Alles Müller oder was? Über besoffene Schiedsrichter und runde Bälle

… aus der wöchentlichen Kolumne „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET  – Das Wort zum Freitag“ von Ulrich B Wagner. Nach „Freitag der 13te … Über Aberglaube und grüne Cola“ folgt heute: „Alles Müller oder was? Über besoffene Schiedsrichter und runde Bälle“.

Der Ball ist rund, und das Spiel dauert 90 Minuten.“
Sepp Herberger

Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.“
Francis Picabia

Flexibilität ist, wenn man für vieles nicht geeignet aber für alles einsetzbar ist.“
Unbekannt

Eine bekloppte Zeit

Schiedsrichter, besoffen, Fußball
Voll wie eine Strandhaubitze: Schiedsrichter-Legende Wolf-Dieter Ahlenfelder (Quelle: SCUDETTO-TV / YouTube)

Als ich noch ein kleiner Bub war, wurde 1974 Deutschland Weltmeister im eigenen Land. Als 7-Jähriger Bub hießen meine Helden Grabowski, Hölzenbein und Müller, nicht Thomas, sondern der kleine dicke Bomber Gerd. Paul Breitner, einer unserer besten linken Außenverteidiger aller Zeiten, posierte medienwirksam mit Mao-Bibel, und in der gemeinsamen Wohnung, die er sich mit Uli Hoeneß teilte, hing ein riesiges Che Guevara Poster über dem Sofa. Als er mich dann an einem sonnigen Abend über den Zaun des Mannschaftshotels in Hofheim zog und zu seinen Kollegen einlud, war es natürlich um den kleinen Bub geschehen. Ab diesem Tag zog ich die Stutzen, genauso wie mein neues Idol, auch nie wieder hoch, sondern ließ sie lässig auf den Fußballschuhen ruhen.

Es waren die 70er, eine bekloppte Zeit. Es wurde gefeiert, getrunken, und bis auf die erste Ölkrise, konnte wirklich keiner keinem so richtig die Laune verderben.

Auch als Anfang November die bekennende rheinländische Frohnatur und Schiedsrichter-Legende Wolf-Dieter Ahlenfelder, Sepp Herberger ad absurdum führend, schon nach 32 Minuten, voll wie eine Strandhaubitze, zur Pause pfiff, war dies nur ein ermutigendes Schulterklopfen und anerkennendes Lächeln wert. Der Schiri erhält im Anschluss an das Spiel Bestnoten und darf bis zu seinem Laufbahnende 1990 noch weitere 103 Bundesligaspiele pfeifen.

Männer trinken keine Fanta

Doch der Reihe nach. An dem Tag, der als einer der kuriosesten in die deutsche Fußballgeschichte eingegangen ist, gönnt sich Ahlenfelder auf eine Einladung des Bremer Schiedsrichterbetreuers einige Bierchen und Malteser. Ist ja auch nichts Außergewöhnliches, sich in den 70ern an einem Arbeitstag nach einem deftigen Mittagsschmaus mal einen zur Brust zu nehmen. Na klar, die Gans war fett, von dem köstlich angemachten Rotkohl ganz zu schweigen. Wir sind halt Männer und trinken keine Fanta, wird sich Ahlenfelder später mal äußern. Die Gans und der Rotkohl sind frei erfunden und wahrscheinlich dem Alkohol geschuldet. Es war doch eher Grünkohl mit Pinkel und in etwa so zirka sechs bis acht Gedecke, die sie später in der Hansestadt nach dem trinkfesten Schiri benennen. Noch heute bekommt man in jeder guten Kneipe in Bremen ein Bierchen und einen Korn, wenn man einen Ahlenfelder bestellt. Als Ahlenfelder kurz vor Anpfiff auch noch halbnackt, in der Hoffnung auf ein weiteres kühles Blondes, denn der Bremer Masseur hatte an diesem Tag Geburtstag, in die Bremer Umkleidekabine poltert, schnappt sich Horst-Dieter Höttges, einer der besten deutschen Spieler, liebevoll von den Fans „Eisenfuß“ genannt, mit den Worten, „Mensch Wolf-Dieter, du bist ja blau!“, den Unparteiischen, zieht ihn unter die kalte Dusche und reibt ihn von Kopf bis Fuß mit „Wick“ ein. Denn das gute alte Erkältungsmittel hat in großen Dosen ein wunderbaren Nebeneffekt, es wirkt belebend und übertüncht komplett die Malteser-Fahne. Echte Männer helfen sich halt.

Bis zur besagten 32. Minute geht auch alles gut. Als Ahlenfelder zur verfrühten Halbzeit pfiff, sprang ihm unser Eißenfuß erneut heldenhaft mit den Worten „Wolf-Dieter, bist Du sicher, dass schon Halbzeit ist?“ zur Seite. Was die rheinische Frohnatur jedoch nur zur Gegenfrage „Warum denn nicht?“ veranlasste. Nur Höttges Hinweis, dass sein Trikot zur Halbzeit doch immer klitschnass und jetzt noch staubtrocken ist, kann Ahlenfelder überzeugen. Er ging, als wäre nichts geschehen, zum erneuten Wiederanpfiff über.

Nicht nur der Ball ist rund

Fußball ist und bleibt halt immer auch eine feuchtfröhliche Angelegenheit, ob in den 70ern oder heutzutage, was das Beispiel unseres trinkfreudigen Nationalspielers Kevin Großkreutz beweist, der, nach dem einen oder anderen Frustbierchen nach dem verlorenen Pokalendspiel gegen die Bayern, ausgelassen in die Hotellobby pinkelt und andere Gäste bepöbelt.

Ist ja auch nichts dabei, denn nicht nur der Ball ist rund, sondern auch der Kopf. Am Ende des Tages muss man halt nur flexibel bleiben. Eine Eigenschaft, die unsere Jungs erst am vergangenen Montag gegen heulende und frustrierte Portugiesen eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben.

Mehr Mut zu unseren Entscheidungen

Flexibilität ist das A und O, und wenn man dann auch noch einen Müller hat, kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Denn, wie der legendäre Swatch Erfinder Nicolas Hayek einmal betonte: Verkrustete Strukturen, die keine Flexibilität, keine Phantasie und Emotionalität zulassen, führen dazu, dass jede Idee im Keim erstickt wird. Unser Jogi hat dieses Credo, wie wir freudig miterleben dürfen, erfolgreich verinnerlicht, und seinen Spielern, zu unserem Fußballgenuss, in die Herzen geschrieben.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen mehr Mut und Standfestigkeit, zu unseren Entscheidungen zu stehen, aber auch, das für den Erfolg notwendige Quäntchen Flexibilität in der Herangehensweise.

Ihr

Ulrich B Wagner

Über Ulrich B Wagner

Ulrich B Wagner
(Foto: © Ulrich B. Wagner)

Ulrich B Wagner (Jahrgang 1967) ist Diplom-Soziologe, Psychologe, Schriftsteller und Kolumnist. Sein Studium der Soziologie, Psychologie & Rechtswissenschaften absolvierte er an der Johann Wolfgang von Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zusammen mit Professor Karl-Otto Hondrich arbeitete er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema  „Sozialer und kultureller Wandel“.

Ulrich B Wagner ist Dozent an der european school of design in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt  Kommunikationstheorie, Werbe- und Konsumentenpsychologie, sowie Soziologie und kultureller Wandel und arbeitet als Berater sowie systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikation und Konzeptentwicklung, Begleitung von
Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Mail ulrich@ulrichbwagner.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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