100 Prozent Deutsch! Über Toilettenpapier und andere Geistesgrößen „Made in Germany“

Seit über 120 Jahren steht „Made in Germany“ für Qualität. Viele deutsche Hersteller sind stolz darauf, dass dem so ist und legen deshalb großen Wert auf diesen Schriftzug. Aber muss das Qualitätssiegel auf wirklich jedes Produkt gedruckt werden? Diese Frage stellt sich erst recht bei einem Produkt, dass weder von einem deutschen Unternehmen erfunden und in vielen Fällen von diesem überhaupt gar nicht hergestellt wird. AGITANO-Kolumnist Ulrich B Wagner zeigt im heutigen Beitrag zu QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag auf, dass sich diese Frage – gerade in Zeiten wie diesen – nicht nur aus Marketinggesichtspunkten stellt.

„Die Gegenwart bekommen wir nie zu fassen, sie wird sich uns immer entziehen. Deshalb ist das Zeitgenossenschaft das Schwerste, denn wahrhaft zeitgenössisch ist – wie Nietzsche schon wusste – nur das Unzeitgemäße.”

Giorgio Agamben, in: DIE ZEIT, Nr. 35/2015

Es kommt aus Deutschland …

Die Toilettenpapier-Marke Hakle hat Übung darin, auch im Sinne einer produktkonformen und produktaffinen Kommunikation, mit ihren Werbekampagnen auf äußerst eindrucksvolle Art und Weise mit beiden Händen in die „braune Masse“ zu greifen, die ihrem Unternehmenserfolg zu Grunde liegt.

Bereits vor knapp vier Jahren gelang dies, damals noch unter dem Dach von Kimberly Clark, mit einer äußerst peinlichen Promi-Werbung. Charlotte Engelhardt, kurz die Hakle-Feucht-Queen genannte beziehungsweise die „Königin der Feuchttücher” (O-Ton, s. Video), in einer mehrteiligen Serie völlig losgelöst vor laufender Kamera nach den „Wisch-Gewohnheiten” verduzter Passanten fragte und, munter dabei Produktmuster verteilend, auch mal zum gemeinsamen Schnuppern einlud.

Hakle Feucht TV-Spot mit Charlotte Engelhardt:

(Quelle: HORIZONTnet / YouTube)

Einverstanden, Werbung für Toilettenpapier gleicht, wie im Grunde gesehen das gesamte Marketing für Produkte aus dem Intimbereich (Tampons, Cremes gegen Scheidentrockenheit und/oder Hämorrhoiden etc.), einer extremen Gratwanderung. Doch jetzt kommt es zu allem Überfluss (O-Ton) auch noch aus Deutschland.

Der Kolumnist sitzt nichts ahnend entspannt vorm heimeligen TV als in einem brandneuen Werbespot ein smarter, junger, erfolgreicher Mittdreißiger den Vorteil der Marke mit den Worten prieß: „Hakle ist aus Deutschland“.

Die Gegenwart bekommen wir nie zu fassen…

Der Philosoph Giorgio Agamben äußerte einmal, in dem bereits eingangs angeführten ZEIT-Interview, dass die Beziehung zur Vergangenheit nicht nur ein individuell-psychologisches Problem darstellt, sondern auch ein kollektiv-politisches. Jede Entscheidung über die Gegenwart, ob im individuellen oder kollektiven Leben, setzt die Beziehung zu einem konkreten Augenblick der Vergangenheit voraus, mit dem sie ins Reine kommen müsse.

Wobei wir auch schon wieder bei unserer „braunen Masse“ per se angekommen zu sein scheinen. Doch möchten mir, – auch Ihnen vielleicht, die Herren – dies mit ihrem Statement allen Ernstes sagen:

  • „Vertrauen Sie der Expertise jahrzehntelanger deutscher Wegwischerfahrung.“
  • „Richtig wegwischen tut nur ein deutsches Papier.“

Oder doch eher in die Richtung:

  • „An meinen braunen Arsch lasse ich als echter Deutscher nur deutsches Klopapier?“
  • „Unsere Scheiße versteht nur Hakle, AFD, Seehofer & Co.“
  • „Herkunft, die verbindet: Das Deutsche und die braune Masse, echte Brüder im Geiste.“

Sei’s drum. Machen Sie sich selbst Ihre Gedanken hierzu oder auch nicht. Nur so am Rande noch: Von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt wurde im vergangenen Jahr eine Firmenübernahme abgewickelt, welche die deutsche Tissue-Branche neu ordnet. Der amerikanische Konzern Kimberly-Clark verkaufte sein komplettes Markenportfolio für gerolltes Hygiene-Papier („Hakle“, „Servus“ sowie „Dick & Durstig“) mitsamt dem 220 Mitarbeiter zählenden Toilettenpapierwerk in Düsseldorf an den Luxemburger Finanzinvestor Palero Invest.

Wer hat’s erfunden?

Ach so, Erfinder des Toilettenpapiers war auch kein Deutscher, sondern die Chinesen, deren Toilettenpapierproduktion bereits im 14. Jahrhundert durch einen Reisenden dokumentiert wurde. Mit der industriellen Produktion von Toilettenpapier startete dann im Jahre 1857 der Amerikaner Joseph Gayetty. Vor 86 Jahren rollte schließlich auch ein Papierfabrikant aus Ludwigsburg namens Hans Klenk den Markt auf, indem er eine Toilettenpapierrolle mit garantiert 1.000 Blatt „Munition“ auf den Markt brachte. Der Produktname setzt sich aus den Initialen seines Schöpfers zusammen und ist heute den meisten Mensch im deutschsprachigen Raum ein Begriff: Hakle.

Die richtige Lage für jedermann

Toilettenpapier, braune Masse, deutsch, deutsche Kultur
Uns allen allzeit ein frohes Wischen. Aber nur mit echtem deutschen Toilettenpapier! (Foto: „Toilettenpapier“ / © Jörg Simon, 2016)

Lange war beim Toilettenpapier die Anzahl der Lagen das Maß aller Dinge. Mittlerweile ist fünflagiges Papier auf dem Markt, am meisten verkauft wird drei- und vierlagiges. Der Markt ist heiß umkämpft. Denn trotz penibler Achtung der deutschen Verbraucher auf Durchstoßfestigkeit liegen 87 Prozent des Marktanteils bei sogenannten No-Name Produkten, und der echte, penible Hightec-Wischer nimmt sowieso ein Produkt der schwedischen Konkurrenz, das nicht mehr ausgerollt und perforiert, sondern der Zellstoffbrei auf eine Art Gitter aufgesprüht und mit heißer Luft getrocknet wird, wodurch ein dreidimensionales Gebilde entsteht, das im Unterschied zum nachträglich mechanisch geprägten Papier im nassen Zustand und unter Druck länger in Form bleibt :-).

Manche Probleme sollte man halt öfter mal mehrdimensional und mehrlagig angehen, schließlich handelt es sich ja, nicht nur sprichwörtlich, um das wahre Leben :-).

In diesem Sinne, wünsche ich uns Allen allzeit frohes Wischen und dies, angesichts des derzeitigen Zustands unsrer Gesellschaft, bitte nicht nur am Stillen Örtchen.

Ihr Ulrich B Wagner

Kennen Sie schon die Leinwände von Inspiring Art?