Elmar R. Gorich im Interview: Technologien werden die Art, wie wir leben, arbeiten und Freizeit genießen, positiv verändern.
Was bedeutet für Sie der Begriff Digitalisierung?
Digitalisierung ist in erster Linie das Zusammenführen von Prozessen, die miteinander interagieren, um ein möglichst redundanzfreies Miteinander von Daten und Abläufen zu gewährleisten. Einfacher formuliert: Es geht um die Gestaltung von optimalen Prozessen, um eine fehlerfreie Arbeitsweise zu gewährleisten.
Alles, was in Arbeitsprozessen sinnvoll miteinander interagieren kann, wird in Zukunft digitalisiert werden. Das bedeutet, alle relevanten, verfügbaren Daten können im direkten Austausch genutzt werden, um ein optimales Ergebnis zu produzieren.
Wer (Unternehmen oder Person) ist für Sie in Sachen Digitalisierung ein Vorbild und warum?
Inzwischen gibt es viele, primär große Unternehmen, die sich sehr früh der Digitalisierung zugewandt haben und bereits beeindruckende Lösungen vorweisen können – hier möchte ich die Firma BOSCH nennen. Aber auch KMUs sind durchaus innovativ unterwegs und erkennen die Chancen.
Wie können auch kleine und mittlere Unternehmen von der Digitalisierung profitieren?
Jedes Unternehmen kann und sollte mit der Digitalisierung beginnen, indem es das erforderliche Bewusstsein schafft und mit kleinen, konsequenten Schritten Projekte initiiert und umsetzt. Die verfügbaren Technologien ermöglichen heute jedem Unternehmen wirtschaftliche Ansätze zur Optimierung und Umstellung von Prozessen.
Betrachtet man die Geschäftsmodelle der Zukunft, dann begegnet man zwei grundlegenden Betrachtungsebenen. Einerseits das Unternehmen selbst: Hier sind Prozesse, Abläufe und Wertschöpfung nach betriebswirtschaftlichen Kriterien neu zu bewerten. Auf der anderen Seite ist jedes Unternehmen als Marktteilnehmer auch in eine externe Wertschöpfungskette eingebunden. Das Wachstum des E-Commerce wird auch künftig Hersteller, Händler und Konsumenten motivieren, die Prozesse einfacher und kostenoptimierter zu gestalten.
Diese Handlungsfelder sollten jedes mittelständische Unternehmen inspirieren, mit kreativen Methoden neue Produkt- und Serviceideen zu entwickeln. Diese gilt es dann, zeitnah in der Praxis zu testen, nach dem Motto: „machen – machen – machen!“
Wenn ein Unternehmen digitalisieren möchte, wo sollte es anfangen?
Es ist die Aufgabe der Geschäftsleitung, über die zukünftige Ausrichtung der Geschäftsmodelle nachzudenken und immer wieder über Innovationen und Ausrichtung zu entscheiden. So stellt sich permanent die Frage, wo sich Veränderungen anbieten und Digitalisierung geeignet ist, Prozesse im Unternehmen neu zu justieren. Es gilt, zuerst zu analysieren, wie sich in Echtzeit Informationen generieren lassen, die komplexe Zusammenhänge transparent und handhabbar machen.
Oft ist die vorausschauende Planung, wann ein relevantes Ereignis eintritt, von Bedeutung. Wenn der Wechsel eines Ersatzteiles in einer Produktionsmaschine so vorausberechnet und geplant werden kann, dass Rüst- und Stillstandzeiten der Maschine gegen Null tendieren, oder Produktionsaufträge automatisch auf andere Bearbeitungszentren umgeleitet werden, ist das echte Digitalisierung, die rechenbaren Nutzen bringt. Wenn sich dann noch mit künstlicher Intelligenz Entscheidungen vorbereiten oder Alternativen berechnen lassen, zeigt sich der wahre Nutzen der Digitalisierung. Informationen sind ein wichtiger Rohstoff des digitalen Zeitalters. Sie zu ermitteln und bereitzustellen – das ist die Basis digitaler Konzepte.
Jede Digitalisierungsstrategie beginnt mit der Analyse der Handlungsfelder, des bestehenden Geschäftsmodells und der Positionierung des Unternehmens im Wettbewerbsumfeld. Basierend darauf werden dann Maßnahmen definiert, Prioritäten festgelegt und Arbeitspläne für die Umsetzung entwickelt. Zur gemeinsamen Analyse in Workshops gibt es keine Alternative. Ausgehend von der IST-Situation betrachtet man das Geschäftsmodell und identifiziert die kritischen Themen und „Knackpunkte“ (Pain Points).
Wie sieht Ihrer Meinung nach eine globale Digitalisierungsstrategie aus?
Ob national oder global, am Anfang steht die Analyse. Das Management braucht eine klare Vision, was von einer unternehmensweiten Digitalisierung erwartet wird. Stehen die Zielprojektionen fest, sind die Handlungsfelder in Teilprojekte zu überführen. Die Synchronisation von Milestones und die Festlegung der Dokumentation steht im Vordergrund. Im Projektplan werden die jeweiligen Meilensteine definiert. Ziel ist es, eine Projektlandkarte für jeden Bereich zu erstellen, aus der die jeweiligen Kern- und Supportprozesse der Bereiche ersichtlich sind.
Steht das Gesamtkonzept, braucht es das Commitment aller am Prozess beteiligten Personen. Wichtig ist, mit kleinen Teilprojekten in die Umsetzung zu gehen, um so Erfahrung zu sammeln und über einen klassischen KVP (kontinuierlicher Verbesserungsprozess) die Teilprojekte und den Gesamtprozess im Handlungsfeld zu optimieren.
Wie sieht Ihrer Meinung nach eine unternehmerische, betriebswirtschaftlich tragfähige Digitalisierungsstrategie aus? An was müssen Unternehmen unbedingt denken?
Nach der Analysephase sind die einzelnen Prozesse auf Effizienz zu prüfen. Hier braucht es betriebswirtschaftliche Betrachtungen. Klassische Berechnungen auf Basis der Ist- und Sollkosten, ROI und TCO (Total Cost of Owenership) helfen, Klarheit zu schaffen und Entscheidungen vorzubereiten. Jede Teilentscheidung muss auf soliden Zahlen und realistischen Annahmen basieren: Alternativen diskutieren, Risiken abwägen und fundierte Entscheidungen treffen, die auch eine Fehlerkultur zulassen.
Wie sollten Unternehmen ihre Verantwortung definieren, wenn Maschinen und Menschen in ihren Arbeitsprozessen immer mehr verschmelzen?
Digitalisierung ist Chefsache! Insofern kommt dem Management die Aufgabe zu, den Rahmen zu schaffen, um Ziele und Visionen final zu definieren. Die implizierte Unterstellung, dass eine Verschmelzung von Mensch und Maschine stattfindet, ist jedoch noch sehr utopisch. Maschinen können mit Algorithmen zwar schneller und präziser Ergebnisse berechnen und als Entscheidungsvorlage bereitstellen, aber eine menschliche, emotionale Entscheidung exekutieren können sie noch nicht. Frühestens in einigen Dekaden werden Maschinen Emotionen nachbilden und menschliches Denken emulieren. Bisher geht es um „digitale“ Entscheidungen, die Routine-Fragestellungen berechnen und ein Ergebnis vorschlagen. Hier wird es in den nächsten Jahren noch zu bahnbrechenden Entwicklungen kommen. Fragen nach dem moralischen Wert einer Entscheidung werden aber auch zukünftig bei den verantwortlichen Menschen liegen – der Rest ist Science Fiction.
Welche Rolle sollte der Staat / die Politik bei der Digitalisierung übernehmen?
Der Staat hat als Vertretung des Volkes für die Rahmenbedingungen zu sorgen. Dazu ist es erforderlich, dass Sachkompetenz in Bezug auf die Fragen der Zeit und der Zukunft vorhanden ist. Unternehmerisches Entfalten ist zu fördern, nicht zu behindern. Auch hier braucht es eine vermittelbare Zukunftsstrategie, die zusammen mit Unternehmen und Individuen spürbar und nachhaltig umgesetzt wird. Die Komplexität wird zum volkswirtschaftlichen Risiko, wenn Nicht-Fachleute Entscheidungen zur Richtung treffen, die nicht auf Sachkompetenz basieren. Der Staat braucht ebenso Nachhilfe und Weiterbildung in puncto Digitalisierung wie Unternehmen und alle Bevölkerungsschichten.
Die Besteuerung der Wertschöpfung (Maschinensteuer) muss ebenso diskutierbar sein wie das bedingungslose Grundeinkommen. Dazu gehört Offenheit und Mitbestimmung der Bürger bei wesentlichen Richtungsentscheidungen. Die Zukunft ist nicht mehr national, sondern international. Zukünftige Generationen werden zunehmend global denken und agieren. Kein Nationalstaat kann ohne globale Strategien autark agieren – was für die Unternehmen Kooperationsstrategien sind, werden für die Staaten bilaterale Handelsbeziehungen und globale Konzepte sein.
Wie können die Menschen / die Verbraucher von der Digitalisierung profitieren?
Auch hier ergeben sich neue und spannende Chancen für Menschen, die sich Veränderungen gegenüber offen zeigen. Grundsätzlich wird die Digitalisierung viele Erleichterungen für jedermann bereithalten, ob im täglichen Einkauf, beim Bezahlen, bei der Informationsbeschaffung am Arbeitsplatz oder im Studium. Die neuen Technologien werden die Art, wie wir leben, arbeiten und Freizeit genießen, positiv verändern. Profitieren werden gut ausgebildete und kreative Menschen, die dem technischen Fortschritt offen gegenüberstehen. Der Weg zur Partizipation führt über Bildung, Kreativität und Unternehmergeist.
Wie sehen Sie die digitale Welt in zehn Jahren? Ihre Zukunftsvision!
Die Zukunft ist digital und wird uns noch die nächsten 15 bis 20 Jahre intensiv beschäftigen. Die Technologien der Zukunft versprechen spannende, individuelle Optionen und Entfaltungsmöglichkeiten. Entlastung von Routinearbeiten, Förderung von Kreativität, Verbesserung der Lebensbedingungen durch revolutionäre Medizin, Roboter als Gefährten der Menschen, ja, oft auch als Dialogpartner – alles spannende Visionen.
In den kommenden Jahren wird die Menschheit die Technik nutzen, um einschneidende und nachhaltige Maßnahmen zur Erhaltung der natürlichen Ressourcen auf dem Planeten zu ergreifen. Produktionen von Konsumgütern werden zunehmend durch Maschinen erledigt, jedoch von Menschen gesteuert und eingesetzt.
In zehn Jahren wird die Menschheit hoffentlich gelernt haben, dass grenzenloser Konsum und Wachstum nicht die Dimensionen sind, die ein nachhaltiges Leben ausmachen – vielmehr sind menschliches Miteinander, saubere Luft und Wasser für alle sowie ein Leben in gegenseitiger Koexistenz erstrebenswerte Ziele. Meine Zukunftsvision: Die Digitalisierung ändert alles – akzeptieren wir das!
Das Interview mit Elmar R. Gorich führte Oliver Foitzik, Herausgeber des Wirtschafts- und Mittelstandsmagazins AGITANO sowie Geschäftsführer der FOMACO GmbH.
Anmerkung der Redaktion: Lesen Sie auch die weiteren Teile der Interviewreihe Digital Insights.
Über Elmar R. Gorich
Elmar R. Gorich ist Umsetzer mit Leidenschaft und langjähriger Erfahrung in internationalen, vornehmlich US-amerikanischen Unternehmen, wo er verschiedene Executive-Funktionen innehatte. Er gilt als ausgewiesener Experte für den Lösungs- und Projektvertrieb. Nach seiner Ausbildung zum Industriekaufmann studierte er nebenberuflich Betriebswirtschaft mit Abschlüssen als Diplom-Betriebswirt und Master of Business Administration (MBA). Es folgte eine psychologische Zusatzausbildung als Coach und Supervisor. Verschiedene Stationen als Senior Partner und Gesellschafter bei namhaften Unternehmensberatungen gaben ihm die Möglichkeit, sowohl bei renommierten KMUs als auch bei global agierenden DAX-Konzernen über viele Jahre hinweg strategisch wichtige Projekte zu planen und umzusetzen sowie Mandate als Coach und Vertriebstrainer zu übernehmen. Heute ist Elmar R. Gorich mit seiner eigenen Unternehmensberatung EGO-Consulting als Management Consultant, Interim Manager, Coach und Vortragsredner tätig – schwerpunktmäßig für IT- und ITC-Lösungsanbieter. Sein inhaltlicher Fokus sind digitale Megatrends und deren Auswirkungen auf zukünftige Geschäftsmodelle. Elmar R. Gorich ist Lehrbeauftragter an der Fachhochschule Südwestfalen im Fachbereich Entrepreneurship.