- wie sie selbst möglichen Änderungen gegenüber stehen.
Die „Deep dives“ ergaben: Die EWV-Mitarbeiter identifizieren sich mit ihrem Arbeitgeber – auch wegen dessen sozialen und regionalen Engagements. Insbesondere die jüngeren Mitarbeiter sehen jedoch aufgrund des Marktumfelds auch die Notwendigkeit zur Veränderung.
Als zentrale Handlungsfelder formulierten sie:
- Die (Vertriebs-)Strategie sollte klarer für die Mitarbeiter sein.
- Die Mitarbeiter sollten mehr Unterstützung und Orientierung durch ihre Führungskräfte erfahren.
- Der Leistungsgedanke sollte bei allen Führungskräften und Mitarbeitern gleich stark ausgeprägt sein. Und:
- Die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit sollte optimiert werden.
Dabei wurde der Veränderungs-Notwendigkeit von den einzelnen Mitarbeitern und Abteilungen sehr unterschiedlich gesehen. Das Gros der Mitarbeiter zeigte sich jedoch zugleich bereit, die erforderlichen Veränderungen mitzugestalten und daran mitzuarbeiten, dass das Unternehmen EWV seine Ziele erreicht. – abteilungsübergreifend.
Open-Space-Veranstaltung mit den Mitarbeitern
Die komprimierten Ergebnisse der „Deep dives“ wurden allen Mitarbeitern Anfang September 2014 in einer halbtägigen Open-Space-Veranstaltung vorgestellt. Danach diskutierten sie hierüber und gaben ein Votum darüber ab, inwieweit sie den Befragungsergebnissen zustimmen. Dabei zeigte sich: Die Einschätzung der nicht interviewten Mitarbeiter deckt sich weitgehend, mit denen der befragten. Gegen Ende der Veranstaltung erläuterten zudem die Abteilungsleiter in einer von Christian Herlan moderierten Talkrunde ihre Sicht der Ergebnisse und beantworteten Fragen der Mitarbeiter insbesondere zu den Themen: Was folgt daraus? Und: Wie geht es weiter?
Ende September 2014 trafen sich die vier Abteilungsleiter im Bereich Vertrieb und Vertriebsleiter Axel Kahl zu einem eintägigen Teamworkshop. Dort beschäftigten sie sich unter anderem mit den Fragen: Wie kann
- die Zusammenarbeit und Kommunikation im Führungsteam,
- die Kommunikation an die Mitarbeiter und mit den Mitarbeitern und
- die Führungsarbeit insgesamt verbessert werden?
Als Ergebnis formulierten sie die Führungsleitlinien so um, dass sie stärker die Aspekte Kunden- und Performance-Orientierung betonen; außerdem formulierten sie Vorschläge für künftige „Spielregeln für Führung und Zusammenarbeit im Vertrieb“.
Führungskräfte operationalisieren Strategie
Einen Monat später, also Ende Oktober 2014, traf sich derselbe Teilnehmerkreis zu einem zweitägigen Strategieworkshop. In ihm definierten die Führungskräfte die fünf strategischen Säulen der künftigen Vertriebsentwicklung wie zum Beispiel „Prozesse exzellent gestalten“ und „Performance steigern“. Danach fragten sie sich in Arbeitsgruppen zu den fünf Säulen:
- Welche Probleme/Herausforderungen bestehen diesbezüglich?
- Welche Verbesserungs-/Lösungsideen gibt es?
- Woran messen wir den Erfolg?
Aus den Arbeitsergebnissen wurden mögliche Projekte und Maßnahmen abgeleitet. so dass gegen Ende bezogen auf die fünf Säulen eine Liste möglicher Projekte im Rahmen des geplanten Changeprozesses vorlag.
Mitte November trafen sich die Führungskräfte zu einem eintägigen Folgeworkshop. Dort priorisierten sie die im vorherigen Workshop definierten Projekte und erstellten eine Roadmap für den Changeprozess in den kommenden Jahren bei EWV. Die zentralen Kriterien hierbei waren laut Vertriebsleiter Kahl:
- zeitliche Priorität,
- Umsetzbarkeit und
- Erfolgsbeitrag.
(Teil-)Projekte werden priorisiert und terminiert
Im nächsten Schritt wurden für die Projekte, die 2015 starten sollten, Paten und Projektleiter auf freiwilliger Basis benannt. Bei den Paten handelt es sich stets um einen Abteilungsleiter und bei den Projektleitern in der Regel um einen geeigneten Mitarbeiter. Dabei wurde laut Kahl darauf geachtet, dass die Projektleiter und Paten jeweils unterschiedlichen Abteilungen angehören, denn ein zentrales Anliegen von EWV war es, die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit zu fördern. Entsprechend wurden auch die Projektteams zusammengestellt.
Ein zentraler Baustein des Veränderungsprojekts war es, im Rahmen der Teilprojekte auch die Mitarbeiter zu qualifizieren und ihnen mehr Verantwortung zu übertragen, erläutert Vertriebsleiter Kahl. Deshalb wurden im Januar 2015, bevor die eigentliche Projektarbeit begann, alle Projektleiter geschult. Im Verlauf des Jahres wurden zudem die Führungskräfte zum Thema „Führen in Changeprozessen“ geschult.
Die Führungskräfte hinterfragen ihre Führungsarbeit
Regelmäßig wurde zudem im Projektverlauf mit sogenannten Pulsbefragungen die Stimmung im Vertrieb ermittelt. Diese Befragungen signalisierten: Die Projektplanung war recht ambitioniert. Diese Vermutung bestätigte sich bei einer Bestandsaufnahme im Rahmen eines Führungskräfte-Workshops im Februar 2016 und bei erneuten „Deep dives“ mit den Mitarbeitern. Hierbei äußerten Führungskräfte und Mitarbeiter: Wir haben zu viele (Teil-)Projekte zugleich gestartet, deshalb war die Belastung neben der Alltagsarbeit zu hoch. Sehr positiv äußerten sich die Mitarbeiter jedoch darüber, dass die Strategie nun viel stärker operationalisiert und somit klarer sei; zudem lobten sie, dass man bei den Führungskräften deutlich spüre, sie investieren mehr Zeit und Energie in das Führen ihrer Mitarbeiter und die Koordination der Zusammenarbeit der Abteilungen.
Dessen ungeachtet sahen die Führungskräfte bei der abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit noch „Verbesserungspotenziale“. Sie waren der Auffassung: In den Projekten funktioniert sie zwar schon sehr gut, im Arbeitsalltag aber noch nicht. Deshalb reflektierten die Führungskräfte im Vertrieb auf ihrer Klausurtagung Ende Mai 2016 nochmals die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit und Führung im ersten Jahr und fixierten die Schwerpunkte der Führungsarbeit im kommenden Jahr.
Mitarbeiter trainieren Umgang mit Konflikten
Ein Schwerpunkt war die Verbesserung des Feedback- und Konfliktverhaltens, weil eine effektive abteilungsübergreifende Zusammenarbeit, wie Herlan erläutert, „auch erfordert, dass Knackpunkte, Konflikte und Interessengegensätze offen angesprochen werden“. Deshalb besuchten im Juni 2016 alle Vertriebsmitarbeiter ein Seminar zum Thema „Feedback geben und mit Konflikten produktiv umgeben“. An den insgesamt fünf Seminaren nahmen stets Mitarbeiter aus den unterschiedlichen Abteilungen teil. In ihnen verständigten sie sich nochmals darüber: Was ist unser gemeinsames Ziel als Mitarbeiter des EWV-Vertriebs? Außerdem: Wie gehen wir mit Konflikten oder Interessengegensätzen in der alltäglichen Zusammenarbeit um? Ziehen wir uns dann zurück und verschanzen uns hinter Formalien oder sprechen wir die „Konflikte“ offen an und suchen gemeinsam eine Lösung?
Durch diese Seminare hat sich, so Kahl, die Zusammenarbeit nochmals spürbar verbessert; trotzdem bleibt es, so seine Einschätzung, eine permanente Herausforderung sich immer wieder zu fragen: Wie können wir unsere Zusammenarbeit und Leistung weiter verbessern – zum Wohl des Unternehmens, seiner Mitarbeiter und Kunden? „Denn unser Marktumfeld ändert sich kontinuierlich.
Stolz auf die bereits erreichten (Teil-)Ziele sein
Faktisch hat das Unternehmen EWV schon viel erreicht: So sind zum Beispiel seine Außendienst-Mitarbeiter im Geschäftskundenbereich heute – anders als früher – vier Tage pro Woche draußen beim Kunden. Dies ist nur möglich, weil der Vertriebsinnendienst sie mit den erforderlichen Terminen versorgt und sie bei deren Vor- und Nachbereitung unterstützt. Das setzt ein hohes wechselseitiges Vertrauen voraus. Zugleich sind die Außendienst-Mitarbeiter durch ihre stärkere Einbindung in die Organisation viel transparenter als früher – was wie Herlan lachend betont: „Der klassische Außendienstmitarbeiter nicht mag“. Das heißt, hier hat sich ein Mentalitäts- und Kulturwandel vollzogen. Ähnliche Beispiele gibt es viele.
Diese Veränderungen gilt es den Mitarbeitern, so Kahl, immer wieder bewusst zu machen, damit sie spüren: Es bewegt sich etwas. Denn das motiviert sie mit ihrem Bemühen fortzufahren – mit dem übergeordneten Ziel, dass der Vertriebsbereich im Gesamtunternehmen EWV sowie im Konzernverbund ein High-Performer ist und bleibt – trotz des sich verändernden (Markt-)Umfelds.