Gartenzwerge und die Freiheit – Ein Abgesang auf das vermeintlich Selbstverständliche

Achtung, keine Scherzfrage: Was haben Gartenzwerge und die Deutsche Bank gemeinsam? Sie sind deutsche Institutionen, die für Gründlichkeit, Pünktlichkeit, Fleiß und ganz allgemein: Spießigkeit stehen. Was mit der ersten Institution in den vergangenen Jahren passiert ist, erleben wir derzeit täglich in den Nachrichten. Aber auch die Gartenzwerge sind nicht das was sie scheinen…

In seinem heutigen Beitrag zur Kolumne „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag“ erklärt Ulrich B Wagner, warum Gartenzwerge alles andere als spießig sind – und was es mit den so genannten Selbstverständlichkeiten auf sich hat.

Über Freiheit kann jeder reden, aber nur in Freiheit

Herbert Wehner

Wenn über das Grundsätzliche keine Einigkeit besteht, ist es sinnlos miteinander Pläne zu machen

Theodor Fontane

Das Leben ist unendlich viel seltsamer als irgend etwas, das der menschliche Geist erfinden könnte. Wir würden nicht wagen, die Dinge auszudenken, die in Wirklichkeit bloße Selbstverständlichkeiten unseres Lebens sind.

Sir Arthur Conan Doyle

Es ist so ein Ding mit den Selbstverständlichkeiten in unser aller Leben.

Es ist einfach nichts mehr das, was es einmal war. Nehmen Sie beispielsweise nur die gemeinen, deutschen Gartenzwerge oder der Deutschen liebstes Aushängeschild, die Deutsche Bank. Schwuppdiwupp und bevor man sich auch nur versehen hat, sind sie bereits geplatzt, die Träume und Schaumweine der guten deutschen Bürgerlichkeit.

Wofür stehen wir, woher kommen wir und, noch viel wichtiger, wohin soll das Ganze eigentlich gehen? Fragen über Fragen und ein Geist, der wie benommen keinen Ausweg aus dem ganzen Schlamassel finden mag.

Wer den Hals nicht vollkriegt, erstickt daran…

Eingezwängt zwischen selbst gebastelter Hochsicherheitsfalle und dem zynischen Grinsen eines ehemaligen deutsches Vorzeigeunternehmens und früherer Hausbank der deutschen Wirtschaft, dass seit Jahren, auf ihrem präpubertären Ansinnen, sich zum Global Player auf den hochvolatilen Finanzmärkten zu entwickeln, nur noch volkswirtschaftlichen Schaden anrichtet, droht uns das verlorenzugehen, was wir wie die Luft zum Atmen brauchen: Freiheit und Gerechtigkeit.

Die Deutsche Bank: Mehr Polizeibesuch als ein Frankfurter Puff

Denn die Topverdiener der deutschen Finanzwirtschaft mit einen durchschnittlichen Jahreseinkommen von fast sieben Millionen Euro per anno stehen in der letzten Zeit häufiger aus unterschiedlichsten Anlässen und Verfehlungen vor Gericht, als sie zuhause ihrem Kerngeschäft nachgehen, das sich zwar schon seit einer gefühlten Ewigkeit von den meritokratischen Grundsätzen verabschiedet hat, auf die sich die Marktwirtschaft (von der sozialen Marktwirtschaft ganz zu schweigen) einmal berufen hat. Von den fast täglichen Haubesuchen und -durchsuchungen, die eher einem gut florierenden Puff im Frankfurter Bahnhofsviertel zu Gesichte stehen würden, wollen wir an dieser Stelle gar nicht reden. Allein in den Jahren 2012 und 2013 fuhr das Unterhemen mit seinem Ausflug in die unendlichen Weiten des internationalen Investmentbankings ein Minus von rund 283 Milliarden Euro (283.000.000.000.- €), getreu des ausgegebenen Geschäftsmottos keine Leistungen für andre Teilbereiche der Wirtschaft, sondern reine Gewinnerzielung auf Kosten der gesamten wirtschaftlichen Umwelt ein (vgl. Sighard Neckel, DIE ZEIT vom 11.06.2015). Es scheint auch fast niemanden ernsthaft zu interessieren, dass die Herren in diesem Zuge wie nebenbei eine wirtschaftliche Systemkrise auszulösen in der Lage waren, die allein uns Deutsche, konservativen Schätzungen zufolge, seit 2008 bis heute mehr als 500 Milliarden Euro an Staatsschulden und Wohlstandseinbußen gekostet hat.

Neoliberalismus – Gefängnis statt Freiheit…

Der Neoliberalismus war wohl dann also doch nicht die Freiheitsbewegung, die sich für alle am Ende des Tages bezahlt gemacht hat. Freiheit, Demokratie, Sicherheit und soziale Gerechtigkeit. Tugenden mit denen wir Deutsche (und unsere Gartenzwerge) in aller Munde sind, lösen sich so allmählich, wie so andere Selbstverständlichkeiten, mir nichts dir nichts in stilles Wohlgefallen auf.

Gartenzwerge – ein Musterbeispiel an Integration

Wobei ich Ihnen ehrlich sagen muss, dass mir die Gartenzwerge dabei am meisten Freude bereiten. Fast genau auf den Punkt vor zwei Jahren titelte bereits DIE WELT Unser Gartenzwerg ist ein Migrant aus Anatolien. So schön, so still und leise kann Migration, Globalisierung und Völkerverständigung aussehen. Die Gartenzwerge, ehemals Protagonisten der deutschen Kleinbürgerlichkeit mutieren über Nacht zu weitgereisten, Völker versöhnenden Kosmopoliten. Ihr ikonografisches Vorbild entstand nämlich vor etwa 800 Jahren in Anatolien. Von dort kam es über Italien schließlich nach Mitteleuropa – Jahrhunderte, bevor sich dessen Bewohner über türkische Migranten wunderten, die für sie Inbegriff des „Fremden“ wurden.

Mütze oder Phallus? Die Geschichte deutscher Gartenzwerge

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Der Gartenzwerg ist nicht, was er scheint. (Bild: © Ulrich B Wagner & Alistair Duncan / alistairduncan.de)

Danach entstand das Urbild der Gartenzwerge in der damals bereits türkisch besiedelten Osttürkei. In den dortigen Bergwerken wurden zahlreiche Sklaven aus Nordafrika eingesetzt, vornehmlich Pygmäen. Um deren scheinbar übernatürliche Kräfte im Bergbau zu bannen, stellten die Menschen kleine Tonfiguren in die Landschaft. Ihre Phyrgische Mütze, die bereits in der Antike die Bewohner des Landes charakterisierte, weist deutlich auf ihre Herkunft hin. Andere Quellen gehen bezüglich der Herkunft unseres Zipfelmanns sogar noch weiter zurück und sprechen vom Priap, einer hölzernen Wächterfigur mit blutrot bemaltem Phallus, der in der Frühzeit des Hellenismus Diebe von Weinbergen und Obstgärten abzuschrecken hatte. Bei den Römern sei der Priap sogar dann zum ersten mal als Kapuzenmann aufgetaucht, dem der Phallus auch als Öllämpchen diente. Erst vor knapp 120 Jahren verwandelten sich die Gartenzwerge dann in der Ortschaft Gräfenroda im beschaulichen Thüringen zu Musterknaben deutscher Spießigkeit, als man dort, anknüpfend an barocke Gartenornamente, Gartenzwerge industriell zu fabrizieren begann. Die deutsche Innigkeit stattete die Gartenzwerge mit Gärtnerschürze und Weinpokal aus, brachte sie in Gesellschaft mit Rehen, Fliegenpilzen, lebensgroßen Füchsen und überlebensgroßen Katzen, die ganze Orchester dirigierten und verwandelte sie auch so nebenbei zu einer Leitfigur kleinbürgerlichen Sicherheitsfanatismus, die bis heute in den Köpfen vieler Mitbürger verankert ist, und uns in den nächsten Zeiten gewaltig auf die Füße fallen wird. Denn der Terror von IS und Konsorten wirkt unbewusst, tiefgründig und nachhaltig in unser aller Köpfe. Das deutsche Urbild der Gartenzwerge war zu keiner Zeit ein wahrer Freiheitskämpfer, doch der mit ihm verbundene Sicherheitszwang wird nunmehr auch zum aktiven Feind unser aller Freiheit in einem auf leisen Sohlen herannahenden Überwachungsstaats, der sogar George Orwell erstaunen ließe.

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(Bild: © Ulrich B Wagner & Alistair Duncan / alistairduncan.de)

Freiheit für die Gartenzwerge!

Es gab in der Vergangenheit bereits mehrere Anläufe, die Gartenzwerge wieder zu befreien und sie wieder zu dem zu machen, was sie einmal waren: ein Kosmopolit, mutiger Kämpfer und Beschützer der arbeitenden Bevölkerung. Bereits 1996 wurde in Paris die Front zur Befreiung der Gartenzwerge (Front de Libération des Nains de Jardin) nach eigener Aussage eine „nichtkommerzielle Vereinigung mit dem Ziel, Gartenzwerge zu befreien“, die zu diesem Zweck verdeckte Aktionen durchführt, in denen sie Gartenzwerge aus Gärten entwendet und an anderen Orten neu arrangiert haben.

Biedermeier reloaded als Lösung aller Probleme?

Manchmal hilft fürs erste erst einmal der Rückzug ins Private, habe ich mir so gedacht, was für alle Beteiligten auch seine schönen Seiten haben kann (siehe hierzu die heutigen Fotos), aber nicht der Lösung letzter Schluss sein kann. Denn wenn wir nicht alle verstummen wollen, weil uns der Raum der Freiheit, der notwendig ist, um wahrhaft über Demokratie und Freiheit zu reden und zu verhandeln von raffgierigen Bankern, Geheimdiensten, und verblendeten Gutmenschentums geraubt wurde.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen wieder mehr Mut zum Widerstand.

Ihr
Ulrich B Wagner

Über Ulrich B Wagner

Ulrich Wagner
QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag (Foto: © Ulrich B. Wagner)

Ulrich B Wagner (Jahrgang 1967) ist Diplom-Soziologe, Psychologe, Schriftsteller und Kolumnist. Sein Studium der Soziologie, Psychologie & Rechtswissenschaften absolvierte er an der Johann Wolfgang von Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zusammen mit Professor Karl-Otto Hondrich arbeitete er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema „Sozialer und kultureller Wandel“.

Ulrich B Wagner ist Dozent an der european school of design in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt  Kommunikationstheorie, Werbe- und Konsumentenpsychologie, sowie Soziologie und kultureller Wandel und arbeitet als Berater sowie systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikation und Konzeptentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

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