Seiteneinsteiger oder Aufsteiger?

… aus der zweiwöchentlichen Themenserie „Die ersten 100 Tage zählen! So machen Sie ihre ersten 3 Monate als Führungskraft zum Erfolg“ von Volker Schneider.

Mehrfach wurde ich in Unternehmen kurzfristig als Geschäftsführer eingesetzt. Am ersten Tag herrschten meist folgende Bedingungen: ich kannte die Unternehmen oft schon als Berater der Eigentümer. Somit war ich für die Mitarbeiter meist kein Unbekannter, aber auch keiner von ihnen. Auch meine Vorgänger kannte ich meist. So konnte ich einigermaßen einschätzen, welche Führungskultur mir hinterlassen wurde. Mein Auftrag in dem jeweiligen Unternehmen war mir klar. Bei den Mitarbeitern allerdings herrschte darüber meist wilde Spekulation.

„Herkunft“, „Vermächtnis“ und „Auftrag“ sind Rahmenbedingungen, auf die die neue Führungskraft keinen Einfluss hat. Der Einfluss dieser Themen auf die neue Führungskraft hingegen ist enorm.

Herkunft

Ich unterscheide zwischen Menschen, die innerhalb des Bereiches aufsteigen, aus anderen Unternehmensteilen als Seiteneinsteiger kommen oder von außen neu eingestellt werden.

Der Aufsteiger im eigenen Bereich oder Team verfügt über eine Fülle an Informationen. Er kennt alle Beteiligten bereits länger und man kennt ihn. Er weiß, wer Ansprechpartner ist und wie Entscheidungsprozesse funktionieren. Er kennt auch die „heimlichen Spielregeln“, allerdings aus einer anderen formalen Position. Die neue Rolle wird die Beziehungen zum Team und den einzelnen Mitarbeitern teilweise erhebliche verändern. Und nicht immer positiv. Gerade deshalb muss die neue Führungskraft angemessen deutlich machen, dass sie im Sinne der Ergebnisorientierung Leistungen einfordern wird. Und bitte dafür nicht rechtfertigen oder gar entschuldigen!

Als Seiteneinsteiger gilt es, deutlich zu machen, dass man zwar über grundlegende Informationen und Kenntnisse verfügt, aber auf Hilfe angewiesen ist, wenn es um die Spezifika geht. Die Bitte um Unterstützung schafft die formale Voraussetzung, sich bei Vorgesetzten, Kollegen, Mitarbeitern und Betriebsräten eingehend nach den Besonderheiten zu erkundigen. Dem Neueinsteiger fehlen in der Regel wirkliche intime Kenntnisse. Die oben genannte Bitte um Hilfe ist hier umso wichtiger und wird auch von den Beteiligten leichter akzeptiert, ja sogar erwartet. Natürlich wird der Neueinsteiger von seinen neuen Mitarbeitern vorsichtig „beschnüffelt“. Er wird auf seine fachlichen Kompetenzen und menschlichen Verhaltensweisen hin abgeprüft. Gerade Neueinsteigern sollte klar sein, dass die Beziehungen in der ersten Zeit mindestens genauso wichtig sind wie das Fachliche.

Für alle gilt, es ist eine absolute Notwendigkeit mit Mitbewerbern, also mit Personen, die sich ebenfalls auf die Führungsposition beworben hatten, zu sprechen. In diesen Gesprächen ist es besonders wichtig, gegenseitige Erwartungen und die zukünftige Zusammenarbeit zu klären.

Vermächtnis

Wir Menschen brauchen und lieben es, zu vergleichen. Natürlich wird der Neue auch immer mit dem Vorgänger verglichen. Da ist es von Bedeutung, ob der Vorgänger eher charismatisch oder sehr sachlich war. War er eher innovativ oder der Verwalter.

Neue Führungskräfte landen so schon mal in einer Zwickmühle. Alle Mitarbeiter erwarten Veränderung der Aspekte, die der Vorgänger ihrer Meinung nach nicht so gut gemacht hat. Gleichzeitig erwarten sie den Erhalt der für sie angenehmen Aspekte. Und natürlich haben da alle Mitarbeiter andere Vorstellungen. Vor allem Neueinsteiger unterliegen der Gefahr, ohne Vorwarnung in Konflikte zu geraten, wodurch sie als geeignete Führungskraft schnell in Frage gestellt werden. Nicht selten wird die neue Führungskraft dann verleitet, die Vorgehens-und Handlungsweisen des Vorgängers in Frage zu stellen. Hier gilt: Kritik am Vorgänger zeugt prinzipiell von einem schlechten Stil. Sie wirkt auch respektlos, denn die Mitarbeiter sind fast immer in der einen oder anderen Weise in Loyalität an den Vorgänger gebunden.

Auftrag

Neben den normalen Führungsaufgaben werden für die neue Führungskraft Aufträge formuliert, die in der Regel von großer Bedeutung sind. Die Sanierung ganzer Bereiche wird erwartet, der Personalab- bzw. -umbau mit gleichzeitigem Aussortieren der „Low-Performer“. Oder die Vorbereitung bzw. Umsetzung einer Fusion von Bereichen innerhalb des Unternehmens. Dies stellt aus meiner Erfahrung übrigens eine besondere Herausforderung dar. Die meistgebrauchte Begründung für derartige Zusammenlegungen sind die sogenannten „Synergie-Effekte“. Leider werden diese weitaus seltener erreicht als erhofft, was meistens an der Unverträglichkeit der Bereichs- oder Teamkulturen und den Änderungswiderständen der Mitarbeiter liegt.

Grundsätzlich sind diese Aufträge zeitkritisch und drücken eine wesentliche Erwartungshaltung der eigenen Vorgesetzten aus. Die eigenen Mitarbeiter kennen diesen Auftrag oft nicht oder haben nur Gerüchte gehört. Ungeachtet, ob die neue Führungskraft nun als „Sanierer“, „Innovator“, „Fusionierer“ usw. beauftragt wird. Diese Aufträge bergen ein hohes Konfliktpotenzial in unterschiedlichen Richtungen. Mitarbeiter und Kollegen sind irritiert und beunruhigt; Gerüchte um eventuelle Entlassungen verunsichern.

Der neuen Führungskraft empfehle ich, in Gesprächen mit den eigenen Vorgesetzten und dem Management diese Aufträge zu hinterfragen und bestmöglich zu konkretisieren. Und anschließend müssen die Mitarbeiter und Kollegen ausreichend über diese Aufträge informiert werden. Es gilt die Ziele und ganz wichtig, den damit verbundenen Sinn deutlich zu machen. Über Auswirkungen für die Beteiligten zu sprechen und die eigene Vorgehensweise aufzuzeigen und wie die Beteiligten miteinbezogen werden. Die Führungskraft muss die daraus entstehenden Sorgen und Ängste der Betroffenen ernst nehmen. Das ist nicht immer angenehm, kostet Zeit und Energie, aber lohnt sich in jedem Fall.

Aus meiner Erfahrung werden „Herkunft“, „Vermächtnis“ und „Auftrag“ von den Instanzen, die darüber entscheiden, eine Position zu besetzen, kaum oder gar nicht beachtet. Das birgt die Gefahr für die neue Führungskraft in ein „Feld voller Tretminen“ zu geraten. Man enthält ihr wichtige Informationen vor, weiht sie in wesentliche Prozesse nicht ein, und sie wird nicht unterstützt. Deshalb empfehle ich, sehr früh möglichst viele Einzelgespräche in der neuen Aufgabe zu führen. Von zentraler Bedeutung sind natürlich Gespräche mit Vorgesetzten und Mitarbeitern, aber auch mit anderen wie Betriebsräten – und natürlich mit Kollegen auf gleicher Ebene. Die neue Führungskraft sollte einfühlsam deutlich machen: die alte Ära ist beendet und es beginnt eine neue Ära. Dazu gehören neue Symbole, aber auch neue Rituale. Auf diese Aspekte gehe ich in der nächsten Kolumne ausführlich ein.

Ein letzter Tipp: Neue Führungskräfte neigen dazu, früh und viele Sonderaufgaben zu übernehmen. Dabei laufen sie aber Gefahr, sich zu „verausgaben“ und die wesentlichen Erfordernisse ihrer eigenen neuen Aufgabe aus dem Auge zu verlieren.

Also gilt es, Sonderaufgaben nur sehr bewusst zuzustimmen oder eben „Nein“ zu sagen.

Ihr Volker Schneider

Zum Autor:

Volker Schneider ist Dipl. Betriebswirt, Speaker, Trainer und Coach. Er gilt als maßgebender Experte für Führungsintelligenz. Seine Karriere begann er im Polizeidienst als Streifenbeamter und Zivilfahnder. Danach wechselte er in die Wirtschaft, wo er lange Jahre erfolgreich in verschiedenen Geschäftsführerpositionen und als Vorstandsvorsitzender einer mittelständischen Aktiengesellschaft tätig war.

Heute ist er Inhaber eines Beratungsunternehmens und gibt sein Wissen zum Thema „Intelligenz führt“ in seinen souveränen und humorvollen Vorträgen weiter. In seinen fundierten Seminaren vermittelt der Experte, wie Führungsintelligenz als Antwort auf die Komplexität in Unternehmen aktiv zu implementieren ist. In seinen Coachings unterstützt er auf Augenhöhe Führungskräfte dabei, ihre Führungsrollen und ihr Führungsverständnis weiter zu entwickeln und ihre Mitarbeiter zu aktiven Mitgestaltern des Unternehmens zu machen. „Erfolgreiche Unternehmen brauchen intelligente Führungskräfte – keine Vorgesetzten“ ist seine Kernbotschaft.

Volker Schneider ist Professional Member der GSA – German Speakers Association. Weitere Informationen finden Sie auf seiner Website unter www.volkerschneider.net.

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