Die Rolle von Bullshit in Unternehmen

Wie der Managementjargon Unternehmen von ihren Kernaufgaben ablenkt

In einem neuen Artikel mit dem Titel „Shooting the shit: The role of bullshit in organisations“ behauptet Professor Spicer, dass die zunehmende Beschäftigung mit Bullshit dazu führt, dass Unternehmen ihre Kernaufgaben vernachlässigen und ihre Mitarbeiter verstimmen.

„Im Berufsleben geht es vorwiegend um das Verfassen, das Verbreiten und das Konsumieren von Reden und Texten, die heute viel Blödsinn enthalten. Damit meine ich, dass vieles von dem, was im betrieblichen Umfeld gesagt und geschrieben wird, nur wenig Rücksicht auf die Wahrheit nimmt. Dadurch wird die Hauptaufgabe von Unternehmen verdrängt, Mitarbeiter werden demoralisiert und das Vertrauen von Interessengruppen im weiteren Sinne wird untergraben“, erklärt er.

Stumpfsinnige Jobs

Laut Professor Spicer hat die postindustrielle Wirtschaft unterbeschäftigte Büromenschen geschaffen, die stumpfsinnige Tätigkeiten mit geringem sozialen Wert ausüben. Die auf diese Weise entstandene Leere ist mit betrieblichem Bullshit gefüllt worden. „Das Eintauchen in die dunklen Künste des Blödsinns ist ein Weg, um die Bedeutungslosigkeit zu umgehen, die das Berufsleben befällt. Dazu gehören typischerweise extrem doppeldeutige, langatmige und flüchtige Reden und Texte”, sagt er.

„Denken Sie nur an die Unternehmensstrategie. Obwohl ihr mit viel Ehrfurcht begegnet wird, ist sie oft flüchtig, auswechselbar, relativ bedeutungslos und ausgesprochen ineffizient. Ähnliches kann über Erklärungen zu Unternehmenswerten gesagt werden, die oft mit einer ganzen Reihe von nett lautenden allgemeinen Wörtern wie „Qualität“, „Service“ und „Wert“ um sich werfen.“

Fatale Ablenkung

Professor Spicer glaubt, dass der Blödsinn so vorherrschend geworden ist, dass er sich zu einer fatalen Ablenkung für Unternehmen zu entwickeln droht. „Wenn ein Betrieb in die Bullshit-Falle getappt ist, wird ein signifikanter Teil seiner Ressourcen dafür aufgewendet, Bullshit zu produzieren, in Umlauf zu bringen und zu konsumieren.“

„Manager und Angestellte zum Beispiel verbringen einen Großteil ihres Arbeitstages damit, an Sitzungen teilzunehmen oder Veränderungsprogramme umzusetzen, die auf Bullshit beruhen. Für eine kurze Zeit kann dies vielleicht haltbar sein. Wenn die Verarbeitung von Blödsinn zu Veränderungen allerdings zur Routine wird, dann führt dies zu einer systematischen Ablenkung von der Kernaufgabe.“

Laut Professor Spicer löst Blödsinn auch ein tiefes Gefühl von Beleidigung unter den Mitarbeitern aus. „Werden die Mitarbeiter eines Unternehmens ständig mit Bullshit konfrontiert, werden sie viel davon rasch nicht mehr sonderlich ernst nehmen. Jede weitere Vorschrift und jedes weitere neue Programm wird wahrscheinlich zynisch als nicht mehr als eine weitere Marotte betrachtet.“

Seiner Ansicht nach führt dies bei vielen Mitarbeitern zu einem Gefühl der Missachtung oder Verletzung ihrer beruflichen Identität und damit indirekt ihrer Person. „Viele Berufstätige, die den abschweifenden Launen und Marotten ihres Managements ausgesetzt sind, erleben diese häufig als einen Angriff auf ihre Identität als qualifizierte und fähige Fachkräfte“, erklärt er.

Blödsinn kann auch das Vertrauen einer ganzen Reihe von Interessengruppen untergraben und die Beziehungen zu Kunden und Investoren in die Brüche gehen lassen. „Wenn Interessengruppen mit einem anhaltenden Schwall von scheinbar vollkommen haltlosem Gerede konfrontiert werden, dann beginnen sie irgendwann, Zweifel an der Authentizität, der Fähigkeit und der Beständigkeit des betroffenen Unternehmens zu hegen. Folglich sind es häufig Unternehmen, die im Sumpf des Blödsinns steckenbleiben, die bröckeln, instabil werden und Gefahr laufen, an kleinen Veränderungen in ihrem Umfeld zu zerbrechen.“

Stopp dem Unsinn, aber nicht ganz

Überraschenderweise meint Professor Spicer jedoch, dass kleine Mengen Bullshit durchaus nützlich sein können und in der Lage sind, das Image und das Selbstvertrauen von Unternehmen zu stärken.

Blödsinn ermöglicht es Personen, in Ermangelung substanziellerer Ressourcen wie Wissen und Fähigkeiten, ein attraktives Image aufzubauen. Er verweist auf eine Studie einer großen Managementberatungsfirma, deren Mitarbeiter Blödsinn verwenden, um Kunden zu beeindrucken, und dadurch eine „Sie-und-wir-Trennung“ gegenüber ihren Kunden aufrechterhielten.

Blödsinn wird auch von Mitarbeitern als Selbstvertrauenstrick genutzt, um zu beeindrucken und sich selbst zu überzeugen. Mittelmanager zum Beispiel greifen oft auf Blödsinn zurück, um ein überzeugendes Bild von sich selbst in ihrer häufig eher prekären Position aufzubauen. „Eine großzügige Portion Blödsinn hilft verunsicherten Managern, sich mithilfe eines Selbstvertrauenstricks davon zu überzeugen, dass sie nützliche und würdige Mitglieder des Unternehmens sind“, erklärt Professor Spicer.

Unternehmen greifen ebenfalls oft auf Bullshit zurück, um ihre Legitimität zu untermauern. „Unternehmen wählen Strategien und Praktiken häufig nicht aus dem Grund aus, weil sie besonders wirksam oder effizient sind, sondern weil sie als weitgehend gesellschaftsfähig angesehen werden“, sagt er. „Viele Firmen wählen beispielsweise „Total Management“-Methoden nicht weil sie nützlich für die Erzeugung ihrer Produkte sind, sondern weil sie den Eindruck erwecken, es handle sich um ein gutes Unternehmen, das somit einen größeren Kreis von Interessengruppen ansprechen kann.“

Was ist Bullshit?

Bullshit ist nicht einfach eine falsche Aussage, eine Behauptung, um zu betrügen oder die Wahrheit zu verfälschen. Blödsinn ist vielmehr eine Sprache mit zwei bezeichnenden Merkmalen: (1) er wird ohne Rücksicht auf die Wahrheit gesprochen, und (2) der Blödschwätzer spricht ihn vorsätzlich, um seine eigenen Ziele und Interessen zu verfolgen.

So erkennt man Bullshit

Bullshit ist vage. Ein talentierter Blödschwätzer stützt sich weitgehend auf strategische Doppeldeutigkeit. Dazu gehört es, Wörter oder Konzepte zu verwenden, die schwierig oder unmöglich zu definieren sind. Wörter mit breit gefasster Bedeutung wie „Exzellenz“, „Qualität“ und „Innovation“ sind hervorragende Beispiele dafür. Sie können praktisch alles bedeuten und erlauben es einem Blödschwätzer, zu vielen Fragen aus dem Weg zu gehen.

Bullshit ist langatmig. Das macht es schwieriger, den tatsächlichen Kern der Sache zu bestimmen. Durch die „Verpackung” von Reden und Texten wird es schwer zu unterscheiden, was wichtig ist und was nicht. Über Konzepte, die eigentlich weiter hinterfragt werden müssten, wird ohne weitere Untersuchungen hinweggegangen. Diskurse zum Thema Leadership zum Beispiel sind voll von einer ganzen Reihe von Assoziierungen, Ideen und anderen Konzepten.

Bullshit ist schlüpfrig. Hierzu gehört es, klare Bekenntnisse zu einer bestimmten Aussage zu vermeiden und ständig auf vage und gegenstandslose Art und Weise zwischen verschiedenen Begriffen hin- und herzuwechseln. Indem sie ihren Diskurs permanent ändern, gelingt es Blödschwätzern, sich auf keine bestimmte Position festzulegen, zu der sie weiter befragt werden könnten. So bestehen zum Beispiel zahlreiche Unternehmensstrategien aus sich rasch verändernden Trends, Ideen und Management-Moden, was es so schwierig macht, sie irgendeiner Art von kritischer Prüfung zu unterziehen.

Bullshit ist kreativ. Blödschwätzen ist harte Arbeit. Um Blödsinn zu reden, benötigen die meisten Leute einen permanenten „Vorrat“ an weitschweifigen Ressourcen. Zum Glück gibt es eine ganze Industrie voller Berater, Gurus und Ideenforscher, deren Job es ist, Managementmarotten und -trends zu entwickeln und in Umlauf zu bringen. Das gibt potenziellen Anwendern einen großen Bestand an Ideen und Diskursen für ihre tagtägliche Blödschwätzerei.

Wie Unternehmen Bullshit eindämmen können

Unternehmen benötigen ein klein wenig Blödsinn, aber nur in eng eingegrenzten Bereichen, in denen sie mit Ideen experimentieren können. Hier ein paar Tipps, wie Blödsinn eingedämmt werden kann:

Klartext reden – Verzichten Sie auf Jargon und ganz besonders auf Schlagwörter. Erklären Sie Ihre Ideen in klaren Worten und verwenden Sie kurze Sätze anstatt glanzvoller PowerPoint-Präsentationen.

Die Logik testen – Unterziehen Sie Aussagen und Ideen einfachen Logiktests. Ist die Argumentation nachvollziehbar? Werden die Argumente auf einfachste und logischste Weise vorgebracht?

Die Beweislage testen – Gibt es Beweise dafür, ob eine Idee in der Vergangenheit Erfolg gehabt hat oder gescheitert ist, nicht nur hier, sondern auch anderswo? Ebenso ist es empfehlenswert, die wissenschaftliche Beweislage für eine neue Idee zu überprüfen.

Des Teufels Anwalt – Lassen Sie jemanden gegen die Idee argumentieren – am besten sogar die Person, von der sie vorgeschlagen wurde.

Über den Autor:

Andre Spicer ist Professor für Organisational Behaviour and Human Resource Management an der Cass Business School in London.

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