Mobile Mindset: Dreiklang von neuer Haltung, Arbeitskultur und Technik vonnöten

Zwei Tage lang beschäftigten sich Unternehmensvertreter und Personalexperten am 25. und 26. April auf der PERSONAL2017 Nord mit dem Spotlight „Mobile Mindset“. 4.022 Besucher kamen zu der Messe, die neben dem Angebot der 262 Aussteller ein kongressartiges Programm mit vielen Möglichkeiten zur Interaktion bereithielt. Das Fazit: Für Arbeitgeber kommt es in Zukunft nicht nur auf die technische Infrastruktur und eine neue digitale Arbeitskultur an. Insbesondere eine offene Haltung der Beschäftigten zählt.

Mobile Mindset: Das Zentrum der Aufmerksamkeit

„Bereits 2016 haben wir die PERSONAL Nord auf die Reise geschickt: Ziel ist es, die Messe eventorientierter zu machen – Besucher sollen die Arbeitswelt der Zukunft erleben können und vom Live-Austausch und dem Erlebnischarakter für ihre Berufspraxis noch stärker profitieren“, erläutert Ralf Hocke, CEO des Veranstalters spring Messe Management, das Konzept. LED-Wand im Event-Forum, der zentralen Bühne der Messe, eine Messe-App oder neue Formate der Interaktion veranschaulichten diesen Weg. „Wir haben verschiedene Pilotprojekte gestartet wie die Sessions ‚Meet the Blogger‘, die Vortragsreihe ‚Corporate Learning & Working‘ oder einen Fishbowl, bei dem jeder Messebesucher selbst die Diskussion mitgestalten kann“, so Hocke. „Mit diesen Learnings werden wir den Weg konsequent weiter gehen. Aufgrund des großen Zuspruchs der Aussteller und des Flächenwachstums ziehen wir 2018 in die größere Halle A1 um.“

Flexibilisierung für mehr Individualität

Bei der Eröffnungsdiskussion mit Twitterwall präsentierte der Veranstalter erste Ergebnisse der eigens initiierten Studie „Mobile Work 2017“. „Dreh- und Angelpunkt für mobiles Arbeiten sind die Kompetenzen der Mitarbeiter. Sind diese niedrig, hat das Einfluss auf die Psyche und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie“, betonte der wissenschaftliche Leiter der Studie, Prof. Dr. Jochen Prümper, Wirtschafts- und Organisationspsychologe an der HTW Berlin. Gleichzeitig sei dies von einem hohen Individualitätsgrad geprägt: „Menschen unterscheiden sich sehr in ihren individuellen Bedürfnissen“, so der Professor.

Microsoft Deutschland bietet deshalb maximale Flexibilität. „Wir leben das Prinzip des Work-Life-Flow, denn Work-Life-Balance ist heute nicht mehr adäquat. Schon wer während der Arbeit eine private Whatsapp beantwortet, hat gegen diese klare Trennung von Arbeit und Leben verstoßen“, erklärte Markus Köhler, Senior Director Human Resources und Mitglied der Geschäftsführung. Die Beschäftigten könnten frei wählen, wann und wo sie arbeiten und hätten keinen festen Arbeitsplatz. Neben Vertrauensarbeitszeit und Vertrauensarbeitsort fördert das Technologieunternehmen in einem neuen Bürokomplex in Schwabing kollaborative Projektarbeit mit speziellen Arbeitsbereichen für alle Bedürfnisse – konzentriertes Arbeiten oder Austausch mit Kollegen. Dafür brauche es Freude an Veränderung und eine gewisse Technikaffinität. Microsoft berücksichtige dies bereits bei der Personalauswahl, erhalte meist aber auch passende Bewerbungen. „Der Vegetarier bewirbt sich auch nicht beim Metzger.“   

Digitale Nomaden: Arbeiten von unterwegs

„Wir müssen an einem neuen Mindset arbeiten“, forderte Nadja Mütterlein, HR Business Partner bei Bosch, Digitale Nomadin und Gründerin des Start-ups „Remote Talents“. Ein Katzen-Café in Tschechien, ein Bootsrestaurant in Belgrad, ein Waschsalon in London, am Strand in Portugal oder auch in der Wüste von Marokko – überall dort hat sie im vergangenen Jahr gearbeitet. Ihre Erfahrung: Das Management müsse den Mitarbeitern viel mehr den Rücken stärken, wenn es um neue Arbeitsformen gehe. „Oft heißt es ja sogar bei Home-Office noch, das geht nicht“, so Mütterlein. „Doch wir verbauen uns einen Teil des Arbeitsmarkts, wenn wir keine Remote Work anbieten.“ Ihr neues Arbeitsmodell habe bei Kollegen keinen Neid hervorgerufen, sondern vielmehr Stolz auf den eigenen Arbeitgeber, der einen solchen Pilotversuch wagt. „Wir sollten nicht sagen, das geht nicht, sondern viel mehr ausprobieren. Nur so können wir neue Erfahrungen sammeln.“

Was alles mit mobilem Arbeiten möglich ist

Auch der Digitale Nomade Fabian Dittrich beeindruckte die Besucher mit seinem Vortrag. Als Kundenberater bei Zendesk, einem IT-Unternehmen in San Francisco und London, das die gleichnamige cloudbasierte Kundensupport-Plattform betreibt, hatte er eine 90-Stunden-Woche, als er beschloss, auszusteigen. Mit Unterstützung seines Arbeitsgebers, der ihm einige Kunden zuschusterte, gründete er sein Start-up – und die erste Nomad-Company: Schon bald kaufte sich Dittrich einen Land Rover und managte die Firma, während er damit durch Südamerika fuhr. „Ich wollte herausfinden, was mit mobilem Arbeiten möglich ist und was Technologie dazu beitragen kann, dass wir unser Leben freier leben.“ Dabei seien die richtigen Tools und eine neue Selbstorganisation das A und O. „Jeder, der acht Stunden am Tag arbeitet, kann mit den richtigen Tools und Shortcuts mindestens eine Stunde Zeit sparen.“

Individuell statt universell

„Ihre Reisen haben Millennials meist schon hinter sich, wenn sie zu uns kommen. Das brauchen sie nicht, um global aktiv zu sein“, erklärte Alexandra Heinrichs, Vice President HR D-A-CH von Unilever, in ihrem Keynote Vortrag. Dennoch könnten die Mitarbeiter überall arbeiten, wo sie möchten. Eine weitere Form der Mobilität bietet Unilever mit Teilzeit und Jobsharing – Modelle, die Heinrichs selbst erprobt hat, als sie aus der Elternzeit zurückkam. „Es gibt bei uns Jobshares mit einem Teil in Braunschweig im Home-Office und dem anderen in Hamburg. Das heißt, Führungskräfte müssen die Kontrolle und Verantwortung für Leistung abgeben.“ Büro und Technik seien wichtig, aber vor allem die Haltung der Beschäftigten. „Die Menschen können ihre Arbeit, wir müssen ihnen eine Vision geben und sie zusammenbringen. Wenn sie das nicht leben, weil sie nicht wissen, wie es geht, hilft das ganze mobile Arbeiten überhaupt nichts.“ Führung werde deshalb immer individueller. Nicht jeder sei im gleichen digitalen Stadium.

Agilität und Augenhöhe – neue Buzzwords?

Prof. Dr. Stephan Fischer, Direktor des Instituts für Personalforschung an der Hochschule Pforzheim, ergänzte in seinem Panel „Business & Science connect” mobiles Arbeiten um das Thema Agilität. „Agil ist zum Buzzword geworden. Oft heißt es: Agil ist gut und träge ist blöd. Das stimmt nicht!“, so der Professor. Es gehe darum, ein richtiges Mischverhältnis zwischen agilen und trägen Anteilen zu finden. „Das eine stabilisiert Organisationen, das andere macht sie anpassungsfähig.“ Eine von ihm durchgeführte Studie habe ergeben, dass es für sehr agile Unternehmen eine Selbstverständlichkeit sei, auch mobiles, flexibles Arbeiten anzubieten und durch Kollaborationstools zu unterstützen.

Dies bestätigte auch ein Fishbowl, bei dem die Besucher ihre Standpunkte in die Diskussion einbringen und den Impulsbringern Fragen stellen konnten. Mit von der Partie war Uwe Lübbermann, Gründer von Premium Cola: Bei dem Getränkeproduzenten arbeiten die Beschäftigten quer über Deutschland verteilt. Für virtuelles Arbeiten sei es wichtig, dass die Mitarbeiter wüssten, wo sie stehen. „Haltung ist die positive Erfahrung mit Werten. Bei uns gilt das Prinzip der Gleichwertigkeit von Menschen.“ Alle verdienen 20 Euro brutto – auch der Gründer. Zudem werde Erfolg neu konnotiert: Statt auf Macht komme es auf die Bestandteile Geld, Sicherheit, Freiheit, Sinn, Reichweite und Bildung an. Sven Franke, Mitinitiator des Films Augenhöhe und Gründer von CO:X, sprach auch Probleme bei der Zusammenarbeit auf Distanz offen an. „Die unterschiedliche Entwicklung der Teammitglieder ist bei uns etwas schwierig. Das zeigt sich dann, wenn wir zum Abgleich zusammenkommen.“ Zudem könne der Abbau von Hierarchien dazu führen, dass unliebsame Aufgaben liegen blieben.

HR-Battle: Digitalisierung um jeden Preis?

Ab in den Ring – hieß es beim HR-Battle: Stefan Scheller, „Persoblogger“ und Personalmarketing-Experte der Datev, und Dr. Winfried Felser, Geschäftsführer der Competence Site, traten gegeneinander an. Sie stritten sich darüber, ob die Personalarbeit um jeden Preis digitalisiert werden muss. Bevor das Duell startete, hatte das Publikum die Gelegenheit abzustimmen – die radikale Digitalisierung fand keine Mehrheit. „Wenn wir in die Medien schauen, bekommt man das Gefühl, dass die Digitalisierung unaufhaltbar ist – immer verknüpft mit dem ‚Sie müssen, sonst werden Sie nicht überleben‘“, eröffnete Scheller das Wortgefecht. Es würden immer mehr Daten gesammelt, rein zum Profit, ohne Mehrwert für den Einzelnen. Winfried Felser wiederum warnte davor, Digitalisierung als Technologie misszuverstehen und den radikalen Wandel der Arbeitswelt nicht mitzudenken. Laut Persoblogger wiederum sollte HR im Digitalisierungsprozess vor allem Partner sein und seinen Fokus auf die Menschen legen. Winfried Felser dagegen glaubt, dass Tschakka-Rufe nicht weiterhelfen. „Wir müssen auch realistisch sehen, welche Interessen und Skills Personaler heute mitbringen. Man sollte keinen Fisch zum Fliegen bringen und keinen Vogel zum Schwimmen“, konterte er. „Es wird so etwas wie eine bimodale HR geben: ein Teil ist Transformator, ein anderer übernimmt die klassischen Aufgaben.“

Algorithmen in der Personalauswahl – was bringt das?

Wie es um das Wechselspiel von Technik und Fachkenntnis im Personalbereich bestellt ist, zeigte eine Diskussion der Haufe-Gruppe über neue Matching-Angebote im Recruiting. Mithilfe von Datenanalysen, die zum Beispiel Profile in Social Media berücksichtigen, sollen passende Bewerber und Arbeitgeber zusammen finden und Einstellungsprozesse automatisiert werden. Viele halten dies aktuell für eine Wunderwaffe im Recruiting. Professor Dr. Uwe Kanning, Personaldiagnostiker an der Hochschule Osnabrück, beobachtet die Entwicklung jedoch kritisch. Die aktuell eingesetzten Methoden sagten nichts über den Berufserfolg der ausgewählten Kandidaten aus, da die Auswahlmethoden der Firmen nicht valide seien. Dr. Jost Schatzmann, VP Product E-Recruiting von Xing, und Robin Sudermann, CEO von Talentsconnect, hielten auf Anbieterseite die Fahne des Fachkräftemangels hoch. „Wenn man am Ende fünf richtig gute Kandidaten hat, die passen, kann man immer noch darüber reden. Bewerber wünschen sich, dass sie die Hand heben und Unternehmen auf sie zukommen“, sagte Schatzmann. Sudermann erklärte, dass je nach Angebot und Nachfrage, die Kriterien der Suchalgorithmen strenger oder lockerer angesetzt würden. Den Personaldiagnostiker Kanning konnten sie damit nicht überzeugen: Das sei „Jammern auf hohem Niveau“ und grob fahrlässig: „Es kommt auf den prozentualen Anteil der geeigneten Bewerber an“, so der Forscher. 

Die Diskussion um den richtigen Umgang mit der Digitalisierung im Personalmanagement ist damit richtig entfacht.

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