Aus dem letzten Jahrhundert

Die Unternehmensleitbilder und Mission Statements vieler Unternehmen tragen inzwischen schon ein wenig Patina. Sie sind – im wahrsten Sinne des Wortes – aus dem letzten Jahrhundert. In Zeiten der Neuausrichtung müssen sie dringend auf den Prüfstand.

 

Unternehmenskultur? Als Kunde spüren wir sie bei jedem Kontakt: zwischen den Zeilen des Mailings, am ovalen Besprechungstisch, meilenweit durchs Telefon. Sie fühlt sich gut an – oder auch nicht. Sie legt sich wie eine dunkle Wolke aufs Gemüt – oder versorgt einen für Stunden mit Heiterkeit. Die Art und Weise, wie jede noch so brillante Marketingstrategie sich umsetzen lässt, wird letztlich determiniert durch Betriebsklima und Unternehmenskultur. Dabei bietet ein auf das dauerhafte Kundenwohl fokussierende Miteinander heutzutage wohl die aussichtsreichsten Zukunftsperspektiven und den besten Kopierschutz.

 

Schöner Schein

 

Selbst das eleganteste Leitbild bewirkt nichts, wenn es wie eine tibetanische Gebetsfahne irgendwo hängt, in der Hoffnung, dass es von alleine Gutes tut. Die Frage lautet vielmehr: Wie kommt das Leitbild vom Plakat an der Wand in die Herzen der Mitarbeiter und von dort zum Kunden rüber? Und siehe da:

Viele nobel formulierten Statements sind das Papier nicht wert, auf das sie gedruckt sind. Weil deren floskelhafte Bedeutung sich niemandem erschließt oder – viel schlimmer noch – mit der tagtäglich erlebten Realität kollidiert.

 

Was nutzt es, dass die Mitarbeiter Kärtchen mit Werten wie Verantwortung, Vertrauen, Transparenz im Geldbeutel spazieren tragen, wenn in der Führungsriege Diktatur, Intrigen, Mobbing und Bossing (Schikanen des Chefs) wüten? Leitbilder sind in solchen Fällen nichts weiter als ein Selbstbefriedigungsprogramm des Managements, aufgehübscht für den Geschäftsbericht und schick gemacht fürs Internet. Die Wirkung auf Außenstehende: unglaubwürdig, austauschbar, abgeschrieben, beliebig. Zwar schön anzuschauen, aber ohne Seele. Die Meinung der Mitarbeiter: eine Sammlung von Plattitüden, die kein Mensch kennt, die kein Mensch versteht, und an die sich kein Mensch hält.

Sonntagsgerede. Lippenbekenntnisse. Schöner Schein. Und damit gut für den Müll.

 

Der Kunde an erster Stelle?

 

Eine kürzliche Befragung von 300 Unternehmen im Rahmen der Studieninitiative ‚Excellence Barometer‘ (ExBa) ergab folgendes Bild: 66 Prozent der Befragten haben überhaupt ein schriftlich formuliertes Unternehmensleitbild. Und nur in einem Drittel aller Fälle steht dabei etwas zum Thema Kunde im ersten Satz. Dabei zeigte sich, dass erfolgreiche Unternehmen mit 71 Prozent signifikant häufiger ein schriftliches Leitbild haben als weniger erfolgreiche Unternehmen (58 Prozent). Bei ersteren steht der Kunde auch stärker im Vordergrund. Dabei wird vor allem die Kundenzufriedenheit angesprochen.

 

Im Leitsatz eines Verlages heißt es beispielsweise: „Erfolgreich sind wir dann, wenn unsere Leserinnen und Leser mit unseren Medien erfolgreich sind.“ Das klingt beim ersten Hinsehen gar nicht so schlecht.

Doch bei genauer Betrachtung schimmert die alte immer noch managementbezogene und selbstzentrierte Sicht auf den Kunden durch: Erst das Unternehmen, dann der Kunde. Dabei müsste es genau andersherum sein.

 

Der Kunde ist der wahre Boss

 

"Wenn der Kunde pfeift, müssen Sie tanzen", sagt der schwedische Wirtschaftsphilosoph Kjell A. Nordström. Das Machtverhältnis zwischen Anbieter und Verbraucher hat sich inzwischen umgekehrt. Der Kunde hat sich vom passiven Konsumenten zum aktiven Marktgestalter und Kaufverhaltensbeeinflusser gewandelt. Nicht länger die Unternehmen, sondern deren Kunden bestimmen inzwischen die Spielregeln, nach denen ‚verkaufen‘ gespielt wird. Der Kunde ist der wahre Boss.

 

So heißt es nun, auch im Leitbild den Kunden konsequent an die erste Stelle zu rücken. Im Fall unseres Verlages hieße das dann wie folgt: „Wenn unsere Leserinnen und Leser mit unseren Medien erfolgreich sind, dann sind auch wir erfolgreich.“ Der Kunde steht nun vorn. Die Blickrichtung hat gewechselt. Ein solcher Ansatz tritt (hoffentlich) dann auch die richtigen Fragen los: Was bedeutet das jetzt für uns? Was wollen und müssen wir ändern? Und wie können wir mit dem, was wir tun und wie wir es tun, nicht nur unsere Kunden erfolgreicher, sondern auch die Welt ein kleines bisschen besser machen?

 

 

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Zur Autorin

Anne M. Schüller ist Management-Consultant und gilt als führende Expertin für Loyalitätsmarketing. Über 20 Jahre lang hat sie in leitenden Vertriebs- und Marketingpositionen internationaler Dienstleistungsunternehmen gearbeitet und dabei mehrere Auszeichnungen erhalten. Die Diplom-Betriebswirtin und neunfache Buchautorin gehört zu den gefragtesten Keynote-Rednern im deutschsprachigen Raum. Sie arbeitet auch als Business-Trainerin und lehrt an mehreren Hochschulen. Sie gehört zum Kreis der ‚Excellent-Speakers‘. Zu ihren Kunden zählt die Elite der Wirtschaft. Kontakt:

www.anneschueller.de

 

 

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Das Buch zum Thema, ausgezeichnet mit dem Wirtschaftsbuchpreis 2008:

Kundennähe in der Chefetage. Wie Sie Mitarbeiter kundenfokussiert führen

Orell Füssli, Zürich 2008, 255 Seiten, ISBN: 978-3-280-05282-2

 

Das Hörbuch zum Thema:

Treue Kunden gewinnen und dauerhaft halten. Die 25 wertvollsten Erfolgsrezepte für Kundenloyalität und Bestandskundenpflege

CD, ca. 70 Min.,Breuer & Wardin Verlagskontor 2010, ISBN 978-3-939621-85-0

 


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