Ich mache, was ich will: Schulen voll Idioten

Wir nähern uns dem Ende der Trilogie, die den Auftakt für seine neue Kolumnenserie Willkommen im Morgen darstellt. Unser Kolumnist Ulrich B. Wagner schloss den Text der letzten Woche mit einem sehr eindringlichen Statement: „Ich mache, was ich will.“ Dieses Mal geht es nicht allein um den Willen eines einzelnen Individuums, sondern den individuellen Willen an sich; oder vielmehr dessen, was wir dazu brauchen. Das große Schlagwort Bildung steht hier nicht einfach im Rampenlicht, sondern wird zum Flutlicht, das es auf die Bildungsanstalten zu richten gilt.

ira furor brevis est,
animum rege, qui nisi paret, imperat

Der Zorn ist eine kurze Raserei,
beherrsche sie
(mach sie dir nutzbar),
wenn sie nicht gehorcht (wenn du sie dir nicht nutzbar machst),
befiehlt sie (bestimmt sie über dein Leben)

Wut ist das Geheimnis meiner Kraft: Die Böhse Onkelz Trilogie Teil III

Einer Liedzeile, der ich nicht nur im eigenen Moment des Zornes zustimmen kann, sondern auch aus eigenem Greifen und Be-Greifen dieser Übermacht, dass nur, nur sie im letzten Zucken, bereits komplett Geleertes zu ersetzen in der Lage war, um sich aus Lethargie und gefühlter Hilflosigkeit von Neuem auf den Weg zu machen.

Warum wählt man keine anderen Alternativen, fragt sich in solchen Situationen nicht nur der vom Niederschlag Nicht- – oder nicht in dieser Härte und Ganzheit – und Unbetroffene, sondern auch der Betroffene in der Regel selbst.

In solchen Momenten ist die Welt meist aus den Fugen. Die eigene und/oder auch die Welt; diese Welt, die einen umgibt. Geglaubte Sicherheiten, Erwartungen und Sehnsüchte verlieren sich im Nichts, oder werden von Anderen oder dem Zeitenlauf in die Mülltonne der Geschichte geworfen (ob nun real oder aus der eigenen Perspektive so wahrgenommen und häufig mit ganzer Wucht und allem ergreifender Naturgewalt auf sich niederschlagend).

Wer (aus der Vergangenheit) nicht lernt…

Was hilft die Brandmarkung  derer als Wutbürger, die ihre Kreuze – ob nun als Reaktion auf das Fehlen echter oder nicht für sich selbst wahrnehmbarer Alternativen – am vergangenen Sonntag in freier Wahl an dieser oder jener Stelle setzten?

Wut, Angst, Frust: Warum rückt das Land nicht nach links?, titelte bereits DIE ZEIT vor 14 Tagen (genauer gesagt am 14.09.2017).

Warum wähle ich, der Ungehörte, aus sicherem Abstand Unverstandene – stehenden Sturmlaufs, getroffen oder angetroffen im erneuten Aufschlag des Buchs Erinnerung – kein anderes Mittel aus; spätestens im müden Aufblicken des ewigen Kreiselns, um dieselbe Frage, im Auflodern wohl vertrauter Regung brennenden Benzins, angesichts berührter Sinnlosigkeit und Wirkungslosigkeit des Tuns.

Doch die Ignoranz und Verleugnung der Alternativ- und Hilflosigkeit, die aus der Diskriminierung derer, die sich so letzten Bäumens Ausdruck verliehen haben, sorgen mit Gewissheit nur für eines: Dass diese Menschen oder man selbst in anderen Kontexten, nun aufs Neue nunmehr von allen Seiten Angezündete und im Verbrennen ihrer selbst Getroffene und Angetroffene, im schlimmsten Fall in Fackeln tödlicher Raserei verwandelt werden.

Was wir hören, wenn ein Schrei erklingt

Mit Sicherheit erklingen Erkenntnisse im Umgang mit solchen Lebensmomenten in Sätzen zum Ausdruck wie von dem von mir auch sehr geschätzten Peter Handke – auch er ein Wohlvertrauter seiner Wut. Poetischer Ausdruck der Erkenntnisse, die nicht das Ohr des Wagnislosen belasten, nicht mehr als so manche Liedzeile der von mir für diese Trilogie gewählten Böhsen Onkelz:

Einmal kam ein schwerer Tag in die Schwebe,
als ein einzelner Regentropfen mein inneres Ohr berührte,

doch bräuchte es um diesen nicht nur zu spüren oder nur verstehen zu können, nicht erst des Abstandes, ob nun des zeitlichen oder räumlichen, vom Einschlag auf die eigene Welt und/oder das Selbst als Mensch.

Nähe und Distanz als Determinanten der Möglichkeit und Unmöglichkeiten, seine Wut oder seinen Zorn in den Griff zu bekommen, werden häufig von den aus sicherer Höhe vom Schicksal oder Wut auslösenden Umständen in der Regel (noch) Verschonten aus sicherer aseptischer Unbeteiligtheit nicht zur Beurteilung des Zornigen herangezogen.

In diesem Ausdruck des – ob nun kurz oder auch länger anhaltenden – mit anklingenden Ausdrucks nackten Schreiens der Hilflosigkeit des Ungehörten, Unverstandenen, wird feige vor dem eigenen Fragen, dem eigenen Gefühl, dann auch nur die mit ihr nicht selten einhergehende, die nackte, nicht zielende, nicht führende Gewalt wahrgenommen. Botenstoffe eigenem unausgelebten Zorns, Vorboten und Selbstschutz, eigener unter dem Deckmäntelchen moraliner Kultiviertheit wohlbekannter, doch wohl geleugneter persönlicher Raserei.

Diese Ignoranz des Unbetroffenen führt dann zur weiteren Demütigung des sich so mit aller Kraft der Verzweiflung Ausdruck Verleihenden, die sich durch die Benennung des vom Zorn des in diesem Moment seines Lebens vom Zorn Beherrschten als Asozialen und/oder Verschiebung seiner Person auf die es zu behandeln geltenden Patientenebene nicht bloß nicht zum Erfolg, sondern zu einem Entfachen dessen, was der in von seiner moralinen Ignoranz beherrschte Gutmensch zu verhindern gedachte.

Worin die Kunst der Wut besteht

Doch wo lernen wir es, diesen Zorn nur zu einer kurzen Raserei anwachsen zu lassen und ihn dann auch noch zu beherrschen?

In welcher Schule, in welcher wie auch immer gearteten Erziehungsanstalt, lernen wir dann auch noch Wege und Mittel kennen, den ohnmächtigen Zorn zu einer Selbstermächtigung, die blinde Wut in ein neues Sehen zu verwandeln, das die Chance ermöglicht, zu geben, ja sich in eine positive „Gründungsgewalt“ zu verwandeln, die es wiederum ermöglicht, sich aus eigener Kraft aus der Dunkelheit und Begrenzung zu befreien? Und dabei nicht alles mitzureißen, ob nun das eigene Leben, die eigene Person oder auch die ihn umgebende Welt, in zerstörerischem Infekt und in seiner extremsten Spielart auch in tödlicher Gewalt mitauszugestalten?

Die Welt steht auf dem Kopf?  So mag es sein…..

Doch wer sagt, wo oben?
Wo das Unten sei?

Wer sagt, was wo verortet ist?
Was ist nun richtig oder falsch?
Was soll ich sein?
Was darf ich sein?

Helfen uns die Schulen?

Hilft uns die Bildung, so wie wir sie verstehen, all die von den in der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft Lebenden in feinem Deutsch ausformulierten Erziehungs- Bildungskonzepte mit dem ihm zugrundeliegenden aseptischen, von der Lebenswirklichkeit abtrennenden, statischen Wissen und Auswendiglernens?

Sind unsere Schulen voll Idioten?

Oder sind es sie, die pädagogischen Radfahrer falsch verstandener Sozialität, des Buckelns an die Obrigkeit, des Tretens in die Lenor-gespülten Pedale der Niedertracht mit ihrem als mitfühlendes Verstehen getarnten Selbstmitleid, das nur entmündigt und nicht Hilfe gibt zur Selbsthilfe, sondern nur behandelt, nur begrenzt?

Erziehen Schulen allen Ernstes, ob gutgemeint oder auch nicht, in ihrer derzeitigen Verfassung nur noch Vollidioten?

Mit Sicherheit nicht nur, in ihrer Gesamterscheinung versorgen sie jedoch in ihrer gegenwärtigen Form die sich selbst überlassenen Menschen von Morgen nur einem Wissen einer Lebensbildung, die nicht nur als lebens- und/oder realitätsfern zu bezeichnen ist und in der Art der Vermittlung eine Selbstfindung der eigenen Person, der Entwicklung, aber auch der Anerkennung eines eigenen Willens und eigener Problemlösungskompetenz abschneidet. Sie erzieht nicht zu mündigen Erdenbürgern, sondern degradiert sie zu entmündigten Opfern ihrer sie umgebenden und bestimmenden, vermeintlichen Wirklichkeit.

Ein System, das die noch weitestgehend von Zwängen freien neuen Erdenbürger vom wahren Leben, der wahren Zeit, den wahren Fragen – ja dem echten, aber auch dem jedem Menschen von der frühesten Kindheit mit in die Wiege gelegten – Lernhunger abschneidet. Es verwandelt sie zu entmündigenden Opferwesen und beraubt sie so des Bedürfnisses, die jeden von uns umgebende Welt nicht nur durch die Brille eines durch theoretischen Wissens vereinheitlichen Blicks, sondern mit eigenen Augen zu betrachten, zu entdecken.

Anstatt ihnen die Fähigkeiten zu vermitteln, sich selbst als Mensch zu verstehen, als Schöpfer seines Lebens, seines Glücks, seiner auf dem erst Blick von anderen, aber dennoch in sich selbst geborenen und gepflegten Hölle oder eines Paradieses Geborenen. Anstatt sich als den Menschen, die Person, die Persönlichkeit zu begreifen, die er erschafft und nicht zu den andere ihn mit aller Macht gemacht oder machen wollen; und das zu verstehen.

Scheine(n), Glanz und Funkeln, und was Veränderung wäre

Es mag sein, dass Bildung immer schon die Währung war, doch welche?

Eine Währung, die sich nun nicht nur in der Form, wie sie sich zu erkennen gibt, als eine auf Spielgeld beruhende entpuppt, und die nur in einer zur Beruhigung der Ausgegrenzten künstlichen Scheinwelt als Zahlungsmittel anzusehen ist.

Eine Währung, die Sicherheit bietet, sich mit ihr Eintrittskarten in das wahre Leben, zu echter Chancengleichheit und zu einem fairen Austausch von Waren und Gütern allen Ernstes eignen soll und sich dann doch am Ende als bloße W(a)ehrung des Bestehenden entpuppt.

Es gilt daher mit Sicherheit als eine der Hauptaufgaben der Gegenwart, wie es Tanja Jungmann, Professorin und führende Expertin für frühkindliche Bildung in Heft 09 gegenüber brand eins betonte, nicht nur die Welt wieder auf den Kopf zu stellen, sondern in erster die sie bestimmende, gestaltende Bildungspyramide, als eine solche nicht nur anzuerkennen, sondern dann auch auszurichten.

Bildung – nicht durch statische Abschlüsse, durch Vereinheitlichung von Wissen, durch Ausrichtung auf die Heranzüchtigung von willenlosen für sich selbst wertlosen, aber für die auf die Interessen der Wirtschaft wertvollen, ansonsten aber willenlosen Arbeits- und/oder Konsumenten auszurichten. Sondern auf Menschen, die in der Lage sind, die Herausforderungen der Zukunft gemeinsam, nicht bloß in heuchlerischer Harmonie der Ignoranz des Anderen, sondern wertschätzender Auseinandersetzung mit dem Anderen zu meistern.

Kindern, aber auch den Großen ein Wissen zu vermitteln, über eine Welt und eine ihr zugrundeliegende Lebendigkeit, die sich durch Veränderung und ihre Möglichkeiten, diese zu erkennen und auch anzunehmen, nicht nur definiert, sondern auch selbst als eine solche gestalten lässt.

Ein Wissen über eine Welt, die in der Öffnung  und immer weiterführenden Ausweitung der eigenen Lebenswelt nur dann belebbar bleibt, wenn das Bild, das sich ein jeder Einzelne durch die Vermittlung des Wissens aus bereits Gewesenem, aus einer vergangenen Wirklichkeit, aus seinem Kulturkreis erworben hat, nicht als ein Ewig Wahres und Heiliges betrachtet wird, das es zu bewahren gilt, sondern als eines solchen, das es immer wieder aufs Neue – Neu mit Altem verbindend zu einem neuen, differenten – zu gestalten und immer wieder aufs Neue zu vermitteln und zu erlernen gilt.

Einem Bild, das von jedem Einzelnen selbst zusammengesetzt werden muss, sich selbst erarbeitet und erschaffen werden muss. Ein Bild, das es von Zeit zu Zeit zu zerschneiden gilt, um es dann wieder auf der Basis des neu Erlernten, Erfahrenen und Erlebten zusammenzufügen.

Das eigene Bild, das wir alle in uns tragen, darf – nein, es muss mit Sicherheit sogar; und dafür bedarf es wahrscheinlich manchmal auch des Zorns als neuen Antrieb und Überwinder der Angst vor dem Neuen und Ungewissen – auch in einer kurzen Raserei zerrissen werden, um es dann, wenn wir wieder Herr oder Frau über unseren uns mitreißenden Zorn geworden sind, aufs Neue nach unserem Willen zu einem Selbst und nicht zu einem Gewesenen eines Anderen zusammensetzen zu können.

Einheitsbrei ungleich Bildung

Schule sollte Schule für das Leben sein und ein Wissen vermitteln, um seine Fähigkeiten nicht nur zu erkennen, sondern diese auch durch eigene Kraft immer wieder auf die Veränderungen, die das Leben bereithält, auszurichten. Ein Wissen, dass es ermöglicht sein Schicksal nicht nur nicht annehmen und erdulden zu müssen, sondern es selbst meistern zu können. Einem Wissen, das es ermöglicht, sein Schicksal nicht hilflos annehmen zu müssen, sondern sich selbst als mögliches Problem des mit sich machen Lassens, des Ertragens und Erduldens dessen, was mit einem geschieht, der eigenen Ohnmacht und Hilflosigkeit ansehen zu können, um den aus dieser vermeintlichen Hilflosigkeit entspringenden Zorn und die mit ihm verbundene Energie für sich und im Interesse einer neuen Lebensmacht nutzbar zu machen.

Jungen Menschen sollte an zukünftigen Bildungsorten daher vor allem der Mut, die Kraft und die Mittel in die Hand gegeben werden, sich selbst ein Wissen, aber auch ein echtes Gefühl und Verständnis davon zu vermitteln, was sie wollen und nicht, was Andere von ihnen verlangen, um nicht erst im Zorn zu brüllen: Ich mache was ich will, sondern aus dem „Machen was man will“ zu einem positiven Lernverständnis zu sich und der Welt zu kommen.

Ihr

Ulrich B Wagner


*Hinweis zum Coverbild: Originalfoto © Jim Marshall, San Quentin

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