Um die Haptik oder den Tastsinn geht es immer dann, wenn man etwas berührt, um ein Objekt zu erspüren. Oder wenn man berührt wird, zum Beispiel von einem weichen oder kratzigen Stoff. Die haptische Wahrnehmung umfasst folgende Elemente:
- die Textur eines Materials (rau, glatt, metallisch usw.)
- die Form eines Objekts (rund, eckig, spitz usw.)
- den Aggregatszustand (fest, flüssig, dampfig usw.)
- das Temperaturempfinden (kalt, lauwarm, heiß usw.)
- das Gewichtsempfinden (leicht, schwer usw.)
Zum Beispiel vermittelt Schweres den Eindruck von Güte. So lassen sich Objekte mit zusätzlichen Gewichten bestücken, um die Qualitätsanmutung zu erhöhen. Wer in einem weichen Sessel statt auf einem harten Stuhl sitzt, bleibt nicht nur länger, er wird auch „weicher“ beim Verhandeln und im Preisgespräch. Das Trinken eines warmen Getränks hat einen ähnlichen Effekt. Es stimmt uns wohlgesonnen.
Was Haptik so alles bewirkt
Ein Hauptgrund für den immensen Erfolg des iPhones? Es war das erste Telefon, das wir streicheln konnten. Es ist verspielt, bringt Spaß und macht unsere Fingerspitzen zu kleinen Schöpfern. Die intuitive Bedienung verschafft uns schnelle Erfolgserlebnisse und schenkt uns den Zustand des Flow, was unser Hirn in einen Glücksrausch versetzt.
Zudem erzeugen die streichelnden Bewegungen Intimität und Verbundenheit. So sind alle Voraussetzungen dafür geschaffen, dass viele sich in das Gerät ein wenig „verlieben“. Demzufolge sind die Apple-Stores konsequent darauf ausgelegt, dass Besucher die Geräte in die Hand nehmen, sie ausgiebig erforschen und alles Mögliche ausprobieren, um sich so mit ihnen vertraut zu machen.
Und siehe da: Der Neurowissenschaftler Jürgen Gallinat aus Berlin hat mithilfe von Tomographen (MRT) bewiesen: Apple-Geräte aktivieren Bereiche im Gehirn, die für „Menschen mögen“ zuständig sind. Zu ihnen lässt sich also eine Beziehung aufbauen. Andere Handys hingegen wurden nur in der Region für Objekterkennung verortet.
So ist es kein Wunder, dass die Managemententscheidung, bei Tasten zu bleiben, dem eckigen, kantigen Blackberry beinahe den Todesstoß gab. Für unser Hirn macht es eben einen Riesenunterschied, ob wir wo in die Tasten hauen oder etwas zum Streicheln haben. Selbst knallharte Businessleute spielen ganz gerne rum.
Wir lieben, was wir streicheln können
Haptik funktioniert auch im Web. „Eine Studie belegt, dass es einen Unterschied macht, ob ich per Touchscreen oder per Mausklick einkaufe“ sagt Multisense-Experte Olaf Hartmann. „Die Wertschätzung gegenüber einem Produkt steigt über 40 Prozent mit dem Touchscreen. Der ist stärker interaktiv, der Kunde kann das Produkt mit Gesten bewegen, vergrößern oder verkleinern. Durch die Berührung des Produkts auf dem Bildschirm entsteht eine psychologische Inbesitznahme, die normalerweise so stark nur beim realen Berühren zu beobachten ist.“
Dieser psychologische Inbesitznahmefaktor wurde sogar gemessen. Auf einer Skala von null bis sieben betrug er für den Desktop-Computer 4,3 und für den Tablet-Computer 5,6. Der Multi-Touch-Effekt bei Tablet und Handy erzeugte auch eine höhere Preisbereitschaft, vor allem dann, wenn man sich Leistungspakete per Fingerwisch zusammenstellen konnte und besonders viel Spaß dabei hatte, wie etwa bei einem Konfigurator. Die Konsequenz für Anbieter und Betreiber? Möglichst viele Aktivitäten auf Tablet und Smartphone verlagern. „Mobile first“ heißt der Schlachtruf.
Beim haptischen Design geht es zum einen darum, den Dingen eine einzigartige und unverwechselbare Form zu geben, die man sofort wiedererkennt. Zum anderen können vorhandene Strukturen, wie etwa die Textur (und der Geruch) von Metall, Holz oder Leder in einem Prospekt wiedergegeben werden. Schließlich geht es auch darum, Strukturen zu erschaffen, die den Tastsinn erfreuen. Ein Bäcker beispielsweise kann seine Theke mit einem beheizbaren Stein bestücken. So wird die Übergabe der gekauften Ware zelebriert.
Die Haptik im Altersverlauf
Kleinkinder erschließen sich die Welt mit allen Sinnen, vor allem aber haptisch. So wollen sie erforschen, wie die materielle Welt beschaffen ist und welche Gesetzmäßigkeiten darin herrschen. In dieser frühen Prägungsphase wird der Grundstock für ein „haptisches Gedächtnis“ gelegt. Mit dem Einzug von digitalen Geräten in die Kinderzimmer haben sich die Tasterfahrungen stark verändert.
Sicher kennen Sie den Film mit dem Baby, das eine Zeitschrift wie ein iPad befingert. Mittlerweile bestimmen Tastaturen, Joysticks und Touchscreens die kindliche Spielwelt. Die dabei gelernten Wirkmechanismen werden quasi ins Gehirn eingebaut und später im Leben intuitiv abgerufen. Auch dies wird den digitalen Wandel beschleunigen und das Zusammenwachsen von Mensch und Maschine verstärken.
Im Alter lassen die Bewegungsfähigkeit sowie die Hör- und Sehkraft nach. Auch die Geschicklichkeit und die Greifkraft sind stark betroffen. Alles Kleinteilige ist schwierig zu umfassen und rutscht schnell aus den Fingern. Eine einfache Handhabung ist demnach für ältere Menschen ein ganz entscheidender Kauffaktor. Und leichte Lesbarkeit auch. Kleine Schriften, egal ob in Gebrauchsanweisungen und Prospekten oder auf Etiketten und Hinweisschildern sind kommerzieller Selbstmord.
Und Erzeugnisse, die explizit als Seniorenprodukte bezeichnet werden, lassen die Kauffreude umgehend verschwinden. Am besten macht man sich stillschweigend und unauffällig an die notwendigen altersfreundlichen Optimierungen heran. Oft handelt es sich um Kleinigkeiten, die die Lebensqualität dieser kaufkraftstarken Zielgruppe steigern. Von daher werden sie dankbar aufgenommen und reichlich mit „Stimmzetteln“, also mit Geldscheinen belohnt.
Die Haptik und das Digitale
Was die Haptik der Zukunft uns bringt? Sensorhandschuhe und Fingerclips können die Texturen von Objekten längst simulieren. Die Robotik arbeitet schon seit vielen Jahren daran, die visuelle und auditive Informationsverarbeitung in Maschinen zu integrieren. Nun steht eine viel größere Herausforderung an: einen kompletten Tastsinn für die technologischen Helfer zu entwickeln und zu implementieren.
In Ansätzen gelingt das auch bereits schon. So hat das Münchner Start-up Tacterion mit Sensor Skin eine Art Hightech-Haut entwickelt, die Geräte via Sensormodulen berührungsempfindlich macht. Sobald die kraftstrotzenden Industrieroboter einen solchen Überzug bekommen, mit dem sie zu fühlen in der Lage sind, können wir sie aus ihren Käfigen entlassen und mobilisieren. Denn das ist ein ehernes Gesetz: Ein Roboter darf keinen Menschen verletzen.
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Über Anne M. Schüller
Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als Europas führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Sie zählt zu den gefragtesten Referenten im deutschsprachigen Raum. 2015 wurde sie in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Zu ihrem Kundenkreis zählt die Elite der deutschen, schweizerischen und österreichischen Wirtschaft. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager aus. Weitere Informationen: www.anneschueller.de und www.touchpoint-management.de