Uwe Seidel im Interview: Wenn wir nicht aufpassen, wird die Entwicklungsgeschwindigkeit der digitalen Welt für deutliche Verschiebungen auf dem Globus sorgen.
Was bedeutet für Sie der Begriff Digitalisierung?
Digitalisierung ist ganz einfach die Umwandlung, Bereitstellung und weitere Nutzung von Informationen in elektronischer, digitaler Form. In Unternehmen macht es Sinn, folgende Unterscheidungen vorzunehmen:
- a) Einsatz von Digitalisierung bei Produkten und Dienstleistungen
- b) Digitalisierung in Arbeitsabläufen und Unternehmensprozessen
- c) IT-Sicherheit und Datenschutz
- d) Digitalisierung – ihre Auswirkungen auf Natur, Mensch und Gesellschaft
Digitalisierung ermöglicht viele Arbeitserleichterungen, höhere Genauigkeit und Qualität, hohe Geschwindigkeiten, mehr Effizienz in Wertschöpfungsprozessen sowie neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle. Deswegen dürfen Politik, Unternehmen und die Menschen hier nicht nachlässig sein, indem sie tatenlos abwarten, was passieren wird.
Wer (Unternehmen oder Person) ist für Sie in Sachen Digitalisierung ein Vorbild und warum?
Das Unternehmen ebm-papst hat die elektrische Antriebs- und Lufttechnik innoviert, das heißt technisch weiterentwickelt und erfolgreich vermarktet. Zudem sind die Unternehmensprozesse in Entwicklung, Produktion, Logistik und Vertrieb auch zum Nutzen der Kunden bis ins Detail sinnvoll digitalisiert.
Das Unternehmen SICK hat mit seinen Produkten die wichtigste Digitalisierungsschnittstelle besetzt: das Umwandeln von Analogsignalen in digitale Daten. Hinzu kommt die Datenverarbeitung auf der Sensorebene.
Sei es die Einbindung und Nutzung von Digitalisierung in den Arbeitsabläufen oder die Erschließung von Marktbereichen über Produkte, ohne die der Prozess der Digitalisierung nicht möglich wäre, beides zeugt von einer Vordenkerkompetenz, welche die Vorteile der Digitalisierung für Unternehmen und Kunden erkannt und nutzbar gemacht hat.
Wie können auch kleine und mittlere Unternehmen von der Digitalisierung profitieren?
Im Bereich der Produktinnovationen sind am Markt inzwischen Komponenten verfügbar, die gewinnbringend als Bauelemente integriert werden können. Zusammen mit zunehmender Standardisierung im Datenmanagement können dann smarte Lösungen auch von Kleinunternehmen angeboten werden. Gleiches gilt für Unternehmensprozesse, wo verfügbare, intelligente Geräte und Softwarelösungen zu deutlichen Verbesserungen führen. Der Einsatz von CAx-Tools kann schon in Kleinstunternehmen und Start-ups erfolgen. Heute ist in diesen Firmen sogar mit schnellerem Markterfolg zu rechnen.
Wenn ein Unternehmen digitalisieren möchte, wo sollte es anfangen?
Die Positionierung am Markt ist letztlich immer der wichtigste Faktor und am besten durch Produkt- und Prozessinnovationen zu beeinflussen. Gelingt es, Kunden mit neuen Produkt- und Dienstleistungsideen zu begeistern, wird gekauft. Wirtschaftliche Ergebniserfolge sollten dann folgen. Hier kann der Aufbau einer Digitalisierungsstrategie helfen. Schrittweise sollten Unternehmen ihre Mitarbeiter für die Technologien begeistern, damit sie in der Breite motiviert an Innovationsprozessen teilnehmen und diese sukzessiv voranbringen.
Wie sieht Ihrer Meinung nach eine globale Digitalisierungsstrategie aus?
Das ist sicher branchen- und unternehmensabhängig. Im Waren- und Materialhandling spielt die Digitalisierung eine maßgebliche Rolle. Materialbeschaffungswege zu optimieren kann zu erheblichen Kosten- und Geschwindigkeitsvorteilen führen.
Auch internationale Vertriebsorganisationen können in hohem Maße von durchgängigen Vertriebstools profitieren. Zur Strategie gehört dann aber auch, dass Produkte bereits mit modernen CAx-Verfahren entwickelt werden. Eigene Softwarelösungen lassen sich schnell und qualifiziert auch im Ausland erarbeiten, denn im Inland fehlt die erforderliche Kapazität.
Wie sieht Ihrer Meinung nach eine unternehmerische, betriebswirtschaftlich tragfähige Digitalisierungsstrategie aus? An was müssen Unternehmen unbedingt denken?
Es geht um die Beschreibung der langfristigen Maßnahmen, um geschäftlichen Erfolg unter Einhaltung von Rahmenbedingungen realisieren zu können. Die Strategie sollte in Richtung Produkte, Dienstleistungen, Rahmenbedingungen und Geschäftsmodell ausgerichtet werden. Zunächst sollte eine Zielbeschreibung und die Festlegung der festen und freien Parameter erstellt werden. Eine Bestandsaufnahme der Situation ist ebenso Grundvoraussetzung. Gemeint sind Märkte, Kunden, Geschäftspartner, Produkte, Dienstleistungen, Prozesse, Daten, Personal und Qualifikationen, Chancen, Perspektiven, Risiken, Trends und Arbeitswelt.
Aus den Ergebnissen werden im ersten Entwurf Handlungsfelder bestimmt und dazu mögliche Lösungsansätze aus den Digitalisierungsbereichen (Machine Learning & Big Data, Industrie 4.0, Internet der Dinge, Robotik & 3D-Druck, Cloud-Lösungen, Mobile Applications, Sharing Economy unter anderem) skizziert. Dieses kann man unternehmensweit in Workshops ausarbeiten. Zwischenergebnisse werden im nächsten Schritt zum Beispiel mit externem Know-how verfeinert und schrittweise den Zielen angenähert. Dazu gehört auch die Abschätzung der wirtschaftlichen Erfolgsaussichten.
Daraus entsteht der erste Entwurf einer Digitalisierungsstrategie. Alle Unternehmensbereiche sind in die Strategie-Erarbeitung einzubinden, auch die Unternehmensleitung und Inhaber/Gesellschafter sollten eine geeignete Form der Mitarbeit anstreben. Es reicht meines Erachtens nicht, wenn sich die Unternehmensleitung nur das Ergebnis vortragen lässt und nicht nachvollziehen kann, wie die Strategie gewachsen ist. Die Mitarbeit erhöht die Strategie-Qualität und ihre Standfestigkeit.
Wie sollten Unternehmen ihre Verantwortung definieren, wenn Maschinen und Menschen in ihren Arbeitsprozessen immer mehr verschmelzen?
In hohem Maße ist von Unternehmen auch Führungskräfte-Qualifizierung zu betreiben. Führungskräfte müssen in der Lage sein, Motivation und Perspektiven individuell für Mitarbeiter aufzubauen und anzubieten. Bestimmte und häufig zur Überlastung führende Arbeiten sollten durch den Einsatz von „intelligenteren“ Maschinen, Prozessen und Digitalisierungslösungen gegenüber dem heutigen Stand verbessert werden.
Welche Rolle sollte der Staat / die Politik bei der Digitalisierung übernehmen?
Die Politik muss endlich hochwertige, haltbare Strategien entwickeln und Umsetzungs-Management betreiben, zum Beispiel in den Bereichen Ressourcenschonung, Energiekonzept, Müllvermeidung, Datennetze. Auch über Legislaturperioden hinweg. Das Land muss sich auf politische Entscheidungen hinsichtlich der Strategien verlassen können. Es ist auch von politischer Seite sehr ernsthaft an Lösungen zu arbeiten, die den Menschen eine auskömmliche Existenz und Beschäftigung ermöglichen.
Wie können die Menschen / die Verbraucher von der Digitalisierung profitieren?
Die Digitalisierung bietet Möglichkeiten, intelligente und ressourcenschonende Mobilitätslösungen anzubieten, ebenso wie deutlich bessere Gesundheitsvorsorge und Behandlungsverfahren, unterstützende Prozesse in der Seniorenbetreuung und Lebensmittelüberwachung. Menschen können davon auch dadurch profitieren, dass sie selbst aktiv werden. Offen sein für das Neue, fehlertolerant und bereit sein, sich durch Aus- und Weiterbildung zu qualifizieren.
Wie sehen Sie die digitale Welt in zehn Jahren? Ihre Zukunftsvision!
Wenn wir nicht aufpassen, wird die Entwicklungsgeschwindigkeit der digitalen Welt für deutliche Verschiebungen auf dem Globus sorgen. Begonnen hat der Prozess bereits. Gesellschaftliche und politische Handlungsprozesse kommen der Digital-Dynamik in bestimmte Regionen nicht mehr nach.
Dort, wo sich die digitale Welt und die gesellschaftlichen Prozesse gut synchronisieren lassen, wird auch Innovation weiterhin schnell ablaufen. Das eine oder andere technisch Machbare wird gegebenenfalls von ressourcenschonenden Erwägungen auszuschließen sein.
Das Interview mit Dr. Uwe Seidel führte Oliver Foitzik, Herausgeber des Wirtschafts- und Mittelstandsmagazins AGITANO sowie Geschäftsführer der FOMACO GmbH.
Anmerkung der Redaktion: Lesen Sie auch die weiteren Teile der Interviewreihe Digital Insights.
Über Dr.-Ing. Uwe Seidel
Seit dem Jahr 2000 sammelt Dr. Uwe Seidel Erfahrung mit der Entwicklung von Geschäftsprozessen und Technologien, die heute anerkannt sind in den Bereichen Digitalisierung und Industrie 4.0. Als Manager kann er hochmoderne Verfahren und Einführungsprozesse im Umfeld von Big Data und KI qualifiziert einordnen und erfolgsorientiert zur Anwendung bringen. Dabei hilft ihm die Erfahrung in der messtechnischen Datenerfassung, Datenanalyse und erfolgsorientierten Nutzung in Geschäftsmodellen. Dies untermauert er gezielt mit Change-Maßnahmen, unter anderem mit dem Ziel, Kunden, Mitarbeiter und externes Know-how intensiv einzubinden. Maschinenbau, Elektrotechnik und Anlagenbau sind seine Branchen. Er führt Mandate in den Bereichen Engineering, Innovation, Post Merger, Operations, Change und Restructuring zum Erfolg, als Geschäftsführer, COO, CTO, Head of Business Unit und Head of Engineering/Operations. Seinen Berufseinstieg fand er in der elektrischen Antriebstechnik, studierte und promovierte im Maschinenbau/Energietechnik. Nach verschiedenen Bereichsverantwortungen bei Technologieführern übernahm er geschäftsführende Aufgaben bevor er neue Unternehmen gründete und sie nach kurzer Zeit erfolgreich an den Markt führte. Als ausgebildeter Interim Executive (EBS) bringt er seine Erfahrung passgenau in Unternehmen ein.