Hochqualifizierte Fach- und Führungskräfte prüfen, bevor sie einen neuen Job annehmen, oft zu wenig: Was ist das für eine Position? Welche Konsequenzen hat das Annehmen der Stelle für mich? Und: Was ist, wenn sich der neue Job als Flop erweist? Als Folge davon landen sie oft in einer beruflichen Sackgasse.
Ein Gastbeitrag von Alexander Walz ist Geschäftsführer der Personalberatung Conciliat GmbH, Stuttgart (www.conciliat.de).
Nicht selten nehmen hochqualifizierte Fach- und Führungskräfte einen scheinbar attraktiven neuen Job an, die sich nach kurzer Zeit als Sackgasse erweist. So zum Beispiel die 38-jährige Betriebswirtin Nadja Zagel*. Fast ein Jahrzehnt arbeitete sie als Controllerin für einen Konzern im Rheinland. Dann erhielt sie von einem mittelständischen Maschinenbauer im Schwabenland, der gerade in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, das Angebot, dessen Controlling neu aufzubauen. Zagel reizte neben der Aufgabe die Position und das Gehalt. Also sagte sie spontan ja.
Doch dann saß Zagel in der schwäbischen Provinz und merkte: Die ticken hier ganz anders. In Köln sprach ich mit meinen Kollegen über die neusten Filme und angesagten Bars. Doch hier drehen sich die Gespräche um den örtlichen Gesangsverein und Strickmuster. Und mein unmittelbarer Vorgesetzter, der Geschäftsführer Finanzen? Der sagte zwar in den Auswahlgesprächen, ich habe beim Aufbau des Controllings weitgehend freie Hand. Doch nun mischt er sich in fast jeden Handgriff von mir ein. Schon nach wenigen Tagen bereute Zagel ihren Entschluss und sehnte sich nach Köln zurück – auch weil die Single-Frau, wenn sie abends in ihrem möblierten Zimmer saß, das Gefühl hatte: „Hier werde ich schnell zu einer alten Jungfer.“
Neuer Job: Stimmt die Chemie?
Nicht einmal enttäuscht war Zagel deshalb, als der Geschäftsführer Finanzen ihr nach drei Monaten mitteilte: „Wir beenden die Zusammenarbeit mit Ihnen“. Auch überrascht war sie nicht. Denn auch sie spürte: Die Chemie stimmt nicht. „Und weil ich kein Schwäbisch schwätze und mein Leibgericht nicht ‚Linse‘ mit Spätzle‘ ist, würde ich hier immer die hochnäsige Zugezogene bleiben.“
In Panik geriet die Controllerin erst, als sie wieder in Köln in ihrer Wohnung saß. Denn erst hier wurde ihr so richtig klar: „Wenn ich eine neue, meiner Qualifikation angemessene Stelle finden möchte, muss ich mich eigentlich bundesweit bewerben – obwohl ich inzwischen weiß: Ich möchte im Kölner Raum bleiben.“ Mit Handkuss hätte sie denn auch wieder ihren alten Job in dem Konzern angenommen. Doch hierfür war es zu spät.
Welche Folgen hat ein Flop im Job?
Ähnliche Fehler begehen hochqualifizierte Stellensucher oft. Sie manövrieren sich, weil sie die Konsequenzen eines Stellenwechsels nicht ausreichend reflektieren, in eine Situation, in der es nur in Ausnahmefällen noch eine optimale Lösung gibt. Denn ihre Arbeitsmarktsituation ist eine andere als die von Handwerkern. Erweist sich bei einem Elektriker ein neuer Job als Flop, dann findet er meist in derselben Region einen neuen Arbeitsplatz. Anders ist es bei hochqualifizierten Spezialisten oder gehobenen Führungskräften. Ist bei ihnen der neue Job ein Flop, dann müssen sie sich meist bundesweit bewerben – also einen (erneuten) Umzug in Kauf nehmen. Außer sie sind, wenn sie zum Beispiel eine Familie haben, bereit, künftig eine Wochenendehe zu führen.
Viele unterschätzen, was dies bedeutet. So der Diplom-Kaufmann Klaus Feger. Der gebürtige Hamburger erhielt von dem IT-Unternehmen für das er in der Hansestadt arbeitete, vor fünf Jahren das Angebot, in dessen Münchner Zentrale deren „Salesmanager Europe“ zu werden. Feger schmeichelte das Angebot. Zudem rechnete sich aus: Wenn ich den Job zehn Jahre mache, habe ich ausgesorgt. Seine Frau war von der Job-Offerte weniger begeistert. Denn sie wollte mit ihren beiden pubertierenden Kindern keinesfalls nach München ziehen. Doch sie gab Feger freie Hand: „Wenn du den Job annehmen willst, dann mache es. Dann führen wir eben eine Wochenendehe.“ Feger trat die Stelle an. Doch rasch erwies sie sich als deutlich herausfordernder als gedacht. Und was er völlig unterschätzt hatte: Als Salesmanager Europe musste er in die entlegensten Ecken Europas reisen. Folglich wurde aus den geplanten regelmäßigen Wochenendflügen nach Hamburg oft nichts. Und wenn doch? Dann war seine Tasche voller Arbeit. Nach kurzer Zeit merkte Feger: Der neue Job nagt an meiner Substanz. Und nach eineinhalb Jahren wurde er mit einem Burn-out in eine Klinik eingeliefert. Und ein weiteres Halbjahr später unterschrieb er einen Auflösungsvertrag mit seinem Arbeitgeber – „mit einer satten Abfindung“. Doch was hat er davon? Wenig! Gesundheitlich ist Feger zwar wieder auf dem Damm. Doch eine neue Festanstellung hat der heute 53-Jährige in den letzten drei Jahren nicht gefunden. Stattdessen jobbt er ab und zu einige Monate als Interimsmanager – oder wie er selbst ironisch sagt „gutbezahlter Leiharbeiter“.
Was ist mir im Leben wichtig?
Den Fehler von Feger begehen hochqualifizierte Fach- und Führungskräfte immer wieder. Sie reflektieren zu wenig, was ein neuer Job konkret bedeutet. Zum Beispiel mehr Arbeit. Mehr Stress. Mehr Reisen. Ein höheres Kündigungsrisiko. Eine sehr starke Spezialisierung, die sich langfristig als berufliche Sackgasse erweisen könnte. Und noch weniger reflektieren sie: Passt die neue Stelle zu meiner Vorstellung von einem erfüllten Leben? Zum Beispiel:
- Macht mir die Arbeit voraussichtlich langfristig Spaß und erachte ich sie als sinnvoll?
- Kann ich abends bei meiner Familie sein?
- Kann ich weiterhin meinen Hobbies frönen und meinen Freundeskreis pflegen?
Dabei wäre das wichtig. Denn wenn eine Führungskraft mit ihrem Leben unzufrieden ist, sind ihre Akkus schnell leer. Also erbringt sie auch keine Top-Leistungen mehr.
So hätte zum Beispiel Feger in Hamburg den Salesmanager-Job gewiss problemlos gemeistert. Doch mit dem „ewigen Hin und Her zwischen Hamburg und München“ kam er nicht klar. Denn er ist ein „Familienmensch“ und braucht seinen „Heimathafen“.
Neuer Job: Drum prüfe, wer sich bindet …
Den braucht nicht jeder. Maik Diemer zum Beispiel würde seinen Heimathafen im hessischen Friedberg gern seltener sehen. Der Betriebswirt verlor 2008 in Folge einer Umstrukturierung nach elf Jahren seinen Job als Geschäftsführer der deutschen Niederlassung eines internationalen Industriedienstleisters. Nach fast einem Jahr erzwungener Auszeit nahm er die Geschäftsführer-Stelle bei einem mittelständischen Verpackungshersteller an, obwohl er wusste: Dessen Inhaber hat in den zurückliegenden vier Jahren drei Geschäftsführer verschlissen. Fortan pendelte Diemer zwischen dem Wohnort seiner Familie und dem 300 Kilometer entfernten Standort des Unternehmens hin und her. Was weder ihm, noch seiner Frau etwas ausmachte.
Doch circa 15 Monate später stand Diemer erneut auf der Straße – aufgrund persönlicher Differenzen mit dem 74-jährigen Firmeninhaber. Es folgte eine weitere erzwungene Auszeit von über einem Jahr, bevor Diemer Geschäftsführer bei einem Start-up in Niedersachsen wurde. Also pendelte er erneut. Bis er circa 1,5 Jahre später wieder auf der Straße stand. Dieses Mal, weil er sich mit der Private-Equity-Gesellschaft, die das Start-up finanzierte, über dessen Strategie uneins war. Und seitdem hat Diemer ein echtes Problem. Denn wenn er sich irgendwo als potenzieller Geschäftsführer vorstellt, kann er in den Augen seiner Gesprächspartner regelrecht die Frage lesen: Warum wurde der in nur sechs Jahren drei Mal entlassen? Dass er zuvor elf Jahre erfolgreich Geschäftsführer bei dem Industriedienstleiter war, nehmen seine potenziellen Arbeitgeber gar nicht mehr wahr. Er ist in ihren Augen „verbrannt“. Seine Einstellung wäre in ihren Augen mit zu hohen Risiken verbunden. Deshalb ist er für sie, wenn es um das Besetzen einer Geschäftsführer-Stelle geht, maximal noch zweite Wahl.
Macher aufgepasst!
Diemer machte als echter Macher, weil ihm zuhause die Decke auf den Kopf fiel, zwei Mal denselben Fehler. Er nahm, trotz finanzieller Absicherung, vorschnell einen Job an. Bei ihm hätten alle Alarmglocken schrillen müssen, als er erfuhr, dass der Inhaber des mittelständischen Unternehmens vor ihm in vier Jahren drei Geschäftsführer entlassen hatte. Doch solche Bedenken wischte Diemer mit dem Hang zur Selbstüberschätzung, den viele Top-Manager haben, beiseite und dachte: Ich schaffe das schon. Ähnlich war es, als die Private-Equity-Gesellschaft ihn bereits im Auswahlverfahren mit völlig unrealistischen Erwartungen bezüglich der Entwicklung des Start-ups konfrontierte. Auch da hätten die Alarmglocken schrillen müssen. Doch Diemer dachte vermutlich: Wenn ich erst mal da bin, zeige ich denen, wie der Hase läuft.
Dass Diemer die Stellen annahm, ohne die Pros und Contras sauber abzuwägen, hatte auch folgenden Grund: Jedes Mal, wenn er arbeitslos oder freigestellt zuhause saß, fing es in seiner Ehe an zu kriseln. Denn seine Frau nervte es rasch, dass sie ihren Mann, den sie zuvor nur am Wochenende sah, plötzlich täglich von morgens bis abends um sich hatte; außerdem, dass er sich plötzlich in die Haushaltsführung und Kindererziehung einmischte. Und wenn sie mal außer Haus ging? Dann fragte er sie: Wo gehst du hin? Und: Wann bist du wieder da? Das führte zunehmend zu Streitereien. Auch deshalb nahm Diemer sozusagen den erstbesten Job an.
Doch inzwischen ist Diemer erneut seit über zwei Jahren arbeitslos. Deshalb gründete er „als Beschäftigungstherapie“ ein Beratungsunternehmen. Denn dass ihn noch einmal ein größeres Unternehmen zu seinen Konditionen als Geschäftsführer einstellt, diese Hoffnung hat er fast aufgegeben. Und das tägliche Joggen und Tennisspielen? Das hat ein Macher, wie er, schnell satt.
Alexander Walz
* Die Namen und Daten der erwähnten Personen wurden geändert.