Statt sich ständig jedem Trend zu unterwerfen und die eigenen Problemzonen als Weltuntergang zu sehen, hat eine kleine Bewegung mit Ursprung in den USA das Internet erobert: Unter dem Hashtag „Dad Bod“ präsentieren junge und ältere Männer ihre Wohlstandsbäuche – mit Stolz! Denn der Dad Bod fühlt sich gut an – für einen selbst und für andere. Ursprung der Dad Bod-Bewegung ist nämlich eine Frau…
Ulrich B Wagner findet #DadBod super. Denn die Bewegung ist ein Zeichen für mehr Gelassenheit – etwas, das wir in der heutigen Zeit dringend brauchen können, wie er in seiner heutigen Kolumne „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag“ zeigt.
Was es ist
Es ist Unsinn sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Erich Fried, Was es ist
Nichts ist wichtiger für das Überleben und die Unabhängigkeit eines Organismus – egal ob Elefant oder Urtierchen –, als das innere Milieu konstant zu halten. Die Homöostase, wie dieses innere Gleichgewicht genannt wird, ist die Voraussetzung des freien Lebens.
Oliver Sacks, Ärger im Körper. Wie das innere Gleichgewicht den Geist beherrscht
Die Entwicklung geht schon eine Weile dahin, die Grenzen immer weiter nach außen zu verschieben und die Impulse stärker zu machen. Die Zuschauer sind emotional abgehärteter, und die Stimulanz muss grösser werden. Die Frage ist, wann man überdreht und es lieber gelassen hätte….
Thomas Ebeling, ProSiebenSat1 Chef
Es ist was es ist und es ist gut so.
In Australien hat die junge Studentin Subeta Vimalarajah mit einer Onlinepetition unter dem Motto „Stoppt die Besteuerung meiner Periode!“ rund 93.500 Unterschriften zusammenbekommen. Es ist durchaus schwierig in der heutigen Zeit locker und bei Sinnen zu bleiben. Doch davon später mehr.
Zurück zu unsrer mutigen Studentin in Down Under: Ihr wohl auch für uns Männer unschlagbarstes Argument lautet, dass „Menschen, die die Periode bekommen, Binden und Tampons nicht zum Spaß kaufen – warum also müssen wir alle zwei, drei oder vier Wochen zusätzliche zehn Prozent bezahlen?“, fragt sie sich mit Recht. Zum Hintergrund: Bei der bereits im Jahr 2000 in Australien eingeführten Waren- und Dienstleistungssteuer werden Tampons mit einer Steuer belegt, während Produkte wie Kondome und
Sonnenschutzcreme von der Steuer ausgenommen sind. Irgendwie nachvollziehbar, dass unsere junge Studentin nicht nur von einer sexistischen, sondern auch von einer zutiefst unfairen Steuer spricht. Auch ich frage mich von Zeit zu Zeit bei dem einen oder anderen, was ich mir auch nicht so zum Spaß kaufe, wieso ich darauf auch noch Steuern zahlen muss. Doch dies würde den Rahmen dieser Kolumnen sprengen.
Es ist wirklich schwierig geworden, in unserer schnelllebigen und komplexen Welt nicht die Nerven und den Verstand zu verlieren. Von Gelassenheit oder dem eingangs eingeführten Slogan „Es ist was es ist und es ist gut so“ ganz zu schweigen. Oder wann haben Sie diesen kurzen Satz zuletzt über ihre Lippen gebracht?
Und dann noch das
Auch wenn das Wetter der letzten Tage uns manchmal das Gegenteil beweisen wollte, naht der Sommer in großen Schritten. Aus dem Radio tönt es ohne Unterlass von Diäten, Bikinifiguren und Waschbrettbäuchen, während der frustrierte, genervte und schüchterne Ottonormalverbraucher wie ich allmorgendlich an seinen „wohlgeformten“ Rundungen herabblickt und in kurzen Momenten auch über die Alternative einer abendländischen Ganzkörper-Burka für die Herrn mittleren Alters nachdenkt.
Einverstanden, auch ich jogge nicht nach der Arbeit brav nachhause, sondern gönne mir vielleicht als Reiseproviant noch die eine oder andere Currywurst mit lecker Weizenbier vor der Heimfahrt. Eiweißbrot? Gemüse? Kalorienarme Softdrinks oder gar der eine oder andere Kräutertee? – Nein Danke!
Wenn, ja wenn nicht dieser blöde Mainstreamdruck wäre und das damit verbundene schlechte Gewissen, sowie die Angst beim nächsten Italienurlaub von irgendwelchen jungen Italienierinnen nicht gehänselt, sondern auch infolge einer Verwechslung wieder unter innigen „Rettet die Wale“-Rufe ins offene Meer gezogen zu werden.
#Dad Bod – Befreit den modernen Mann vom Schönheitswahn
Doch wieso eigentlich? Eine neue Bewegung aus den USA räumt nämlich endlich auf mit den bisherigen Schönheitsvorstellungen, die dem modernen Mann nicht nur täglich eingeimpft werden, sondern als Waffe benutzt werden, um uns Männer aus unserem inneren Gleichgewicht, das uns von Natur aus angeboren ist, herauszureißen. Für mich eine jahrelange Sünde gegen Mutter Natur. Schauen Sie sich beispielsweise nur die unterschiedlichen Figuren von Löwenpaaren an.
Auch Frauen stehen auf den Dad Bod
Doch Rettung naht in Form einer Initiative aus den USA. „Dad Bod” heißt sie und verbreitet sich gerade über Instagram. „Dad Bod”, das steht für “Dad Body” und bezieht sich auf männliche, dem zunehmenden Leistungsdruck durch Konsum von gelegentlichem Bier und gutem Essen Widerstand leistende, anschmiegsame und wohl gerundete Körper. Für einen „Dad Bod” braucht man also mindestens eine Wampe.
Wie The Daily Beast schreibt, kann man die Dad Bod-Bewegung auf die Studentin Mackenzie Pearson zurückführen. Diese schrieb einen Artikel für ihre Internetseite The Odyssey, die sich mit dem Lebensgefühl der Anfang 20-Jährigen beschäftigt. Gleich der erste Absatz ist Balsam für viele Männerseelen:
“In case you haven’t noticed lately, girls are all about that dad bod. I hadn’t heard about this body type until my roommate mentioned it. She used to be crazy over guys she claimed had the dad bod. After observing the guys she found attractive, I came to understand this body type well and was able to identify it. The dad bod is a nice balance between a beer gut and working out. The dad bod says, „I go to the gym occasionally, but I also drink heavily on the weekends and enjoy eating eight slices of pizza at a time.” It’s not an overweight guy, but it isn’t one with washboard abs, either.”
Mackenzie Pearson artikuliert damit, was viele Männer spüren. Stolz auf einen Körper, der vielleicht nicht perfekt aussieht, sich aber trotzdem ziemlich gut anfühlt. Auch für Frauen. Oder andere Männer. Hierfür nennt sie fünf Gründe:
- Laut Pearson lassen Frauen sich nur ungern im Bikini fotografieren . An der Seite eines stählernen Adonis fühlten sie sich umso unwohler, neben einem gemütlichen Bär dafür viel zierlicher und attraktiver.
- Auch wenn Frauen es mögen, wenn sie und ihr Partner als „süßes Paar“ bezeichnet werden: Die Hauptaufmerksamkeit und die Rolle der „Schöneren“ von beiden beanspruchen sie für sich selbst.
- Mit „Dad Bod“-Typen könne man gut essen, weil sie keine Angst vorm Sündigen haben.
- Kuscheln könne man mit ihm sowieso viel besser „als mit einem Stein“.
- Mit einem „Dad Bod“-Typen zum Partner droht einer Frau auch Jahre nach einer möglichen Hochzeit kein böses Erwachen: „Er hat mit 22 die gleiche Körperform, die er mit 45 haben wird“, so Pearson.
Wampe und stolz drauf
Ich finde es klasse. Nicht nur weil ich jetzt jeden Tag Vatertag feiern und mit Stolz meinen „Dad Bod“ (also meine Wampe) präsentieren darf, sondern, und das finde ich vielleicht wichtiger, es entspannt irgendwie. Ich verstehe es nämlich als ein klares Statement für mehr Gelassenheit. Für eine erste Abkehr von der immer weiteren Optimierung unseres Selbst und unseres Miteinanders. Wir sind Menschen und keine Maschinen. Wir sollten leben, uns wohlfühlen, so wie wir sind, und nicht wie irgendwelche Sport- oder Modegurus es verlangen.
Das Leben ist zu kurz, um traurig zu sein. Also achten wir doch lieber auf unser inneres Gleichgewicht, anstatt uns ständig mit unserer Äußerlichkeit und dem leidigen Thema Köpergewicht zu beschäftigen. Wir Männer natürlich. Bei den Frauen soll es da ja ganz anders aussehen oder nicht?
In diesem Sinne, wünsche ich uns allen wieder mehr Gelassenheit.
Ihr
Ulrich B Wagner
Über Ulrich B Wagner
Ulrich B Wagner (Jahrgang 1967) ist Diplom-Soziologe, Psychologe, Schriftsteller und Kolumnist. Sein Studium der Soziologie, Psychologie & Rechtswissenschaften absolvierte er an der Johann Wolfgang von Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zusammen mit Professor Karl-Otto Hondrich arbeitete er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema „Sozialer und kultureller Wandel“.
Ulrich B Wagner ist Dozent an der european school of design in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt Kommunikationstheorie, Werbe- und Konsumentenpsychologie, sowie Soziologie und kultureller Wandel und arbeitet als Berater sowie systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikation und Konzeptentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.