In seiner heutigen Kolumne „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag“ schreibt Ulrich B Wagner über die Gutmenschen – und warum sie ihn so aufregen.
Gutmenschen sind ein Fluch. Auch sie tun gute Taten. Aber sie tun es auf eine Weise, die ihre Mitwelt manchmal schier um den Verstand bringt.
Oscar Wilde
Michael: „Wissen Sie was? Dieses ganze Ausdiskutieren, dieses Einsicht zeigen steht mir ehrlich gesagt bis hier. Wir waren nett zu Ihnen. Wir haben Tulpen besorgt! Wissen Sie, meine Frau verkauft mich als Gutmenschen, aber in Wahrheit fehlt mir völlig die Geduld für diesen gefühlsduseligen Blödsinn. Ich bin ein richtig fieses, cholerisches Dreckschwein! Okay?“
Alan: „Sind wir alle.”
Filmzitat aus der „Der Gott des Gemetzels“
Gutmenschen und das Mitgefühl
Weichgespülte Arschlöcher wohin man auch blickt. (Mehr zum Umgang mit Arschlöchern können Sie in meinem interaktiven Workshop in Frankfurt am Main am Samstag, 21.11.2015 lernen).
Alles zerfließt, und die Kohorten der Gutmenschen surfen auf der Welle des vermeintlich kollektiven Mitgefühls. Ob nun links oder rechts, oder doch vielleicht in der Mitte, einer Mitte, die es eigentlich auch bei uns schon seit längerem nicht gar nicht mehr gibt.
Wo stehen wir und wofür eigentlich? Wo ist unser geistiges und moralisches Zuhause, falls es dieses überhaupt einmal gegeben hat? Und wo fließt am Ende des Tages alles hin, was sich gerade so auflöst?
In einer Gesellschaft, in der sich nicht nur die alten Ordnungen, sondern auch die Wertestrukturen und das Gefühl für das gemeinsame Miteinander wie Himbeerbrause im Wasserglas auflösen, erscheinen die Aktionen und Reaktionen der „besorgten Mitbürgerinnen und Mitbürger“ wie das Picken der Hühner im Übersprung. Wenn wir nicht wissen, was zu tun ist, werden wir halt Gutmenschen und stürzen uns ins Gewohnte, in das vermeintlich Gutgemeinte, in das Verständnisvolle und die fahle, durch das viele Aufwärmen schon leicht gammelige, kollektive Betroffenheit.
Das Sommermärchen erkauft. Porschefahren von einem Tag auf den anderen umweltschädlich. Fleisch- und Wurstwaren so gesundheitsschädlich wie Zigaretten und Alkohol, so dass auch hier beim Einkauf wahrscheinlich bald die Jüngeren unter uns am Bratwurststand den Personalausweis zücken müssen.
Es gibt viel zu tun. Packen wir es an!
Die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig setzt sich mit Leibeskräften für die richtige Aufteilung der Arbeitszeit zwischen Mann und Frau ein, dazwischen besucht sie noch einen Empfang des Lesben- und Schwulenverbands im Schweriner Rathaus. Die Kollegin und ihres Zeichens Bundesumweltministerin, in ihr Ressort fallen so Kleinigkeiten wie das Baurecht, eine echte Lappalie in Zeiten, in denen Flüchtlingsheime in der Eiseskälte nicht schnell genug errichtet werden können, da sie mit dem bestehenden Bauverfahren kollidieren könnten, nahm daher publikumswirksam erst einmal an solch entscheidenden Events wie dem „ökumenischen Pilgerweg für Klimagerechtigkeit“ teil, der sie laut Pressevorschau „von Gevelsberg nach Wuppertal-Wichlingshausen (12 km!)“ führte.
Alle sind Opfer, alle leiden, jeder fühlt sich missverstanden, überfordert und ausgegrenzt.
Ich, ich, ich
Trotz aller Verweise auf das Gutgemeinte denkt schließlich trotzdem jeder einzelne der Gutmenschen nur an sich, zieht sich zurück, strickt sich in biedermeierlicher Manier seine schöngefärbte Wirklichkeit, verliert sich in Selbstoptimierung und einer verwaschenen Rückbesinnung auf das Vergangene, die Natur, das Echte und vermeintlich wertvolle im Leben und vergisst dabei, wo es wirklich relevante Herausforderungen gibt, nicht nur für unsere Gesellschaft, sondern für jeden Einzelnen.
Wo gibt es Halt? Wo gibt es Sicherheiten in einer Zeit, in der es keine mehr gibt und so schnell wahrscheinlich auch nicht mehr geben wird? Treffen die abertausenden Flüchtlinge, diese echten Vertriebenen und Heimatlosen gar auf ein Volk, dass schon seit längerem bereits selbst sein Zuhause verloren hat? Vielleicht doch nur zwei Seiten einer Medaille? Zwei Seiten, die ihr Zuhause verloren haben, die einen in aller schrecklichen Konsequenz, nicht nur räumlich, sondern auch materiell, die anderen geistig und moralisch?
Doch Deutschland bleibt ein Land der Opfer, von Tätern keine Spur. Ein Land im Ausnahmezustand, hysterische Betriebsamkeit gepaart mit altkluger Besserwisserei bestimmt den Zeitenlauf. Alle haben sich lieb, wenn auch nicht gleich, so doch zumindest aus generationenübergreifendem, stupidem Mitläufertum durch alle Schichten und durch alle Klassen.
Ist das so? Oder sind wir vielleicht alle gerade Zeugen davon, wie schnell und wie tief ein Land auseinanderbrechen kann, um sich dann pünktlich zum großen Showdown gegenseitig selbst zu zerfleischen?
Gutmenschen – privilegiert und satt
Umgeben von privilegierten Gutmenschen, deren Kult um das gesunde Leben nicht nur bezüglich der Ernährung mittlerweile absurde Züge annimmt, und die, frei von Humor, jeden ihre moralische Überlegenheit sofort spüren lassen. Es ist auch völlig egal, wen man sich herauspickt. Ob nun deren derzeitige Voresser und Vordenker, die Veganer, die als unfreiwillige Karikatur der restlichen privilegierten Mischpoke herhalten muss, oder die sich modern und genauso überlegen fühlenden Konservativen, die diese so gern verachten.
Es ist egal. Sie alle halten sich für die Bourgeoisie, für die Guten und die Gerechten und sind am Ende des Tages doch nur Wilde. Denn auch bei uns gilt am Ende des Tages die unumstößliche Tatsache, dass der Glaube an den zivilisierten Menschen bloß eine große, fette Lüge ist.
Die Fassade der Gutmenschen bröckelt
Die verlogene Fassade der Gutmenschen bröckelt von Tag zu Tag mehr, mit jedem Flüchtlingskind, das in der Kälte stirbt, mit jedem Aufstöhnen der Entfremdung der ewig gestrigen Deutschtümler, und die mit aller Anstrengung unterdrückten Ressentiments explodieren unter unseren Füßen.
Es ist schon lange kein Unbehagen mehr, das ich empfinde, es ist schlicht und ergreifend ein nicht enden wollender Brechreiz, wenn ich mir die Verlogenheit des Ganzen betrachte.
Es wird Zeit, dass wir es ändern, bevor es uns alle in eine Richtung verändert, die für keinen von uns ein Segen sein kann, egal, wo er sich auch gerade befindet und egal, wie privilegiert er auch zu sein scheint.
Alles verändert sich, alles zerfliegt, alles wird fraglich, alles löst sich auf…
Wir sollten es als Chance sehen. Als Chance es anders zu machen.
Als eine Chance für das Gute Leben.
Ihr
Ulrich B Wagner
PS: Falls Sie am Wochenende noch nichts vorhaben, schauen Sie sich doch zur Verdeutlichung des Ganzen mal wieder Roman Polanskis Der Gott des Gemetzels an, um sich zu vergewissern, dass nicht nur unsere Wohnzimmer bald ein einziges Schlachtfeld sein werden.