Mohammeds Bart und der alltägliche Wahnsinn! …Ein Plädoyer für ein verständnisvolleres Miteinander

… aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B Wagner mit dem Titel „Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus“.


Heute: Mohammeds Bart und der alltägliche Wahnsinn!
Oder über das Biegen und Brechen wechselseitiger Wirklichkeiten…

Ein Plädoyer für ein verständnisvolleres Miteinander:

Der Andersdenkende ist kein Idiot,
er hat sich eben eine andere Wirklichkeit konstruiert.

Paul Watzlawick

Der Zorn ist der Beginn des Wahnsinns.
Cicero

Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu belassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.
Albert Einstein
Menschen unterscheiden sich nicht nur bezüglich ihres Äußeren, ihres Geschlechts, ihrer Gefühle und Wahrnehmungen, sondern auch in dem was wir so beiläufig Wirklichkeit nennen. Des Einen Konstruktion dieser Wirklichkeit muss daher im Umkehrschluss nicht zwangsläufig auch die des Anderen sein, oder wie es Paul Watzlawick einmal so treffend ausdrückte: Der Glaube, es gebe nur eine Wirklichkeit, ist die gefährlichste Selbsttäuschung.

Dies gilt nicht nur für Kulturen, Völker oder Nationen, sondern auch für Familien und Paarbeziehungen. Vieles verstehen wir nicht oder wollen es nicht verstehen, da wir nicht nachfragen, sondern blind und stur etwas voraussetzen und unsere persönliche Wirklichkeitssicht so zur Masterschablone unseres Wertens und Bewertens anderer erheben. Sei‘s drum.

Verzeihen Sie mir diesen anfänglichen kleinen Ausflug in die vermeintlichen Tiefen der Existentialphilosophie und lassen Sie mich zügig zu meinem eigentlichen Thema zurückfinden.

Vor einigen Tagen las ich in der aktuellen DIE ZEIT (Nr. 39/2012) einen interessanten Artikel mit dem Titel „Falsche Bärte“ im Kontext der Aufregungen und Krawalle rund um dieses Schundwerk und Hass-Video des sogenannten Mohammed-Schmähfilms „The Innocence of Muslims“. Eine Aufregung und Gewalteskalation, die man entweder im Kontext meiner einführenden Überlegungen lesen kann, oder aber auch wie es die DIE ZEIT Redakteurin Katja Nicodemus vorschlägt.

Keine Panik an dieser Stelle. Diese Kolumne wird bestimmt keine weitere Stellungnahme zu diesem geistigen Abfall eines wie auch immer gearteten Fanatikers sein, sondern eher ein kleiner oder größerer Ausflug in die Abgründe der alltäglichen Flächenbrände und des ganz normalen Wahnsinns des sozialen Miteinanders in unseren ganz persönlichen Gefilden.

„Jeder kennt diese scheinbar von einem Nichts ausgelösten Familienstreite, die zu Türenknallen, Geschrei, ja sogar panischen Fluchten im Auto eskalieren. Nach einer Weile, wenn alle heiser geschrien wieder zusammenkommen, fragt man sich, was eigentlich der Auslöser war. Zwei der schlimmsten Streite unserer Familie wurden ausgelöst von einer roten Socke, die meine Schwester oder ich aus Versehen in die Kochwäsche geworfen hatte, und von einem unter den Teller geklebten Kaugummi. Es ist nicht zynisch, die Ausschreitungen der Muslime in einem analogen Blickwinkel zu betrachten. Es ist nicht zynisch, weil der Konflikt ganz offenkundig nur einen beliebigen, ja regelrecht abseitigen Auslöser brauchte, um sich in stereotyper Weise zu entfalten“, soweit Katja Nicodemus in DIE ZEIT.

Ganze Kaskaden von Erlebnissen, Erinnerungen und Bilder schossen an meinem inneren Auge vorbei, als ich diese Zeilen las, und ich dachte mir, wie viel Porzellan, Gefühle, Beziehungen, Freundschaften, aber auch Geschäftsbesprechungen und anfänglich rationale Diskussionen diesen verheerenden „Stellvertreterkriegen“ wohl jeden Tag landauf und landab so zum Opfer fallen.

Unausgesprochenes, die eine oder andere beiläufige Kränkung, falsche Annahmen, Ungehörtes, nicht Wahrgenommenes, willentlich oder unwillentlich unnötige Einzahlungen auf das Revanchekonto und vieles mehr, das solange in die Latenz verschoben wird, bis schließlich der kleinste Funken ausreichtet, um aus einer eher harmlosen Angelegenheit eine bereits vom ersten Moment an Alles mit sich reißende Lawine und im schlimmstenfalls Alles in Schutt und Asche legende Detonation und Gewalteskalation zu verwandeln.

Von diesen vom unbändigen Zorn getriebenen, dem Wahnsinn Tür und Tor öffnenden Manifestationen des Unausgesprochenen geht meines Erachtens jedoch nicht nur eine große Gefahr aus (schlimmstenfalls spricht man nämlich nie wieder miteinander, da man das Kind nicht nur sprichwörtlich mit dem Bade ausgeschüttet, sondern es im Nachhinein in seinem Furor auch noch mit beiden Händen in den Abfluss gedrückt hat), sondern im besten Fall auch eine große Chance, falls man dazu in der Lage bzw. willens ist. Aber nur auch dann, wenn man dazu fähig ist, das eine von dem anderen zu unterscheiden, sprich den auslösenden Funken von dem darunter liegenden, über längere oder gar lange Zeit angesammelten Sprengstoff und Brandbeschleuniger.

Wenn alle Beteiligten bereit sind, den Konflikt auch als Chance zu betrachten, als vorläufig reinigendes Gewitter, das, nachdem die Dunstschwaden des Feuergefechts verschwunden, die Luft sich aufgeklärt, die Schlachtfelder aufgeräumt und die schlimmsten Verletzungen versorgt sind, auch den Blick freigibt auf das, was ist, und hoffentlich auch das, was im Untergrund lauerte, in der Regel auch weiterhin lauert und dort vor sich her gärte bzw. immer noch gärt.

Besonders wichtig ist hierbei aber auch die Bereitschaft dazu, die Umstände wirklich verändern und nicht Alles beim Alten zu belassen bzw. belassen zu wollen, seine alten Routinen und Gewohnheiten also nicht grob fahrlässig wieder aufzunehmen und sich blindlings von der Ruhe vor dem mit Sicherheit kommenden nächsten Sturm in trügerischer Sicherheit und Harmonie zu wähnen, um so en passant den Wahnsinn wieder durch die Hintertür ins Haus zu bitten.

Die Dinge frühzeitig beim Namen zu nennen, weniger trügerische Diplomatie und Harmoniesucht, aber auch der Mut zum Diskurs, die Anerkennung unterschiedlicher Wirklichkeiten und die Chuzpe zu sich selbst zu stehen, mit allen Ecken und Kanten, sind hier von Nöten, oder wie Uli Hoeneß es einmal in einem Interview formulierte: „Einmal Idiot oder Arschloch sagen und es dann bedauern (und sich zu entschuldigen, Anm. des Kolumnisten) halte ich für besser, als hinten rum zu lästern“.

Bei allem Irrsinn, aller unnötiger Gewalt und dem Tod unschuldiger Menschen, hat dieses kranke Video vielleicht sogar ein Gutes. Es könnte uns selbst die Augen öffnen, um so ein Stück weniger Wahnsinn und im Vorfeld vermeidbare Konflikte in unser tägliches Leben eintreten zu lassen.

In diesem Sinne wünsche ich uns Allen ein verständnisvolleres und offeneres Miteinander.

Ihr Ulrich B Wagner

Ulrich Wagner

Zum Autor:

Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main.

Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.

Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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