10. ITK-Forum Mittelstand – Prof. Radermacher über Technologiefolgen und die Ökoszoziale Marktwirtschaft

Interview mit Prof. Franz Radermacher über Innovationen, Technologiefolgen, Nachhaltigkeit, ökosoziale Marktwirtschaft, die Global Marshall Plan Initiative und Globalisierungsgestaltung.

Am 25. Oktober findet in München das „10. ITK-Forum Mittelstand“ statt. Gemeinsam mit hochkarätigen Referenten wird u.a. über Zukunftsstrategien und Trends für Unternehmen diskutiert. AGITANO, das Wirtschaftsforum Mittelstand, hat die Referenten im Vorfeld interviewt. Heute: Prof. Dr. Dr. Franz Radermacher, Vorstand und C4-Professor für Datenbanken und Künstliche Intelligenz an der Universität Ulm, zu seinem Vortrag „Evolution der Technik und Innovation – Wie überleben Unternehmen in der Zukunft?“

Guten Tag Herr Prof. Radermacher. Sie haben sich unter anderem viel mit dem Thema Technologiefolgen auseinandergesetzt. Geben Sie uns bitte ein paar Beispiele, um das Ausmaß besser einschätzen zu können.

Ein interessantes Beispiel sind die Fortschritte in den Bereichen Hygiene und Medizin. Wir haben dadurch die Lage der Menschen massiv verbessert, gleichzeitig in einem kaum vorstellbaren Umfang die Vergrößerung der Weltbevölkerung gefördert. Das gilt in gleicher Weise für die Fortschritte in der Landwirtschaft. Die unglaublichen Innovationen im Bereich der Informationstechnik haben die Globalisierung in ihrer heutigen Form überhaupt erst ermöglicht. In der Folge haben heute bereits 4 Milliarden Menschen ein Mobiltelefon, während nur 1 Milliarde Menschen über ein Konto verfügen. In der Folge kam es zu erheblichen Verlagerungen einfacher Arbeitsplätze. Viele Menschen in den Industrieländern haben dadurch ihre Arbeit verloren. Menschen in Schwellenländern haben Arbeit gefunden. Der Energie- und Ressourcenverbrauch wurde durch die modernen Möglichkeiten der Informationstechnik massiv erhöht. Erwartete Einsparungen wurden häufig nicht realisiert. So hat sich das vermeintlich papierlose Büro zum Ort des größten Papierverbrauchs in der Geschichte der Menschheit entwickelt. Natürlich hat diese Technik auch die globale Umweltbewegung beflügelt: Satellitentechnik zeigt uns die Erde aus dem All in ihrer Schönheit und Empfindlichkeit. Die Folgen der Technik sind vielfältig und oft überraschend.

Ein weiterer Themenschwerpunkt von Ihnen ist die Globalisierungsgestaltung. Welche Schlussfolgerungen haben Sie hier bisher gezogen?

Die Globalisierung ist nicht aufzuhalten. Sie beinhaltet Chancen und Risiken. Das entscheidende Thema ist die Gestaltung der Globalisierung. Gelingt eine vernünftige, weltweite Bändigung der Ökonomie, ist die Perspektive für die Zukunft allgemein günstig. Gelingt das nicht, droht der Rückfall in eine Zweiklassenstruktur, diesmal als weltweites Phänomen.

Sie sind auch im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft engagiert. Was sind die Kernelemente einer solchen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung?

Eine nachhaltige Entwicklung zielt auf eine geeignete Balance zwischen ökologischen, sozialen und ökonomischen Erfordernissen – und dies in nationalen wie internationalen Zusammenhang und mit Blick auf heutige wie auf zukünftige Generationen. Dies erfordert in einer weltweiten Perspektive eine Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, die die Wertschöpfungsprozesse über Märkte organisiert und dabei viele Freiheiten eröffnet, zugleich aber auch einen starken Staat, wirkungsvolle Institutionen, so wie wir das in Europa kennen. Hinzu kommen müssen wirkungsvolle Institutionen und internationale Vereinbarungen zum Schutz der Umwelt und zur Herstellung sozialer Balance, an denen es bis heute mangelt. Eine solche Ordnung wird als weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft bezeichnet. Die Gleichzeitigkeit von Nachhaltigkeit und Markt bedeutet gerade die Durchsetzung einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft. Davon sind wir allerdings weit entfernt und ob dies gelingen wird, ist alles andere als sicher.

Wie sieht in diesem Zusammenhang die Global Marshall Plan Initiative aus und worauf zielt diese ab?

Die Global Marshall Plan Initiative wurde 2003 initiiert. Sie greift Überlegungen des früheren US-Vizepräsidenten und Friedensnobelpreisträgers Al Gore auf. Ihm ging es um die Verknüpfung von Klimaschutz einerseits und die weltweite Überwindung der Armut andererseits. Wichtige Einzelpunkte in Programmen der Global Marshall Plan Initiative waren und sind die Durchsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, eine deutliche Erhöhung der finanziellen Transfers von Reich nach Arm, das mittelfristige Ziel einer weltweiten Ökosoziale Marktwirtschaft, die Besteuerung globaler Transaktionen, insbesondere auch im Finanzsektor und partizipative Formen der Entwicklungsförderung vor Ort.

Ihr Thema auf dem ITK-Forum Mittelstand wird die „Evolution der Technik und Innovation Wie überleben Unternehmen in der Zukunft?“ sein. Geben Sie uns bitte einen Vorgeschmack: Was meinen Sie, wo uns die Evolution von Technik und Innovation hinführen wird? Was sind hier die Herausforderungen aber auch Chancen?

Es ist nicht klar, wie die Zukunft aussehen kann. Nachhaltigkeit ist ebenso möglich wie eine weltweite Zweiklassengesellschaft. Voraussetzung für eine gute Zukunft sind massive weitere Innovationen in Technik. Das ist eine Überlebensfrage, zugleich ein entscheidendes Wettbewerbsthema. Innovationen im politisch/gesellschaftlichen Bereich müssen hinzukommen. Gelingt dies, sind die Zukunftsaussichten gut, sonst weniger.

Und was bedeutet das nun konkret für das Überleben der Unternehmen in der Zukunft?

Für die Unternehmen bedeutet dies, sich gleichzeitig auf zwei Zukünfte einstellen zu müssen: Doppelstrategie. Immer gilt es, mehrere Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten und unter allen Gegebenheiten ökonomisch erfolgreich zu sein, d. h. unter vernünftigen wie unter unvernünftigen weltweiten Rahmenbedingungen. Erfolg sollte genutzt werden, sich für solche Rahmenbedingungen einzusetzen, die mit Nachhaltigkeit verträglich sind. Aber immer nur so weit, dass der Erfolg im Markt gesichert bleibt. Die vielen Tugenden und Erfolgsfaktoren, über die wir in Deutschland verfügen, gilt es dabei zu kultivieren und fortzuentwickeln.

Herr Professor Radermacher, vielen Dank für das Interview. Mehr dann in Ihrem Vortrag auf dem 10. ITK Forum Mittelstand.

(Das Interview führte Marc Brümmer, Redaktionsleiter von AGITANO.)

Daten zur Veranstaltung:

Das 10. ITK-Forum Mittelstand findet am 25. Oktober im “K9″ von Fujitsu Technology in der Domagkstr. 28 in 80807 München statt. Die Teilnahme kostet 90 Euro, die Anmeldung erfolgt online. Weitere Informationen finden Sie auf der Website des ITK-Forums Mittelstand.

Über Prof. Dr. Dr. Radermacher:

Prof. Franz Radermacher ist Vorstand und C4-Professor für „Datenbanken und Künstliche Intelligenz“ an der Universität Ulm. Seine Schwerpunkte liegen in Globalisierungsgestaltung, Innovation, Technologiefolgen, umweltverträgliche Mobilität, nachhaltige Entwicklung und Überbevölkerung. Er ist Autor von über 300 wissenschaftlichen Arbeiten aus den Bereichen Angewandte Mathematik, Operations Research, Angewandte Informatik, Systemtheorie sowie tangierten Fragen der Technikfolgenforschung und der Ethik / Philosophie; letzteres auch mit Bezug auf globale Problemstellungen. Gesellschaftspolitische Interessenschwerpunkte betreffen den Übergang in die Informationsgesellschaft, lernende Organisationen, Umgang mit Risiken, Fragen der Verantwortung von Personen und Systemen, umweltverträgliche Mobilität, nachhaltige Entwicklung und Überbevölkerungsproblematik. Bekannt geworden ist er u.a. durch sein Eintreten für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft und durch sein Engagement in der Global Marshall Plan Initiative, die sich seit 2003 für eine gerechtere Globalisierung, für eine „Welt in Balance“, einsetzt.

Literaturhinweise:

– Radermacher, F.J., Bert Beyers: Welt mit Zukunft – Die Ökosoziale Perspektive. Murmann Verlag, Hamburg, 2011

– Radermacher, F. J., Josef Riegler, Hubert Weiger: Ökosoziale Marktwirtschaft – Historie, Programm und Perspektive eines zukunftsfähigen globalen Wirtschaftssystems. oekom verlag, 2011

(mb)

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