Die 3 ? auf ihrem Weg ins Morgen: Glaube, Liebe, Hoffnung

Unsere Wahrnehmung ist gesäumt von Fragezeichen: Immer wieder erscheinen weitere und begleiten uns; oft schneller, als sich Antworten für bereits Vorhandene finden. Die göttlichen Tugenden (Glaube, Liebe und Hoffnung) bieten für diesen Beitrag von Ulrich B. Wagner eine zweigeteilte Grundlage für Texte, die sich doch sehr unterscheiden – auf den ersten Blick: Beginnt doch beides und alles bei den grundlegenden Fragen, die nicht versiegen; wir lernen nur, über sie hinwegzusehen, hinwegzugehen – und bleiben doch stehen. Bislang.

Bemerkenswerter Hinweis: Beginnend mit diesem Wort zum Freitag stellt unser Kolumnist selbst seine Texte zusätzlich in gesprochener Form zur Verfügung. Ganz bequem zum Anhören finden Sie dazu jeweils am Ende der Texte den eingebetteten Audiotrack zum streamen.

Teil I: Randlose Notiz eines Heimatlosen

der friede zu eschersheim

mein geist fließt
im strom der welt
durch die menschen hindurch
in mich selbst zurück

was einzig blieb
war ein sehnen

das ausgepackt
zwischen den fingern zerrann
und im flug in die tiefe
in sich selbst verschwand

Ich bin ein Landstreicher in den Ruinenfeldern der ehemals elfenbeinernen Türme der Stadt. Einer menschenentleerten Stadt in the middle of nowhere, bewohnt von scheintoten Darstellern eines Volkstheaters, das das Volk nie sah. Aber dennoch – dem Hörensagen vertrauend – es, im Namen des nie selbst Begriffenen, dennoch zu Bewahren, zu Halten, die seit Urzeiten sich selbst Überlassenen aufzuhalten versucht, im selbstverliebten Strudeln des Gewesenen.

Dem selbstverlorenen Kreiseln meines Bleistifts auf dem zu Boden gefallenen Blatt folgend, ziehe ich so Worte auf Schnüre, reihe sie ein vor meinem Inneren zu Richtschnüren auf meiner Suche nach Sinn.

So lausche ich, mich selbst erfindend, mich wiederfindend im Rauschen der verstaubten Blätter, der Inszenierung der Beständigkeit und Kontinuität, dem emsigen Lärmen einer heiliggesprochenen Grabesruhe, die die Ruhe vor dem Sturm ihrer zum Tod geweihten Betriebsamkeit, sich selbst entleerend, übertönt.

Die Unvernünftigen aus der Mitte vertrieben bleiben wir allein.

Ganz unter uns verblieben, nur uns selbstgerecht, sind wir stumme Zeitzeugen einer blutleeren und sinnentleerten Zeitlichkeit, der Selbstgefälligkeit des Elfenbeins anheimgefallen ist.

So bleiben wir, durch eigene Hand der in Marmor gemeißelten, uns eingegossenen Drei ? der Kindheit, unsrer einstigen Wegschilder, den Kreuzen, den Herzen und Halt stiftenden Anker Beraubten, im emsigen Treiben des Lassens und Unterlassens uns selbst zurücklassend, dann doch nur am Abend uns ganz selbst überlassen.

So folgen wir, versunken in der gebetsmühlenartigen Beschwörung der göttlichen drei in unser Innerstes eingegossenen Fragezeichen, dem Glaube, der Liebe und der Hoffnung und auf ihre göttlichen Tugendhaftigkeit vertrauend, einer beflissenen Bewahrung von Wirklichkeit, ohne eigene Richtung und Ziel. Von Negation und Negativität betäubt, dem Kehrbesen des Laufs der Welt erlegen auf die Müllhalde der Geschichte.

Was uns einzig bleibt, ist ein Sehnen. Ein Sehnen, das ohne Worte

sich im Fließen der Welt in uns erfüllt.

So sind wir Zeugen unserer Zeit, unserer Wege. Diese kreuzen sich in vielerlei Hinsicht: Alltäglich und ganzheitlich in der ungreifbaren Form unserer Lebenswege, wie auch in einem gemeinsamen Bestreben zur Konstruktion von Bedeutung, Sinn und Sinnzuschreibung. Was uns dabei grundsätzlich gemein und zu eigen ist, bleibt jedoch vornehmlich die Ratlosigkeit. Diese steht der Suche, den Tugenden und dem Sehnen selbst gegenüber. Doch bei genauerem Hinsehen tut sich in der Tat ein (Aus-)Weg auf.

Teil II: Ich bin ein Bewohner des Apostrophen-Turm

Ich strebe nicht danach, an meinen bisherigen Erklärungen
zu einer bestimmten Frage unbedingt festzuhalten,
sondern ich will an der Wahrheit festhalten,
wie sie sich mir in einem bestimmten Augenblick darstellt.

Mahatma Gandhi

Unserer Ohnmacht, dem Gefühl der Verlorenheit in einer sich immer weiter öffnenden Lebenswelt scheinbar hilflos ausgeliefert, greifen wir den Untergang unserer selbst, unserer Konstruktion der Wirklichkeit vor unseren erstarrten inneren Augen, in Todesangst vor dem ungewissen Morgen, reflexartig zurück in eine erinnerte Gestrigkeit. Versuchen, mittels des Gestern nicht nur das Heute uns leb- und erlebbar zu machen, sondern ein Heute, das aus dem offenen Blick des Gestern schon ein Vergangenes war, uns als Maßstab und Richtschnur eines noch unverbrauchten Morgen zu machen.

Eines vermeintlichen Heute – eines gemeinsam in gemeinsamer Ratlosigkeit als gemeinsam konstruierten Heute – das, sobald wir im Morgen angekommen sein werden, sich nicht nur als Konsensfiktion, sondern als das Übel erweisen wird, das es zu verhindern galt.

Wir starren durch das hindurch, was vor uns liegt

Es sind nicht nur die alten Antworten auf die sich durch Veränderung zwangsläufig neu stellenden Fragen, die zu dieser Blindheit gegenüber dem Neuen und der Aufrechterhaltung des Alten führen. Vielmehr ist es die Starrheit und/oder die Sturheit, mit der wir der Neuformulierung der von alters her bestehenden Fragen und Fragestellungen zu den Herausforderung des Lebens und der Welt, in der wir leben, aus dem Weg gehen.

So entwerfen wir ein Bild von uns, unserer Welt, eines vermeintlichen Morgen, mittels Antworten auf Fragen, die voller Worte, Bilder und Erinnerungen sind. Dieser wiederum haben ihren Sinn, ihre Bedeutung aus einer vergangenen Zeit mitgeschleift und sind selbst als Worte, als Begriff, als eindeutige Kennzeichnung für einen Sachverhalt unbrauchbar geworden.

Worte, die mehr Erklärung bedürfen, als das sie im Akt der Kommunikation Klärung herbeiführten.

Das Zusammenprallen zweier Epochen, die Vehemenz, mit der die Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeit in allen Lebensbereichen spürbar wird, lässt nämlich nicht nur räumliche Grenzen oder kulturelle Grenzen verschwimmen. Stattdessen lässt sie die bisher als Beruhigung empfundene Selbstverständlichkeit, mit der wir Begriffe, Worte, Sätze formten, den Sinn und Zweck menschlicher Kommunikation nicht nur unmöglich werden, sondern führt selbst innerhalb ein und derselben Sprachgemeinschaft zu einem babylonischen Sprachgewirr.

Das Fehlen von Verstehen – und Sicherheit

Die selben Worte verwendend, drücken wir so tagein, tagaus das Gegenteil des vom Kommunikationspartner Gemeinten aus, wiegen uns so in verständnisloser, unhinterfragter Gemeinsamkeit und Harmonie, deren wir uns jetzt durch das bisher nicht sehen und begreifen wollende, schon heute bereits existierende reale Morgen, in uns und um uns herum, bedroht fühlen.

Es könnte daher hilfreich sein, zu erkennen, dass nicht das, was wir befürchten zu verlieren, von Untergang und Zerstörung bedroht ist, sondern einzig die Fassade dessen, was wir vermeintlich zu schützen gedenken.

Es ist daher auch nicht das, was zu sein scheint, um das weltweit und nicht nur in Deutschland so verbittert im Inneren und im Äußeren bis hin zum Krieg, als Mittel der Wahl, gekämpft und gestritten wird.

Es ist mehr der verbitterte Kampf um die Aufrechterhaltung der Fassade: Sowohl der Innenwelt als auch der Innenfassade des Einzelnen, aber auch der Gemeinschaft.

Einer Fassade, die für den Einzelnen, aber auch die Gemeinschaft, mittlerweile zur identitätsstiftenden Inszenierung ihrer postfaktischen Wesens- und Daseinsbegründungen geworden ist. Einer Schutzmauer, gezogen aus Angst, sich mit sich im Wi(e)derklang des ewigen Spiels von Schein und Sein verlustig zu werden.

Es geht um eben jene Fassade, die das nackte Grauen des allgegenwärtigen Selbstbetrugs, des Fremdsein in sich Selbst, die Leere, den Wahnsinn und das lärmende Schweigen nicht bloß vor den Anderen, sondern auch vor uns selbst zu verbergen sucht.

Veränderung in der Zeiten, in der jede Wahrheit „fake“ sein könnte/kann/wird

In diesen Transitzeiten werden die alten Wahrheiten, die alten Gewissheiten, die Überlieferung bis in alle Ewigkeiten zu gelten geglaubten letzten Antworten nicht nur fraglich, sondern die Wahrheit per se. In genau diesen Zeiten können wir daher als Zeitgenossen, als direkt vom Wandel Betroffene auch nur die Zerstörung des uns Heiligen, des Kerns und Lebenszentrums unseres Seins erkennen – und nicht die Befreiung aus der Begrenzung unserer menschlichen Eindimensionalität und selbstverschuldeten Unmündigkeit.

Nicht das Morgen lässt unsere letzten Wesens- und Daseinsbegründungen, das Heilige und Außeralltägliche oder Gott per se verschwinden, sondern wir selbst. Indem wir diese Erklärung des letzten „Warum“ mittels Worten und Bildern vorzunehmen versuchen, die nicht nur aus der Zeit gefallen und damit unverständlich und unversöhnlich mit dem Morgen der Welt geworden sind, sondern insbesondere auch auf der menschlichen Fehleinschätzung beruhen, wir dürften uns selbst als Krönung der göttlichen Schöpfung zu betrachten.

Eine Anmaßung, die wohl als ursächlich dafür anzusehen ist, dies zu denken, die aber auch zur fundamentalen Fehleinschätzung geführt haben dürfte, sich über die Begrenztheit der Sprache, der Begriffe, mittels derer unser Verstand sich uns und uns das Universum zu beschreiben versucht, hinwegsetzen zu können.

Wo die eigentlichen Grenzen liegen

Um ein Morgen nicht nur für Einzelne, sondern für Alle von uns möglich werden zu lassen, sollten wir uns endlich diese letzte Begrenztheit unseres Geistes, unseres Verstandes – auch trotz der ihm inhärenten Fähigkeit, sich zeitweise selbst aus der ihn begrenzenden Körperlichkeit zu befreien – anerkennen.

Es sind die Worte, die alten Bilder, die unsere Vorstellung des Morgen nicht nur begrenzen, sondern auch verdunkeln.

Glaube, Liebe, Hoffnung spenden daher in ihrer Wortleere, ihrer Beliebigkeit, ihrer Uneindeutigkeit nicht nur keinen Trost in schwierigen Zeiten, sondern blockieren den unvoreingenommenen Blick, machen unsere Wahrnehmung nicht bloß zu einem Balanceakt zwischen Illusion und Wirklichkeit, sondern verwandeln in Folge ihrer Eingegossenheit in uns – durch Gottes Gnaden (Glaube, Liebe und Hoffnung bezeichnen ursprünglich die theologischen Tugenden und werden auch „göttliche Tugenden“ und „christliche Tugenden“ sowie „eingegossene Tugenden“ genannt) – das Positive ihres Ursprungs, die ihnen zugrundeliegende Lebensbejahung und -freude, in eine die Zukunft verdunkelnde Negativität und eine Weltuntergangsstimmung, die den mühsam befreiten Willen des Einzelnen erneut in Ketten legen.

Sehnen ist nicht nur ein Gefühl: Es ist alles.

So sollten wir in diesen Zeiten des Ritts auf Messerschneide uns lieber auf das Wesentliche und das ihnen, den großen 3 Fragezeichen zugrundeliegende Gefühl konzentrieren: das Sehnen.

Ein Sehnen, das nicht nur durch das Wort Heimat – ein Unwort und Treppenwitz deutscher Geschichte, das nunmehr sogar bei den GRÜNEN im Zuge der AfD angekommen zu sein scheint – auch uns erkennen lässt, was im Grunde mittels des abgenutzten und als Sammellager kranker Weltvorstellungen verschandelten Begriffs der Heimat, durch die Bewegung des Sichselbstsetzens, durch die Vermittlung des Sichanderswerdens mit sich selbst, im Morgen aus uns erwächst.

Ein Sehnen, als ein Zu-Hause-Sein in sich selbst, mit sich und in einem Leben mit signifikanten Anderen, das durch Kommunikation, durch Austausch, durch den offenen Konflikt und durch das in uns allen innewohnende Ringen um Erklärungen, um den Sinn des Ganzen, nicht nur neu, sondern aufs Neue verständlich macht, sondern auch das Verstehen Wollen des vermeintlich signifikanten Anderen als Mensch, wie Du und Ich, und seine gleichen letzten Fragen, dem Warum und Wozu: ein Sehnen nach Bedeutsamkeit und Sinn, das uns den Weg in das Morgen weist, ja, es erst möglich macht.

Es gilt die Angst vor dem Namenlosen, dem Ungewissen, dem von Worten unverstellten Sehnen – jenseits der Beliebigkeit der Worte, jenseits des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung – in einem gefühlten und mit allen Sinnen greifbaren und begreifbaren Sehnen aufgehen zu lassen.

Whatever it takes.

Ihr
Ulrich B Wagner


(Quelle: YouTube)

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