Hat die CSU bei den NSU-Morden die BKA-Ermittlungen behindert und Rechtsextremisten geschützt?

Hat Dr. Günther Beckstein 2006 unterbunden, dass die lange Zeit erfolglosen Ermittlungen zu neun Morden an türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern zentral beim Bundeskriminalamt (BKA) angesiedelt werden? Wollte der damalige bayerische CSU-Innenminister und spätere Ministepräsident verhindern, dass die mit den Recherchen zu der Tötungsserie beauftragte Sonderkommission (Soko) Bosporus bei ihrer Medienarbeit auch auf die Theorie hinweist, dass die Täter möglicherweise aus dem rechtsextremistischen Spektrum stammen könnten? Hat es der bayerische Verfassungsschutz an der nötigen Unterstützung für die Soko Bosporus vermissen lassen?

Vier Zeugen im Ausschuss

Diese Fragen gehören zu den zentralen Themen der nächsten Sitzung des von Sebastian Edathy (SPD) geleiteten Untersuchungsausschusses, der Pannen und Fehlgriffe der Sicherheitsbehörden bei den Ermittlungen zu den inzwischen dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) angelasteten Erschießungsaktionen durchleuchten soll, zu denen sich 2007 noch der Mord an einer Polizistin in Heilbronn gesellte. Die Veranstaltung am Donnerstag, 24. Mai 2012, beginnt um 10 Uhr im Europasaal 4.900 des Paul-Löbe-Hauses in Berlin.

Als Zeugen geladen sind Beckstein sowie mit Dr. Wolfgang Weber der Ex-Präsident des bayerischen Verfassungsschutzes und mit Edgar H. der Leiter der Abteilung Rechtsextremismus in dieser Behörde. Über sein Wissen zu polizeilichen und geheimdienstlichen Recherchen befragt werden soll auch Lothar Köhler, der anfänglich als Vertreter Bayerns im Untersuchungsausschuss saß.

„Bloß nichts abgeben“

Die bisherigen Zeugenanhörungen haben brisante Fragen aufgeworfen. So wird von den Parlamentariern die Zersplitterung der Ermittlungen zu den in fünf Bundesländern verübten Morden an Bürgern ausländischer Herkunft scharf kritisiert. Beteiligt waren mehrere Staatsanwaltschaften und Landeskriminalämter sowie diverse Verfassungsschutzbehörden und das Bundeskriminalamt (BKA).

Unions-Obmann Clemens Binninger moniert ein „Zuständigkeitstheater“, gehandelt habe man nach dem Motto „Mein Fall, meine Spur, mein Personal, bloß nichts abgeben“. Grünen-Sprecher Wolfgang Wieland: „Viele Köche haben den Brei verdorben.“

 Zentrale BKA-Recherchen blockiert

Allerdings offenbarte die Befragung von BKA-Kriminaldirektor Christian Hoppe, dass 2006 die Chance bestand, das BKA zentral mit der Zuständigkeit für die Aufklärungsarbeit zu beauftragen. Dafür machte sich in jenem Jahr neben Hoppe auch BKA-Chef Jörg Ziercke stark.

Der Vorstoß scheiterte jedoch an der Innenministerkonferenz (IMK), die sich im Juni 2006 bei einem Treffen auf der Zugspitze nicht zu einem solchen Schritt entschließen wollte. Wer aber hat innerhalb der IMK zentrale BKA-Recherchen blockiert? Dazu wusste Hoppe keine Angaben zu machen.

 

Widerstand aus München

Unter Verweis auf Aktenzitate sind Abgeordnete freilich überzeugt, dass München heftigen Widerstand geleistet hat. Danach soll der bayerische Landespolizeipräsident Waldemar Kindler gegenüber Ziercke telefonisch geäußert haben, eine Übertragung der Zuständigkeit auf das BKA würde man im Innenministerium „als Kriegserklärung verstehen“. SPD-Obfrau Dr. Eva Högl kritisiert, hinter dieser Wortwahl stehe Beckstein persönlich.

Für die Vernehmung des CSU-Politikers stellen sich zahlreiche Fragen: Wie hat er sich in dem damaligen Konflikt verhalten, sprach er tatsächlich von „Kriegserklärung“, welchen Vorzug hatten aus seiner Sicht bei den Ländern angesiedelte Ermittlungen, was spielte sich bei der geheimnisvollen IMK-Sitzung ab?

Täter eher im kriminellen Milieu vermutet

Högl meint, der damalige Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble hätte auch gegen Becksteins Widerstand zentrale BKA-Recherchen anordnen können. Das nicht getan zu haben, sei ein „schwerer Fehler“ gewesen. Der CDU-Politiker soll später als Zeuge geladen werden.

Offen bleibt indes, ob das BKA auf die Spur des mutmaßlich für die Morde verantwortlichen NSU gekommen wäre. Beim BKA vermutete man seinerzeit die Täter eher im kriminellen Milieu. Zentrale Untersuchungen „wären zwar keine Garantie für einen Erfolg gewesen“, so Edathy, hätten aber zu „effektiveren, seriöseren Ermittlungen geführt“.

„Unruhe unter Türken vermeiden“

Nicht nur der Kompetenzstreit sorgt vor Becksteins Anhörung für Spannung. Nach einem von Wolfgang Geier, dem Ex-Chef der Soko Bosporus, verfassten Vermerk soll der Minister davor gewarnt haben, in der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit zu erwähnen, gemäß der von einem Profiler entwickelten Hypothese könnten die Täter vielleicht auch aus der rechtsextremen Szene stammen.

Laut Geiers Vermerk hat der CSU-Politiker seine Warnung mit dem Argument begründet, man solle Unruhe unter Türken vermeiden. Petra Pau, Obfrau der Linksfraktion, sieht in Geiers Hinweis einen Beleg für ihre Kritik, auf die Ermittlungen könne politisch Einfluss genommen worden sei.

Spur im Sande verlaufen

Die ins rechtsextremistische Milieu zielende Spur 195 war im Sande verlaufen, weil nach Verdächtigen im Sinne der entsprechenden Hypothese des Profilers nur im Raum Nürnberg gesucht wurde, wo allein drei Morde passiert sind.

Von den Zeugen Wolfgang Weber und Edgar H. werden die Abgeordneten wissen wollen, wieso der bayerische Verfassungsschutz der Soko Bosporus erst nach über einem halben Jahr und nach mehrfachem Drängen eine Liste mit eventuell in Frage kommenden Rechtsextremisten in der Region Nürnberg übermittelt hat.

 

Anfragen in anderen Bundesländern

Vor allem aber zeigt man sich im Ausschuss verwundert, warum nicht auch bundesweit nach Verdächtigen in diesem politischen Spektrum geforscht wurde. Geier sagte vor den Abgeordneten, man sei davon ausgegangen, dass der bayerische Verfassungsschutz solche Anfragen in anderen Ländern starte.

Hat dies der Geheimdienst getan, wenn nein, wieso nicht? Wurden über den bayerischen Verfassungsschutz die Kollegen in Thüringen und Sachsen, wo die NSU-Zelle abgetaucht war, auf die Tötungsserie aufmerksam gemacht? Hätte auf diesem Weg eine Verbindung zwischen dem untergetauchten Trio und den Morden hergestellt werden können? Auf Weber und Edgar H. warten kritische Fragen.

Zeit: Donnerstag, 24. Mai 2012, 10 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Europasaal 4.900

Interessierte Besucher können sich im Sekretariat des Untersuchungsausschusses unter Angabe des Vor- und Zunamens sowie des Geburtstags und des Datums der öffentlichen Sitzung anmelden (E-Mail: 2.untersuchungsausschuss@bundestag.de, Fax: 030/227-30084). Zur Sitzung muss ein Personaldokument mitgebracht werden.

Liste der geladenen Zeugen:
Dr. Günther Beckstein, Innenminister des Freistaates Bayern a.D.
Dr. Wolfgang Weber, Präsident des bayerischen Verfassungsschutzes a.D.
Edgar H., Leiter der Abteilung Rechtsextremismus des bayerischen Verfassungsschutzes
Lothar Köhler, ehemaliger Vertreter Bayerns im Untersuchungsausschuss

Weitere Informationen:
– Tagesordnungen des 2. Untersuchungsausschusses
– 2. Untersuchungsausschuss („Terrorgruppe nationalsozialistischer Untergrund“)

(Quelle: kos / Deutscher Bundestag)

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