Für eine solidarische Moderne – Rede von Franz Alt in Stuttgart

Inhaltsverzeichnis

"Seit der Weltwirtschaftskrise 2008 ist unsere Welt aus den Fugen geraten. Die zunehmenden Ungerechtigkeiten unseres Wirtschaftssystems schreien zum Himmel. In den letzten Jahren sind die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer geworden. Das wird – vor allem die Jugend unseres Landes – auf Dauer nicht hinnehmen…"

"… Die Tatsache, dass auch in Deutschland Millionen Kinder unter der Armutsgrenze leben und leiden, ist eine Schande für unser reiches Land. Und drei Millionen Arbeitslose sind drei Millionen zu viel. Es müsste längst selbstverständlich sein, dass Steuerbetrügern ihr schmutziges Geschäft gelegt und effektiv bekämpft wird.

Vor allem Spekulanten und verantwortungslose Banker haben uns in die Wirtschaftskrise geführt. Verantwortungsvolle Politik hat also die Aufgabe, den Finanz-Jongleuren das Handwerk zu legen. Mir hat noch nie jemand erklären können, wozu die Wirtschaft Spekulanten und Spekulationen braucht.

Wir leben in Zeiten des Finanz-Extremismus, in denen Politiker nur noch die Getriebenen der Finanz-Haie sind. Vernünftiges Regieren findet gar nicht mehr statt. Die Politik fährt nur noch Krankenwagen zu den Finanz-Katstrophen-Orten.

Mindestens genauso wichtig wie die Rettung der Banken ist aber die Frage: Wie können wir den 1,5 Millionen Hartz IV-Empfängern helfen, die seit bereits sechs Jahren von weniger als 400 Euro im Monat leben müssen?

Solange sich Steuerhinterzieher hinter Schweizer Banken verstecken können, ist unser Gerechtigkeitsgefühl tief verletzt. Jeder Ladendieb wird bestraft, aber Millionen-Steuer-Betrüger bleiben oft straffrei, obwohl sie um Millionen betrogen haben. Und in diesen Tagen hat Finanzminister Schäuble diesen Millionen-Betrügern auch noch einen Roten Teppich ausgerollt, indem er ihnen eine Amnestie und Straffreiheit versprochen hat, wenn sie sich nur selbst anzeigen. Solche Verträge wie dieser mit der Schweiz beleidigen das allgemeine Rechtsempfinden. Denn hier gilt immer noch das Motto: Die Kleinen hängt man, aber die Großen lässt man laufen.

Und Frau Bundeskanzlerin: Geheime Waffengeschäfte und Panzerlieferungen nach Saudiarabien am Bundestag vorbei sind keine werteorientierte Politik, sondern ein Beitrag zum nächsten Krieg. Mit deutschen G3-Gewehren der baden-württembergischen Rüstungsfirma Heckler- und Koch werden in Libyen friedliche Demonstranten erschossen. Das ist das Gegenteil von Friedenspolitik, es ist ein Verbrechen an der Menschlichkeit. Wir fordern eine Politik, die auch den deutschen Kriegstreibern und Waffenexporteuren das Handwerk legt. Und wir fordern: Mehr Geld für Bildung und weniger für Rüstung.

Was ist die Alternative zum real existierenden Kapitalismus?

Demokratie ist mehr als nur alle vier Jahre ein Kreuz auf dem Wahlzettel. Wir fordern mehr direkte Demokratie ähnlich wie in der Schweiz. Wir wollen eine Verschweizerung der Bundesrepublik Deutschland. Eine Demokratie, in der die Bevölkerung und nicht nur die Großkonzerne und die großen Banken das Sagen haben.

Frau Merkel, nie wieder darf so etwas passieren wie vor einem Jahr als Sie unter Ausschluss der demokratischen Öffentlichkeit die Laufzeiten für AKW mit der Atomlobby ausgemauschelt haben. Demokratie darf nicht heißen : Verfilzt und zugenäht!

 

Demokratie heißt: Offenheit, Transparenz und Mitbestimmung.

Demokratie heißt auch: Engagiert Euch und Empört Euch – so wie es uns der 94-jährige französische Philosoph Stephane Hessel empfiehlt.

Wir wollen eine an Werten und nicht eine primär an Kapitalinteressen orientierte Politik.

Wertorientiert heißt: Mehr Gerechtigkeit, mehr Transparenz, mehr Umweltpolitik, die diesen Namen verdient. Wir selbst wollen mehr Demokratie – so wie es Willy Brandt schon 1972 gefordert hat.

– Wir sagen entschieden Nein zum Diktat des Geldes.
– Wir sagen Nein zum Auseinanderklaffen zwischen arm und reich.
– Und wir sagen Ja zum generellen Mindestlohn wie er schon in fast allen EU-Ländern selbstverständlich ist.
– Wir sagen entschieden Nein zum Brutal-Kapitalismus der USA. Unsere Freunde in den USA sind jene, die in diesen Wochen dort für mehr Gerechtigkeit auf die Straßen gehen. Sie sind unser Vorbild.

Es ist jedoch der größte Skandal unserer Zeit, dass auf dieser reichen Erde jeden Tag 35.000 Menschen verhungern müssen. Und dass die Zahl der Hungernden noch ständig steigt. Der doppelte Skandal wachsender Ungleichheiten in den reichen Ländern und zwischen armen und reichen Ländern ist keine Naturgesetz, sondern die Folge falscher und feiger Politik.

Es reicht nicht mehr, sich nur über die zunehmenden Ungerechtigkeiten zu empören. Wir müssen uns ab sofort mehr engagieren für eine gerechtere und bessere Welt. Und heute machen wir weltweit damit einen Anfang.

Unser Engagement richtet sich auch gegen die Plünderung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Die heutige Wirtschaftspolitik ist nicht enkelverträglich.

– An jedem Tag rotten wir heute 150 Tier- und Pflanzenarten aus.
– Jeden Tag produzieren wir zusätzlich 50.000 Hektar Wüste.
– Jeden Tag verlieren wir 86 Millionen Tonnen fruchtbaren Boden, werden aber zugleich an jedem Tag eine Viertel Million Menschen mehr.
– Und an jedem Tag blasen wir 150 Millionen Tonnen Treibhausgase in die Luft durch das Verbrennen von Kohle. Gas und Öl.
– Wir verbrennen heute an einem Tag, woran die Natur eine Million Tage gearbeitet hat.

Dabei gibt es von Natur aus gar kein Energieproblem. Allein die Sonne schickt uns jeden Sekunde unseres Hierseins 15.000 mal mehr Energie als alle Menschen verbrauchen. Die Lösung des Energieproblems steht am Himmel. Und die Sonne schickt uns keine Rechnung. Welch eine ökonomische Chance für eine künftige ökologische Energieversorgung. Zur Sonne kommen noch die Windkräfte, die Wasserkraft, die Biomasse und die Erdwärme. Wir können in 20 Jahren den 100%-igen Umstieg auf erneuerbare Energie organisieren. Das ist das Vermächtnis von Hermann Scheer, der genau vor einem Jahr starb.

Solarpolitik ist Sozialpolitik. Eine Solaranlage ist in drei Tagen installiert, ein Windrad in drei Wochen und eine Biogasanlage in drei Monaten. Wo liegt das Problem?

Afrika und die Sonne – welch eine Chance zur Überwindung des Hungers! Wir dürfen uns nicht abschotten gegen Flüchtlinge aus Afrika, sondern unserem Nachbarkontinent helfen, so rasch wie möglich eine solare Wirtschaft zu entwickeln.

In der Autostadt Stuttgart meint unser Protest ganz konkret auch die hiesigen Autobauer und ihre nicht zukunftsfähigen Produkte. Ihr Daimler-Manager: Ihr habt nicht nur das Elektroauto verschlafen und das Wasserstoff-Auto, ihr habt auch schlafen, rechtzeitig in die Geschäfte des öffentlichen Verkehrs im großen Stil einzusteigen. Zukunft hat im Mobilitätsbereich, wer Züge und Busse, U-Bahnen und S-Bahnen und Straßenbahnen baut.

Stuttgart müsste und könnte längst Solarstadt sein. Aber die meisten Dächer stehen, wie man sieht, noch immer völlig umsonst in der Gegend herum!

 

Wenn Widerstand zur Pflicht wird

In den Schaltstellen von Autokonzernen und von Großbanken gibt es zu wenig gesellschaftliches Engagement. Wo es aber ausschließlich um Gewinn-Maximierung geht, wird auch diese bald nicht mehr funktionieren. Geld und Konkurrenz und der Tanz um das Goldene Kalb sind nicht alles. Dagegen empören wir uns, dagegen wehren wir uns und dagegen leisten wir ab jetzt auch Widerstand. Wenn das Gemeinwohl gefährdet ist, wird Widerstand zur Pflicht. So steht es im Grundgesetz.

Eine Gesellschaft, die nur am Profit orientiert ist, hat keine Zukunft. Ich wünsche uns allen ein Gespür dafür, dass Empörung ein kostbarer Schatz ist für die Zukunft einer menschlichen Gesellschaft. Für die Finanz-Jongleure gilt ebenso wie für Stuttgart 21: Gier frisst Hirn und Größenwahn vernebelt das Herz und die Seele.

Alle großen Menschheitslehrer wie Buddha, Jesus, Mahatma Gandhi oder Albert Schweitzer und alle großen Philosophen haben uns gelehrt, dass wir alle verantwortlich sind für diese Welt. Wir können nur ernten, was wir säen. Das ist das geistige Gesetz, nach dem wir auf dieser Erde leben. Du bist verantwortlich. Wir sind verantwortlich. Dies gilt immer und total. Mein sehr guter Geschichtslehrer hat uns nach 1945 diese Verantwortung so klar gemacht:“Ihr, die Ihr den Zweiten Weltkrieg überlebt habt, sorgt dafür, dass die Macht nie mehr frei wird, sondern die Freiheit immer mächtig ist.“

Das Schlimmste ist die Gleichgültigkeit! Und die Ausrede: „Ich kann ja doch nichts ändern“. Die Gegenfrage heißt: Wer, wenn nicht Du und wo, wenn nicht hier und wann, wenn nicht jetzt?

Wir brauchen auch in Deutschland einen friedlichen Aufstand für mehr Gerechtigkeit – ganz im Sinne von Stephan Hessel: „Neues schaffen heißt Widerstand leisten und Widerstand leisten heißt: Neues schaffen“.

Für eine öko-soziale Marktwirtschaft

Wir brauchen eine humane Marktwirtschaft als Alternative zum real existierenden Brutal-Kapitalismus, der auch die Schöpfung bedroht. Daran lasst uns arbeiten. Und dafür brauchen wir jede und jeden.

Wir erklären uns solidarisch mit den Millionen, die heute in Nordafrika, in Spanien, Frankreich, Chile und USA und in 1.000 Städten in 70 Ländern für eine bessere Welt friedlich protestieren. Es geht um die Zukunft der Demokratie. Wir stimmen unseren amerikanischen Freunden zu, die sagen: Demokratie ist nicht, wenn ein Prozent auf Kosten von 99 Prozent leben.

Wir fordern:

1. Eine 100%-Versorgung mit erneuerbaren Energien.
2. Eine Rekommunalisierung und eine Renaissance der Stadtwerke.
3. Solidarische Arbeitsverhältnisse mit gesetzlichem Mindestlohn.
4. Hochwertige Bildung unabhängig vom sozialen Status der Eltern.
5. Eine Steuer für Finanz-Transaktionen.
6. Eine europäische Friedens- und Sicherheitspolitik, die sich am Pazifismus orientiert
7. Eine Erneuerung der Demokratie

Wir arbeiten an einer solidarischen Moderne!"

 

Quelle:  © Franz Alt 2011

 

Kennen Sie schon die Leinwände von Inspiring Art?