UN-Studie belegt: Hochfrequenzhandel der Börsenspekulanten verzerrt Rohstoffmarkt und ist Preistreiber zulasten der Realwirtschaft

Der Rohstoffmarkt schlägt spätestens seit 2008 Kapriolen – meistens nur in die eine Richtung, nach oben. Zwischen 2002 und 2009 hat sich die Spekulation mit Rohstoffen nach früheren Angaben der Handelskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) verfünffacht. Nach Informationen des WDR-Magazins „Monitor“  hat sich allerdings die Spekulationssumme allein im Jahr 2008 um 600% vervielfacht. Die DIHK hat die Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft berechnet: Für die deutschen Unternehmen bedeutet allein die Rohstoffspekulation auf den deregulierten Finanzmärkten rohstoffbezogene Mehrausgaben von rund 30 Milliarden Euro im Jahr 2010. Bei den Hightech-Metallen der Gruppe Seltene Erden kommen noch eine weltweit steigende Nachfrage und ein sinkendes Angebot aufgrund von Exportbeschränkungen Chinas hinzu, das derzeit mit 50% der Weltvorräten rund 95-97% des Weltmarktes bedient. So hat sich beispielsweise ein Kilogramm Dysprosium, das für Mobiltelefone und Hybrid-Fahrzeuge benötigt wird, in dem Zeitraum Januar bis September 2011 von 400 Dollar auf rund 2.840 Dollar versiebenfacht. Das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) hat den Preisanstieg aller Rohstoffe im Jahr 2011 mit 12,4% ohne Energie und mit 22,4% inklusive der energetischer Rohstoffe angegeben. Damit war 2011 das teuerste Rohstoffjahr aller Zeiten. Das HWWI hat auch eine Erklärung für die Teuerung parat: „Durch die niedrigen Zinsen der Notenbanken, besonders der Fed, stand Anlegern und Hedgefonds viel Liquidität zur Verfügung, die zur Portfoliodiversifikation und Inflationsabsicherung in Rohstoffe investiert wurden.“

Hochfrequenzhandel ist Treiber der Rohstoffspekulation

Die aktuelle Studie der Handelskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) ist noch einen Schritt weiter gegangen und hat die Struktur der Rohstoffspekulation untersucht. Der Befund: Der computergestützte Hochfrequenzhandel habe zu einem „Strukturbruch“ an den Rohstoffbörsen geführt. Die Turbo-Händler, so die Titulierung der Wiener Tageszeitung „Der Standard“, führen zu einer Destabilisierung der Rohstoffpreise, mit plötzlichen und scharfen Korrekturen der Preise – und wie das HWWI für 2011 belegt hat, meist nach oben. Laut den Ökonomen der UNCTAD haben seit dem Jahr 2008 Spekulationen die Preise für Öl oder Mais deutlich stärker beeinflusst als die tatsächlichen wirtschaftlichen Daten. Dadurch sind die Preise von ihren Fundamentaldaten losgelöst und verhalten sich ähnlich wie andere Wertpapiere, beispielsweise Aktien. Die Spekulationsgewinne tragen dann die Unternehmer und Verbraucher der realen Wirtschaft, die die virtuelle Arbeit der häufig institutionellen Spekulanten (Banken, Hedgefonds etc.) mit Milliarden teuer und ungewollt bezahlen müssen. Geld, das an anderer Stelle fehlt und über die hohe Teuerungsrate Unternehmensgewinne und Lohnsteigerungen auffrisst – und statt dessen in den Taschen in den Finanzzentren und Offshore-Paradiese landet. Laut den UNCTAD-Ökonomen hat es vor dem Jahr 2008 statistisch keinen Zusammenhang zwischen den Rohstoff- und den Aktienmärkten gegeben. Erst seit dem Krisenjahr 2008, als Billionengelder aus Angst vor Lehmann Brothers aus den Finanzmärkten in alternative „Anlagemöglichkeiten“ wie Gold oder Rohstoffmärkte flüchteten, sei die Korrelation deutlich gestiegen. Laut der Studie hat dabei nun vor allem der Hochfrequenzhandel innerhalb der Spekulation einen großen Anteil. (Zur vollständigen Studie der UNCTAD.)

Hochfrequenzhandel ist herdengetriebene Spekulation und keine Investition

Mittlerweile werden rund 70% der Börsengeschäfte in den USA und bis zu 40% der Geschäfte in der EU nur noch von Computern gesteuert. Sie sind darauf programmiert, unter Anwendung spezieller Algorithmen in Milisekunden geringste Kursschwankungen auf den Weltmärkten auszunutzen. Im Unterschied zu langfristigen Investitionen in die Realwirtschaft basiert dieses Geschäftsmodell allein auf der äußerst kurzfristigen Ausnutzung von winzigsten Kursunterschieden von Wertpapieren, Derivaten und Rohstoffen an verschiedenen Börsenplätzen (daher auch der Begriff Hochfrequenzhandel). Erst durch das exzessive Kaufen und Verkaufen in Sekundenbruchteilen summieren sich dann die Beträge zu gigantischen Gewinnen. Dabei ist vor allem auch – neben den Lasten für die Realwirtschaft – das Risiko von Kettenreaktionen von Bedeutung. So genannte Trendfolger kaufen Wertpapiere wie beispielsweise Rohstoffindizes, die zuletzt im Preis gestiegen sind, und verkaufen im Gegenzug die Loser. Die Computer-Algorithmen im Hochfrequenzbereich arbeiten nun mithilfe der Preisdaten in Millisekunden entsprechende Handelsstrategien aus. Da es tausende davon gibt, addiert sich ihr Verhalten zu einem Herdeneffekt, der kaskadenartige Kettenreaktionen in beide Richtungen zur Folge haben kann. Bestes Beispiel ist der „Flash Crash“ an der Wall Street vom 6. Mai 2010: Innerhalb weniger Minuten hatte der Dow Jones an dem Tag rund 9% seines Wertes eingebüßt, der größte Kursrutsch der Geschichte innerhalb eines so kurzen Zeitraums. Grund war eine falsch ausgeführte Order, bei der aus Versehen statt Millionen durch ein Verrutschen des Kommas Milliarden wurden. In einer Kettenreaktion zogen daraufhin aufgrund der verwendeten Algorithmen Tausende dieser „Hochfrequenz-Computer-Händler“ in einem Herdeneffekt wie die Lemminge mit und verstärkten damit den Trend noch weiter, so dass sich immer noch mehr Computerhändler der Fehlentwicklung anschlossen, bis der Handel ausgesetzt werden musste und der Fehler korrigiert wurde. Durch diesen Herdeneffekt wird somit die gefährliche Volatilität an den Märkten weiter deutlich gesteigert, während die Spekulation an sich die erwirtschafteten Gewinne der Realwirtschaft aufzehrt und umverteilt.

Spekulation auf den Rohstoffmärkte im Fokus der Politik

Die enormen Gewinne im mehrstelligen Milliardenbereich, die Spekulanten dem realen Wirtschaftskreislauf mit ihren todsicheren Finanzwetten entziehen und für die die verarbeitenden Unternehmen und die Verbraucher über ungerechtfertigt höhere Preise aufkommen müssen, sind schon seit längerem im Fokus der politischen Akteure. Eine stringente Handlung fehlt allerdings noch immer. Am prominentesten hatte Mitte 2011 der französische Präsident und damalige G20-Vorsitzende Niclas Sarkozy gegen die Rohstoffspekulation gewettert: In Bezug auf die Spekulation mit Agrarrohstoffen an den Finanzmärkten hatte Sarkozy gesagt: „Diese Märkte sind ein Witz“, sowie: „Die Deregulierung der Finanzmärkte hat die Welt an den Abgrund geführt. Ein Markt ohne Regeln ist kein Markt mehr.“ Die Argumente aus dem Umfeld der Spekulanten, dass europäische Handelsplätze nicht durch Regeln beeinträchtigt werden dürften, die an anderen Orten in der Welt nicht gelten, wies er dabei entschieden zurück: „Wenn ein Land die Mafia nicht bekämpft, sollen wir alle deswegen die Mafia nicht mehr bekämpfen?“ Er ergänzte folgerichtig: „Wir können uns nicht immer am Schlechtesten orientieren, der die wenigsten Regeln will.“ Europa habe daher die Pflicht, ein Modell für die Regulierung der Rohstoffmärkte zu entwickeln. Eines ist die von neun europäischen Staaten und der EU-Kommission geforderte Finanztransaktionssteuer, die allerdings im politischen Prozess zuletzt erneut ins Stocken gekommen ist. Aber in der Regel muss ein Problem zunächst erkannt werden, bevor es gelöst werden kann. Die UNCTAD-Studie ist ein weiterer Schritt in diese Richtung.
(mb)

 

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