Wie die korrekte Sybille das Loslassen lernt

Die Kollegen aus dem Controlling sind schon ein besonderer Schlag. Ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit gehen sie mit besonderer Sorgfaltspflicht nach und vergessen dabei, dass einfach mal Loslassen manchmal die bessere Variante sein kann. Speaker, Trainer, Impro-Comedian und Moderator Ralf Schmitt berichtet Ihnen im heutigen Beitrag seiner wöchentlichen AGITANO-Kolumne „Ich bin total beliebt, es weiß nur keiner“ über seine ganz persönlichen Erfahrungen.

Liebe Leser, ich muss Sie warnen. Heute könnte meine Kolumne ein klein wenig länger ausfallen. Das ist der Tatsache geschuldet, dass ich heute über einen Kollegentypus schreibe, den wir alle kennen und, der uns jede Menge Zeit und Nerven kostet. Zunächst einmal möchte ich mich bei allen netten Damen entschuldigen, die Sybille heißen. Ich bin sicher, es gibt jede Menge unglaublicher toller Frauen mit diesem Namen. Mir ist leider nur eine Sybille bekannt und die sitzt im Controlling einer Firma, mit der ich häufig zu tun habe.

„Small Talk for Big Business“

Heute Morgen wurde mir per Post meine letzte Reisekostenabrechnung mit der Bitte um Nachbesserung von ihr zurückgeschickt. Ich möchte natürlich so schnell wie möglich das Problem aus der Welt schaffen. Weil ich sowieso gerade im Haus bin, gehe ich direkt bei ihr im Büro vorbei. Ein böser Fehler! Bitte nicht nachmachen!

Dieser kurze Dienstweg entpuppt sich für mich nämlich als ultralanger Umweg. Leider hat die gute Sybille nämlich gerade einen Kurs in „Small Talk for Big Business“, „Softe Faktoren für harte Fakten“ oder so ähnlich belegt und möchte sich mit mir über mein Wochenende unterhalten und darüber, wie wichtig Small Talk für das Betriebsklima ist. Das Tässchen Kaffee, das sie mir anbietet und trotz meines dankenden Ablehnens serviert, liefert mir ein weiters Indiz dafür, dass diese Unterhaltung nicht so schnell beendet sein wird.

Drei Hotels in Niederwurzelbach

Geduldig wie ich nun mal bin, lasse ich mich also in einen Stuhl fallen und schaue, ich dachte, das wäre ein dezenter Hinweis, kurz auf meine Uhr. „Aber Herr Schmitt, Sie haben es doch nicht eilig, oder?“, flötet Sybille. „Ich halte es für besser, wenn wir die Angelegenheit in aller Ruhe aus der Welt schaffen. Drei Kekse, eine persönliche Geschichte aus ihrer Kindheit und eine Abhandlung zum Thema Gesprächsführung später kommt sie endlich zur Sache: „Herr Schmitt, niemand möchte Ihnen unterstellen, dass Sie eine Dienstreise mit privaten Angelegenheiten verquicken. Aber, Sie dürfen, wenn Sie alleine reisen, kein Doppelzimmer abrechnen. Da ich diese Regelung kenne, kläre ich sie auf: „Es war kein anderes mehr frei, und man hat mir nur den Preis eines Einzelzimmers berechnet.“ Man sollte annehmen, die Diskussion wäre damit beendet. Doch Sybille fährt fort: „Aber so steht es nicht auf der Rechnung, und das ist entscheidend. Außerdem hätten Sie vorher drei Vergleichsangebote von Hotels in der Umgebung einholen müssen, um sicherzustellen, dass in dieser Kategorie nicht ein anderes günstiger ist, und die Angebote dann in schriftlicher Form der Rechnung beifügen sollen.“ Ich grinse, weil ich natürlich glaube, sie hätte einen Scherz gemacht. Schließlich habe ich nicht in Hamburg, sondern in Niederwurzelbach übernachtet. Sie lacht nicht.

Mal Fünfe grade sein lassen

Ich frage also konsterniert: Und was muss ich jetzt tun?“ Sie entgegnet: Herr Schmitt, ich befürchte, Sie müssen bei diesem Hotel anrufen und fragen, ob man Ihnen dort rückwirkend eine Rechnung über ein Einzelzimmer für den besagten Tag ausstellt. In Anbetracht dessen, dass in Niederwurzelbach wohl keine drei Hotels in derselben Kategorie existieren, verzichte ich in diesem Fall auf die drei Vergleichsangebote. Da will ich mal nicht so sein. Da lassen wir mal Fünfe grade sein. Wir sind ja schließlich alle nur Menschen und keine Maschinen! Das wäre ja noch schöner, wenn man sich durch solche Bürokratismen das Leben zur Hölle machen würde. Nein, nein, nein, irgendwo muss es doch auch menschlich bleiben – human! Sonst ersticken wir bald an unseren Regeln, und keiner traut sich mehr, sich zu bewegen. Dann herrscht Stillstand …

Üben Sie das Loslassen

Damit in Sachen Reisekostenabrechnung in Zukunft kein Stillstand mehr herrscht, habe ich der Geschäftsführung nach diesem Gespräch vorgeschlagen, Sybille auf eine Fortbildung zum Thema „Loslassen – mehr Spontaneität und Improvisation in Beruf und Alltag“ zu schicken. Die hätte sie sich bei dem Stress in ihrer Abteilung wirklich verdient. Die Rechnung musste ich leider trotzdem noch einmal neu organisieren. Aber nächste Woche ist Sybille-frei! Sie weilt auf Korfu und wird total spontan gemacht! Und die ganze Firma hat eine Woche Zeit zu trainieren, wie sie geistigen Abstand von überkorrekten und perfektionistischen Kollegen halten.

Zählen Sie etwa selbst zu dieser Spezies? Dann tun Sie sich und den Kollegen um sich herum einen großen Gefallen. Üben Sie das Loslassen und hören Sie zur Abwechslung mal auf Ihren Bauch anstatt auf Zahlen, Daten, Fakten. Sie werden schnell bemerken, wie erholsam es sein kann, Dinge auch mal auf dem kurzen Dienstweg zu lösen und Sie werden sich kein Bein brechen, weil Sie mal vom Protokoll abweichen.

Ralf Schmitt, Kollegen
Experte für Spontaneität, Improvisation und Interaktivität. (Foto: © Ralf Schmitt)

Über Ralf Schmitt

Ralf Schmitt arbeitet seit mehr als 15 Jahren erfolgreich als Speaker, Trainer, Impro-Comedian und Moderator. Er gilt als Experte für Spontaneität und Interaktivität, hat die Methode der Navituition® entwickelt und ist Mitglied der German Speakers Association. Schmitt ist branchenübergreifend tätig und kennt die deutsche Wirtschaftslandschaft aus dem Effeff. Seine inhaltliche Mitarbeit im Vorfeld und seine Auftritte bei unzähligen Tagungen und Kongressen geben ihm eine externe Sichtweise auf innerbetriebliches Geschehen und Veränderungsprozesse in Unternehmen verschiedener Größenordnungen. Darüber hinaus ist er Autor der Bücher „Ich bin total spontan, wenn man mir rechtzeitig Bescheid gibt“ und „Ich bin total beliebt, es weiß nur keiner“.

Lesen Sie hier seinen Beitrag von letzter Woche: Misserfolgsvermeider oder Erfolgssucher?

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