Führungskräfte: Menschenführung funktioniert anders, als Geld zu managen!

In der Vergangenheit orientierte sich Führung an klaren Hierarchien und vorgegebenen Strukturen. Diese Zeiten sind vorbei. Die Veränderungen durch Globalisierung, Wettbewerbsdruck, Digitalisierung et cetera verlangen von Führungskräften neue Handlungsstrategien und -weisen. Die Unternehmensführung befindet sich im Umbruch. Es sind neue Kompetenzen und Qualitäten sowie neue Formen des Denkens und Handelns gefordert. Wir haben mit Personal & Business Coach Brigitta C. Kemner über die Herausforderungen als Führungskraft unterhalten. Dabei haben wir unter anderem Wege disktuiert, was eine Führungskraft braucht, um auch zukünftig leistungs- und entscheidungsfähig zu sein. Sie ist eine Expertin auf dem Gebiet der Führung und hat sich den Themen  Selbstbalance, Selbstführung, Menschenführung, Potenzialentwicklung und Kommunikation verschrieben.

Interview mit Brigitta C. Kemner über Menschenführung und Führungskräfte

Frau Kemner, Sie coachen Führungskräfte. Was sind Ihrer Erfahrung nach die zentralen oder häufigsten Themen, die Führungskräfte beschäftigen?

Junge Führungskräfte befinden sich häufig in einem Zwiespalt zwischen dem Bedürfnis, den Menschen gerecht zu werden und dem Anspruch, geforderte Ergebnisse zu erreichen. Sie haben den Ehrgeiz, Leistung zu bringen und machen gleichzeitig die Erfahrung, dass Menschenführung zunächst bedeutet, sich von den eigenen Ansprüchen und Erwartungen zu lösen und jeden einzelnen im Team dort abzuholen, wo er gerade steht. Häufig besteht Unsicherheit über Grundhaltung, Inhalte und Werkzeuge innerhalb der Führungsaufgabe und Klarheit fehlt.

Viele Führungskräfte stellen sich diese oder ähnliche Fragen: Wie bringe ich Menschen dazu, konstant Leistung zu bringen? Wie gehe ich mit den unterschiedlichen Menschentypen um? Wie motiviere ich richtig und setze Ziele? Wie kritisiere ich angemessen und löse Konflikte im Team? Wie gehe ich mit Ärger und Provokation um? Was ist eine wirksame Mischung aus Fakten- und Menschenorientierung?

Auch erfahrene Führungskräfte haben häufig damit zu kämpfen, dass der ständige Leistungsdruck und die Informationsdichte das Stresslevel dauerhaft hoch halten und die Tatkraft und Energie irgendwann beginnen zu schwinden. Frust und Unzufriedenheit machen sich breit – insbesondere dann, wenn eigene Ideen und Impulse ausgebremst werden und Vorgaben zu erfüllen sind, die entweder nicht zu halten sind oder nicht sinnvoll erscheinen. Viele Führungskräfte fühlen sich stark unter Druck und haben das Gefühl, ohne Rücksicht auf Gesundheit und persönliche Bedürfnisse funktionieren zu müssen. Faktische Ziele müssen unbedingt erreicht werden. Der Mensch jedoch steht oft abseits von all dem und wird nicht als Einflussfaktor in Prozesse integriert. Das belastet Führungskräfte teilweise enorm, da sie oft sehr nah am „Geschehen“ sind, die Auswirkung von Entscheidungen auf Mitarbeiter unmittelbar erfahren und damit umgehen müssen. Wie bleibe ich bei diesen Herausforderungen gelassen und in Balance? Diese Szenarien führen dann oft zu einem gedanklichen Karussell dieser Art: Wie kann ich mit Druck umgehen und mich souverän positionieren? Wie weit darf ich Forderungen von oben blind umsetzen? Wo muss ich Grenzen setzen und wie schaffe ich das? Wie gelingt mir Selbstbalance?

Warum ist gerade das Thema Selbstbalance so zentral? Können Sie dort eine allgemeine Entwicklung beobachten?

Durch den zunehmenden Erfolgs- und Zeitdruck im Arbeitsleben verlieren immer mehr Führungskräfte und auch Mitarbeiter an Lebensqualität. Die Balance zwischen Arbeit und Privatleben geht oft völlig verloren. Der Anteil von Menschen, die aufgrund eines allgemeinen Erschöpfungszustands oder wegen Depressionen dem Unternehmen als wertvoller Leistungsträger verloren gehen, wächst ständig. Man möchte sich keine Schwäche eingestehen und versucht, völlig allein und auf sich gestellt, an der Front alles in den Griff zu bekommen. Doch langfristig tritt genau das Gegenteil ein. Die Überforderung nimmt stetig zu, und der Spagat zwischen beruflicher Herausforderung und privaten Anforderungen/Bedürfnissen ist einfach nicht mehr zu schaffen. Leistungskraft, Gesundheit und Zufriedenheit nehmen so irgendwann fast irreparablen Schaden.

Es ist also notwendig, aktiv gegenzusteuern und die Balance wieder herzustellen, wenn wir nicht Opfer der aktuellen äußeren Entwicklung unseres Alltags werden möchten. Selbstbalance ist ein entscheidender Faktor für langfristigen beruflichen Erfolg, Lebenszufriedenheit und stabile Führungsleistung.

Was ist der Grund für diese Entwicklungen?

Unsere schnelllebige Welt fordert etwas von uns, wofür wir nicht gemacht sind. Insbesondere digitaler Stress führt zu einer Überforderung unseres Gehirns durch ständige Informationen. Das Stresslevel steigt, der gesamte Tag ist extrem durchgeplant, Freiraum fehlt komplett, Energie und Konzentration lassen nach. Doch wir versuchen trotzdem, allem gerecht zu werden, uns zu kontrollieren und den schönen Schein zu wahren. Wir geraten in einen destruktiven Leistungskreislauf und bleiben innerlich oft auf der Strecke.

Brigitta C. Kemner, Business Coach, Personal Coach, Unternehmer, Veränderung
Brigitta C. Kemner ist Personal Coach, Business Coach und Rednerin (Bild: © jennifer fey, jennifer fey photography)

Viele Menschen versuchen durch Kompensationsverhaltensweisen, wie zum Beispiel übermäßigem Alkoholkonsum, Rauchen, ungesundes Essen oder sonstige Kicks, einen Ausgleich zu schaffen. Doch letztendlich verstärkt sich dadurch der Kreislauf noch und die wahren Bedürfnisse und Gefühle werden mehr und mehr verdrängt.

Was sind Ihre Tipps für diese Selbstbalance beziehungsweise wie gehen Sie dort im Coaching vor?

Wir sollten immer die zentralen vier Lebensbereiche im Blick haben und dort Bedürfnisse wahrnehmen, Risikofaktoren und Stressoren erkennen und auflösen:

  • Fitness und Ernährung
  • Erfüllte Beziehungen
  • Berufliche Erfüllung
  • Persönlicher Freiraum.

Zusätzlich ist es wichtig, das gedankliche  „Nomadentum“ einzudämmen und die Fähigkeit zur Gegenwärtigkeit zu trainieren. Unser Verstand ist mit den Gedanken ständig auf Reisen in der Zukunft oder Vergangenheit. Das ist einer der Hauptauslöser für Stress. In der Gegenwart kann kein Stress überleben, wir sind konzentrierter und können ein konstantes Energielevel halten. Ein wesentlicher Punkt sind dann noch unsere Erwartungen, Urteile und Vorstellungen. Wir werden dadurch steif, ärgerlich und unflexibel. Durch Loslassen können wir konstruktiv gestalten und Potenziale heben.

Was sind Ihrer Ansicht nach die zentralen Fähigkeiten oder Qualitäten von wirksamen Führungskräften?

Wirksame Führungskräfte zeichnen sich aus meiner Sicht durch folgende Punkte aus:

  • Ganzheitliches Denken und Vogelperspektive einhalten
  • Fokussieren und konzentrieren können
  • Empathie und Herzensstärke
  • Offener und flexibler Geist
  • Präsenz und Achtsamkeit
  • Mut, innere Stärke
  • Gleichmut und Gelassenheit
  • Zuversicht
  • Integrität
  • Vertrauen schenken.

Einige dieser Qualitäten würde man auf den ersten Blick nicht voraussetzen? Warum sind sie so wichtig?

Menschenführung funktioniert anders, als Geld zu managen. Diese Qualitäten sind Kennzeichen eines echten Leaders, weil sie innerlich frei und stark machen, unseren Geist und unser Herz öffnen und uns Klarsicht verschaffen. Nur so können wir als Führungskraft agieren und nicht bloß reagieren. Wenn wir vernebelt und unbewusst die ganze Zeit damit beschäftigt sind, unser Ego zu behaupten oder zu beschützen, ist das keine Basis für Leadership. Innere Führung geht äußerer Führung immer voraus.

Weshalb wird diesen Fähigkeiten und Qualitäten in Unternehmen so oft kein Stellenwert eingeräumt?

Meiner Erfahrung nach liegt es daran, dass eine große Unbewusstheit darüber verbreitet ist, wie viel Einfluss menschliche Faktoren auf den Unternehmenserfolg und oder auch auf Misserfolg haben. Prozessen und Zahlen wird mehr Aufmerksamkeit geschenkt, weil sie leichter zu skalieren sind und so alles genau gemessen werden kann.

Meist werden menschliche Fähigkeiten unter dem Begriff „softs skills“ zusammengefasst und damit richtig abgewertet. Die Sahne auf dem Kuchen kann man gerne weglassen. Doch ich habe die umgekehrte Erfahrung gemacht: Soft Skills sind der ganze Kuchen und sie beinhalten den größten Schatz für alles, was in Unternehmen vor sich geht. Was bringen kostspielige Prozesse, wenn die menschlichen Umsetzer diese nicht realisieren und leben können?

Der Mensch ist das Herzstück eines jeden Unternehmens. Schlechte Kommunikation, Demotivation, Angst oder Gefühle der Minderwertigkeit können Millionen kosten.

Kann man Führungsstärke lernen oder ist sie angeboren?

Geistige Klarheit und Herzensqualität sind Fähigkeiten, die wir erlernen können. Ebenfalls kann jede angehende Führungskraft sich Aufgaben, Grundhaltung und Werkezeuge von Führung aneignen und trainieren. Aufgrund unserer Stärken und unserer Persönlichkeit fällt es natürlich nicht jedem gleich leicht oder schwer, Menschen, Beweggründe und Gefühle zu spüren, zu verstehen, emotionale Intelligenz einzusetzen und kommunikativ auszudrücken.

Was können Sie jungen Führungskräften als „Message“ mit auf den Weg geben?

Brigitta C. Kemner, Business Coach, Personal Coach, Veränderung
Brigitta C. Kemner sagt: „Manchmal brauchen wir einen Menschen, der uns zu dem bringt, was wir können und wollen“ (© jennifer fey, jennifer fey photography)

Fangt bei Euch selbst an und werdet Euch über Euch selbst bewusst. Um etwas zu ändern, müssen wir es zunächst erkennen. Selbstbewusstheit, Achtsamkeit, innere Balance und Stärke, ein konstruktives „Mindset“ und innere Unabhängigkeit sind das wesentliche Fundament, um den Höhen und Tiefen des Führungsalltags  zu begegnen, aktiv zu gestalten und nicht auszubrennen. Alles Weitere baut darauf auf und erschließt sich dann viel leichter. Kommunikation ist dabei ein interner und externer Erschaffungsprozess. Man kann nicht nicht kommunizieren – weder nach innen, noch nach außen.

Frau Kemner, vielen Dank für das interessante Gespräch zu den Herausforderungen als Führungskraft und wie Führungskräfte wieder zu alter Stärke zurück finden.

Das Interview mit Brigitta C. Kemner führte Oliver Foitzik, Herausgeber des Wirtschafts- und Mittelstandsmagazins AGITANO sowie Geschäftsführer der FOMACO GmbH.

Über Brigitta C. Kemner

Brigitta C. Kemner ist Personal Coach, Business Coach und Rednerin und begleitet seit 2003 Führungskräfte, Manager, Geschäftsführer, Unternehmer, Selbstständige und Privatpersonen bei persönlichen und beruflichen Veränderungen. Dabei liegen ihre Schwerpunkte besonders bei den Themen Selbstbalance, Selbstführung, Menschenführung, Potenzialentwicklung und Kommunikation. Ein neues Bewusstsein, innere Freiheit, Gelassenheit, Empathie und Selbstverantwortung sind ein wesentlicher Bestandteil ihrer Arbeit mit Menschen und für die Aktivierung von inneren Ressourcen.

Mehr über Brigitta C. Kemner erfahren Sie auf www.brigitta-kemner.com.

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