Die Ukraine hat grünes Licht für den Beginn der ersten Bohrungen nach Schiefergas für den September dieses Jahres gegeben. Der Abbau beginnt mit dem ukrainischen Schelfabschnitts des Schwarzen Meeres. Die entsprechenden Ausschreibungen zum Abbau der Schiefergas-Vorkommen Jusowski und Olesski im Mai hatten Shell bzw. Chevron gewonnen.
Auch die italienische Eni steigt in das Schiefergas-Geschäft in der Ukraine ein. Mit Nadra Ukrayny und Cadogan Petroleum hat sich der italienische Energiekonzern Mitte Juni auf die Übernahme von 50,01% an der Firma Westgasinvest geeinigt, die Förderlizenzen für insgesamt neun Vorkommen besitzt. Die Schiefergas-Felder mit einer Gesamtfläche von 3,800 km² liegen im westukrainischen Gebiet Lwow, eines der aussichtsreichsten nicht traditionellen Gasquellen Europas. Eni hatte bereits im vergangenen Jahr 30% an dem ukrainischen Öl- und Gasvorkommen Pokroskvoe Petroleum BV und 60% an Zagoryanska Petroleum B.V. Übernommen. Der Energiekonzern Eni befindet sich noch zu 30% im Besitz des italienischen Staates.
In der Ukraine liegen die größten Schiefergasvorräte Europas
Die gesamten ukrainischen Schiefergasvorräte (unkonventionelle Gaslagerstätte) seien die größten in Europa und werden auf 5.000 Mrd. bis 8.000 Mrd. Kubikmeter geschätzt – darin sind die Schelfgaslagerstätten im Festlandsockel des Schwarzen Meeres noch gar nicht mit eingerechnet. Die Vorräte an Grubenmethan in den Bergbauregionen Donetsk und Luhansk machen insgesamt 7.000 Mrd. bis 8.000 Mrd. Kubikmeter aus, das wären 2,9% der Weltvorräte. Derzeit zahlt Deutschland für 1.000 Kubikmeter russisches Erdgas rund 450 Dollar. Die Reserven übersteigen somit die Billionen-Euro-Grenze deutlich.
Gasabhängigkeit von Russland
Die Ukraine versucht derzeit, die Energieabhängigkeit von Russland zu verringern. Das Land fördert selber jährlich rund 20 Milliarden Kubikmeter Gas für den Eigenbedarf und kauft zusätzlich 40 Milliarden Kubikmeter in Russland ein. Zudem waren die Gasleitungen durch das Transitland Ukraine bislang die wichtigsten Verbindungen von den Quellen in Russland zu den Abnehmern in Europa. 80% des russischen Erdgases für Europa flossen bislang durch die Ukraine. Durch den Bau der Umgehungspipelines Nordstream, Southstream und Bluestream nimmt jedoch die Bedeutung des ukrainischen Pipelinnetzes ab (siehe Karte mit den Öl- und Gaspipelines). Berechnungen gehen von einem Rückgang der Transiteinnahmen allein durch die bereits realisierte Nordstreamin Höhe von 20% aus.
Gaspreiskrieg zwischen Ukraine und Russland
Die Ukraine, die von den russischen Gaslieferungen abhängt, verhandelt seit mehr als zwei Jahren mit Russland über einen günstigeren Gaspreis – bisher hatte es deutliche Preisnachlasse für die Ukraine aufgrund ihrer strategischen Bedeutung als Transitland gegeben. Im ersten Quartal 2011 hatte die Ukraine noch 264,3 Dollar je 1.000 Kubikmeter Gas bezahlt, im zweiten Quartal stieg der Preis auf 295,6 Dollar. Der Durchschnittspreis für russisches Gas in Westeuropa lag im ersten Halbjahr 2011 bereits bei 353 Dollar pro 1.000 Kubikmeter. Im ersten und im zweiten Quartal 2012 betrug der Gaspreis für die Ukraine dann 416 beziehungsweise 426 Dollar je 1.000 Kubikmeter. Im Jahresdurchschnitt 2012 soll er bei 440 Dollar liegen – gegenüber 416 Dollar, die im ukrainischen Staatshaushalt vorgesehen sind.
Hintergrund ist die Neuverhandlung des Gasvertrags zwischen der Ukraine und Russland aus dem Jahr 2009. Nach ukrainischer Lesart werden die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland im Gasbereich durch ein Regierungsabkommen aus dem Jahr 2004 bestimmt. Dieses Abkommen verpflichte beide Seiten, den Umfang der Gaslieferungen jährlich abzustimmen. „Zum größten Bedauern ist dieses Regierungsabkommen kein einziges Mal erfüllt worden. Deshalb sind wir der Auffassung, dass die Verträge, die 2009 geschlossen worden sind, zumindest in jenem Teil widersprechen, der den jährlichen Umfang der Gaslieferungen betrifft“, so der Premier der Ukraine, Nikolai Asarow im September 2011. Wegen den Gasverträgen aus dem Jahr 2009 sitzt die damalige Regierungschefin Timoschenko derzeit im Gefängnis. Ihr wird ein „verräterisches“ Gasabkommen mit Russland vorgeworfen, das für die Ukraine „völlig unvorteilhaft“ sei. Die in dem Abkommen vorgesehene Preiserhöhung habe das Land beinahe in den Bankrott getrieben. Timoschenko wurde am 11. Oktober 2011 zu sieben Jahre Gefängnis und einem Schadenersatz von 137 Millionen Euro verurteilt (die ehemalige Regierungschefin hat von 1995 bis 1997 die „Vereinten Energiesysteme der Ukraine“ geleitet, der „Gasprinzessin“ werden allein aus dieser Zeit u.a. Veruntreuung in Höhe von 295 Mio. Euro vorgeworfen – derzeit versucht sie eine Haftentlassung zu erreichen.) Die Ukraine pocht weiter auf günstigere Bedingungen, Russland will diese nur gewähren, wenn es im Austausch direkten Zugriff auf das ukrainische Gastransportnetz bekommt.
Angesichts der sich hinziehenden Verhandlungen mit Russland über eine Preissenkung für das importierte Gas will die Ukraine nun die Eigenförderung von Energieträgern schnellst möglich steigern.
Schaukelpolitik zwischen Russland und der EU
Die Lage und die Energiereserven der Ukraine sind von strategische Bedeutung. Daher kommt es aktuell auch zu einem Tauziehen zwischen Russland und der EU. Die EU winkt mit einem Assoziierungsabkommen für eine künftige EU-Mitgliedschaft. Das Assoziierungsabkommen beinhaltet auch ein Abkommen über die Bildung einer Freihandelszone. Allerdings flirtet Präsident Janukowitsch auch mit der Zollunion Russland-Weißrussland-Kasachstan. Die Ukraine ist in einen nach Europa orientierten westlichen Landesteil und einen traditionell eher nach Russland orientierten östlichen Landesteil gespalten.
Derzeit stammen noch über 50% der Stromerzeugung aus Atomkraftanlagen
Gegenwärtig deckt die Ukraine mit 15 Atomreaktoren über die Hälfte seiner Stromerzeugung. In dem Land steht auch der Atom-„Sarkophag“ des Katastrophen-AKWs Tschernobyl. Der Super-GAU in Tschernobyl hat gesamtgesellschaftliche und wirtschaftliche Folgeschäden von geschätzten 235 Milliarden Dollar verursacht. 5% des ukrainischen und aufgrund der Wetterlage 23% des weißrussischen Territoriums wurden mit Casium-137 radioaktiv kontaminiert. Allein Belarus leitet laut dem Vertreter der weißrussischen Botschaft in Berlin, Andrei Schuplak, jährlich 10-25% der Haushaltsmittel in die Überwindung der Folgeschäden.
(mb)